Sportverletzungen:So oft sind deutsche Profisportler verletzt

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Marco Reus: Immer wieder von Verletzungen geplagt (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Die für Profis zuständige Unfallversicherung VBG bestätigt das Bild vom durch Verletzungen gebeutelten Sportler.
  • Fast 80 Prozent aller eingesetzten Spieler verletzten sich in der Saison mindestens ein Mal.
  • Im Fußball, Basketball und Handball ereigneten sich die meisten Verletzungen während des Trainings.

Von Werner Bartens

Dass Sport dem Körper nicht immer gut tut, hat schon Bertolt Brecht erkannt. "Da, wo er wirklich etwas mit Kampf, Rekord und Risiko zu tun hat, bedarf es sogar außerordentlicher Anstrengungen des ihn Ausübenden, seine Gesundheit einigermaßen auf der Höhe zu halten", so der Schriftsteller. Das Bild des von Verletzungen gebeutelten Profis ist jedoch keineswegs eine literarische Übertreibung, sondern wird durch eine aktuelle Analyse der VBG bekräftigt - das ist die gesetzliche Unfallversicherung, die auch für bezahlte Sportlerinnen und Sportler zuständig ist.

SZ-Grafik; Quelle: VBG Sportreport 2016 (Foto: sdf)

Die Versicherung hat die Verletzungen und den Arbeitsausfall in den beiden jeweils höchsten deutschen Profiligen in Fußball, Handball, Basketball und Eishockey in der Saison 2014/2015 untersucht und dazu die Daten von 3500 Spielern ausgewertet. An diesem Donnerstag wird der "VBG-Sportreport" veröffentlicht. Die Verletzungsgefahr für die Profis erwies sich als erstaunlich hoch. Fast 80 Prozent aller eingesetzten Spieler verletzten sich in der Saison mindestens ein Mal. Im Durchschnitt erlitt jeder Spieler 2,5 Verletzungen pro Saison, sodass es zu 8500 Versicherungsfällen kam - das heißt, die Versicherung musste für die Behandlung aufkommen, oder es kam zur Arbeitsunfähigkeit, was insgesamt mit Kosten von zehn Millionen Euro für die Saison zu Buche schlug.

Im Fußball, Basketball und Handball die meisten Trainingsverletzungen

"Die Daten sind zuverlässig und äußerst umfangreich", sagt Bernd Wolfarth, der Chef der Sportmedizin an der Berliner Charité. Und "es sind nicht mal alle Blessuren erfasst. Wenn eine Zerrung vereinsintern mit Massagen und Physiotherapie behandelt wird, taucht das gar nicht in der Statistik auf". Tatsächlich wurden nur Schäden berücksichtigt, die mindestens 1000 Euro Kosten oder einen Ausfall von sieben oder mehr Tagen zur Folge hatten. Dass die am häufigsten verletzten Körperregionen im Fußball der Oberschenkel (21 Prozent), im Eishockey der Kopf (18 Prozent), im Handball das Knie (15 Prozent) und im Basketball das Sprunggelenk (20 Prozent) sind, überrascht kaum.

SZ-Grafik; Quelle: VBG Sportreport 2016 (Foto: sdf)

Auffällig ist jedoch, dass sich im Fußball, Basketball und Handball mit etwa 60 Prozent die meisten Verletzungen während des Trainings ereigneten. Eine Ausnahme ist das Eishockey. Die mit 30 Prozent vergleichsweise seltenen Trainingsverletzungen sind wohl darauf zurückzuführen, dass nicht immer auf dem Eis trainiert werden kann - und dass im Eishockey so viele Spiele stattfinden wie in keiner anderen Sportart, in denen es dann wiederum hart zugeht.

"Es klingt ja absurd, aber auch bei wohlhabenden Profivereinen gibt es erhebliche Defizite im strukturierten Trainingsaufbau", sagt Martin Halle, Chef der Sportmedizin an der Technischen Universität München. "Besonders die Grundlagenausdauer kommt in vielen Mannschaften zu kurz - das gilt für alle untersuchten Sportarten und eben auch für die höchsten Spielklassen. Die Nachteile zeigen sich auf vielfältige Weise." Fehlt es an der notwendigen Grundlagenausdauer, "macht der Körper bei stärkerer Belastung nicht mehr mit", sagt Halle. "Die Profis sind platt." Er weist auf die Muskelkrämpfe hin, die beispielsweise die Spieler von Bayern München und Borussia Dortmund im Pokalfinale gegen Ende der regulären Spielzeit und in der Verlängerung ereilten.

Zudem steigt durch die mangelnde Ausdauer die Verletzungsgefahr rapide an: Wer nach einem Sprint nicht schnell genug regeneriert und erneut in ein Laufduell gezwungen wird, kann seine Bewegungen nicht mehr so gut koordinieren. Die Gelenkstabilität wie auch die Anpassungsreaktionen auf Scherkräfte und Drehbewegungen lassen nach; es kommt eher zu Sehnen- und Bänderrissen, Frakturen und Muskelblessuren.

"Man muss sich schon fragen, ob die Methoden wie auch die Vorbereitung des Trainings angemessen sind", sagt Charité-Sportarzt Wolfarth. "Wichtig sind ein strukturierter Aufbau und die richtigen Übungseinheiten zum richtigen Zeitpunkt." Wird in der Saisonvorbereitung beispielsweise zu früh nur noch sportartspezifisch trainiert, kann es sein, dass die Spieler noch nicht genügend Kondition, Kraft und Koordination aufgebaut haben, um Slalomdribblings und abrupte Richtungswechsel ohne Schäden zu überstehen.

So erbrachte die VBG-Studie etwa im Basketball die bemerkenswerte Erkenntnis, dass die mit Abstand meisten Wettkampfverletzungen sich gleich zu Saisonbeginn ereignen, also im Oktober. In den kräftezehrenden Playoffs passiert viel weniger. Das werfe die Frage auf, "ob die Trainingssteuerung gerade im Übergang von Vorbereitungsphase und Saisonbeginn zumindest optimierungsbedürftig ist", schreiben die Experten.

SZ-Grafik; Quelle: VBG Sportreport 2016 (Foto: sdf)

"Manche Vereine vertrauen sich obskuren Laboren an, lassen zu überhöhten Preisen Blutwerte bestimmen, die wenig Aussagekraft haben, anstatt sich um einen Trainingsaufbau nach sportwissenschaftlichen Prinzipien zu kümmern", bemängelt der Sportwissenschaftler Halle. "Da ist noch viel Luft nach oben." Noch immer werde der Schwerpunkt zu sehr auf Technik, Taktik und Ballbehandlung gelegt. "Dass die Profis darin gut sein müssen, ist ja klar. Aber in den Ballsportarten gilt doch auch: Die Spieler müssen laufen können."

Sportmediziner sind sich einig, dass mit besserer Prophylaxe und optimiertem Training ein erheblicher Teil der Verletzungen vermieden werden könnte - je nach Untersuchung zwischen 30 und 80 Prozent. Neben der Grundlagenausdauer lassen sich durch Koordinations- und Stabilisierungsübungen viele Malaisen im Sport verhindern. Nicht allen Vereinen leuchtet das ein. Es ist noch nicht lange her, dass Ralf Rangnick als "Fußball-Professor" verspottet wurde, weil er innovative Trainingsmethoden einführte oder Jürgen Klinsmann als Bundestrainer der Lächerlichkeit preisgegeben wurde, als er sich von Hockey- und Leichtathletiktrainern beraten ließ und mehr Wert auf Koordination und Gleichgewichtsübungen legte - er galt als "der Trainer mit den Gummibändern".

Ob Schoner wirklich Schutz bieten, ist fraglich

"Aber auch hier gibt es noch Verbesserungspotenzial", sagt Sportmediziner Halle. "Neuere Untersuchungen belegen, dass sich viele Sportschäden vermeiden lassen, wenn im Training mehr Wert auf Stabilität, Beweglichkeit und Koordination gelegt wird." Das Fifa-Programm "11+", das auf der DFB-Homepage ausführlich dargestellt wird, zeigt, mit welchen Übungen Athleten besser geschützt werden können. Das gilt nicht nur für Profis, auch für Breitensportler ab dem Alter von 14 Jahren.

"Jeder Unfall, der verhindert werden kann, erspart nicht nur Leid, sondern auch Kosten und damit Beiträge", sagt Bernd Petri, Mitglied der Geschäftsführung der VBG. "Von den Erkenntnissen des Sportreports profitieren auch die unteren Ligen. Mit geeigneten Maßnahmen der Prävention lassen sich Anzahl und Schwere von Verletzungen reduzieren. Denn Sportunfälle sind kein unabänderliches Schicksal."

Bernd Wolfarth sieht etliche Ansätze für eine bessere Vorsorge: "Wir müssen überlegen, wie das Training gezielt verbessert und die Saison strukturierter geplant werden kann. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob Scheinbeinschoner im Fußball oder Helme beim Eishockey wirklich den erhofften Schutz bieten. Vielleicht brauchen Sportler bald Protektoren oder flexible Bandagen, die sich bei Belastung verhärten und das Gelenk schützen.

SZ-Grafik; Quelle: VBG Sportreport 2016 (Foto: sdf)
© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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