Sportstätten in Sotschi:Schlangen im Nirgendwo

Nordic Combined - Winter Olympics Day 5

Die Skisprung-Anlage in Sotschi, Russland.

(Foto: Ryan Pierse/Getty Images)
  • Es gibt sie schon, die Schauplätze der Winterspiele in Sotschi 2014, die auch drei Jahre später nochgenutzt werden.
  • Und obwohl die meisten Arenen längst niemand mehr braucht, sagen die Russen: Immerhin etwas.

Von Martin Schneider, Sotschi

In Russland haben die Menschen Selbstironie. Auf dem Restaurant unweit des Olympiastadions sind neben der Tür vier Ringe und ein Stern angebracht. Vier olympische Ringe und ein Stern, das beschreibt eine Szene der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2014. Fünf leuchtende Sterne sollten sich öffnen und zu fünf Ringen werden, aber ein Stern öffnete sich nicht. Stattdessen sah es aus, als hätte jemand ein Sternchen, eine Fußnote an die vier olympischen Ringe gesetzt. Da das russische Staatsfernsehen die Szene nicht zeigte (es sendete zeitversetzt) und weil das mit der Fußnote so gut passte zu den umstrittenen Winter-Spielen unter den Palmen der Schwarzmeerküste, ging die Szene natürlich als Pars pro toto um die Welt. Und die Russen? Griffen die Szene in der Abschlussfeier schon ironisch auf. Jetzt lebt die Panne auf dem Olympia-Areal in Sotschi weiter.

Noch viel mehr als die Sternchen-Szene schwebt aber eine Zahl über dem Sportkomplex am Schwarzen Meer und über dem Skigebiet im angrenzenden Kaukasus: 50 Milliarden Euro. 17 Milliarden davon, sagt jedenfalls Russlands Präsident Wladimir Putin, seien aus privaten Töpfen geflossen. Wie viel für Korruption geflossen ist, welche Firma welchen Auftrag warum bekam und welche als privat deklarierte Investition über Umwege dann doch beim Steuerzahler hängen blieb, da gibt es unterschiedliche Darstellungen. Unterm Strich aber waren 50 Milliarden Euro mehr als die Kosten aller vorherigen Winterspiele zusammen. Sotschi galt und gilt als Symbol des olympischen Gigantismus.

Nun, drei Jahre später stehen die Sportanlagen noch immer angeordnet in einem Kreis, direkt am Kiesstrand. Das Olympiastadion ragt heraus wie eine riesige Muschel. Nachts leuchtet das Dach, in den ersten Tagen in Regenbogenfarben, dann in blau, rot und weiß wie die russische Fahne. Das Stadion, in dem bei den Spielen nur die Eröffnungs- und Schlussfeier stattfand, musste für die Fußball-WM nochmal für 47 Millionen Euro umgebaut werden, die Fifa wollte das so. Ein offenes Dach verlangte der Weltverband, außerdem seien 40 000 Plätze zu wenig. Was mit dem Stadion nach der WM 2018 passieren soll? Keiner weiß es. Der Fußballklub des Ortes, der FC Sotschi (2013 gegründet, dritte Liga), verkündete ausgerechnet in diesen Tagen während des Confed Cups, dass er eine einjährige Spielpause einlegen werde.

Meterhohe Metallzäune zerschneiden das Olympia-Areal in Sotschi

Geht man in diesem Sommer über die riesige Anlage, sieht man den Willen, dieses für ein einziges Ereignis konzipierte Areal irgendwie weiter mit Leben zu füllen. Im Bolschoi Eispalast spielt nun ein neu gegründetes Eishockey-Team in der ersten russischen Liga. Die riesige Adler-Arena, einst für Eisschnelllauf gebaut, ist nun eine Tennis-Akademie. Am Tag nach dem Halbfinale Deutschland gegen Mexiko trainieren Tänzer und Sportgymnasten darin. Im Iceberg Skating Palace, der Eiskunstlauf-Arena, findet am gleichen Tag eine Vorführung des Stücks Romeo und Julia auf Schlittschuhen statt, es sind viele Leute gekommen.

Previews - FIFA Confederations Cup Russia 2017

Das Fußballstadion von Sotschi - hier spielte die deutsche Mannschaft kürzlich gegen Mexiko.

(Foto: Buda Mendes/Getty Images)

Die Curling-Halle und die beiden Trainingshallen sind Opfer des Vorhabens, alle Sportstätten in Fußweite zu bauen. An anderer Stelle hätte man eine Turnhalle draus machen können, es war auch ursprünglich mal der Plan, sie nach den Spielen ab- und woanders wieder aufzubauen. Daraus wurde offensichtlich nichts. Durch die ganze Anlage zieht sich die Formel-1-Strecke des Großen Preises von Russland. Sie ist durchgängig abgesperrt, weswegen auch zwei meterhohe Metallzäune das Olympia-Areal zerschneiden.

Das Olympiagelände an der Küste war aber nur ein Teil des Komplexes, der zweite lag im Kaukasus in der Region Krasna Poljana. Hier entstand aus dem Nichts und in vergleichsweise ungeheuer schneller Zeit ein neues Skigebiet - die bewaldeten Hänge wurden gerodet, Lifte einer österreichischen Firma installiert, Luxushotels ins Tal gebaut. Das Skigebiet ist mit 77 Kilometern Piste das mit Abstand größte des Landes. Riesig für russische Verhältnisse, mickrig für europäische Maßstäbe (das größte Skigebiet Österreichs hat 760 Kilometer Piste zu bieten). Wegen der massiven Baumaßnahmen - unter anderem eine Schnellstraße und eine Eisenbahn von Sotschi aus in die Berge - galt es als der umstrittenste Teil des ganzen Olympia-Plans.

Cafés gut besucht, McDonald's überfüllt

Drei Jahre später scheint es aber gerade Krasna Poljana geschafft zu haben, von allen Maßnahmen am nachhaltigsten zu sein. An einem sommerlichen Tag kurz nach Beginn des Confed Cups ist der Ferienort im Kaukasus voller Menschen, die Cafés gut besucht, der McDonald's überfüllt. Auf dem zentralen Platz steht ein Olympia-Podest, jedes der vielen Kinder will ein Foto haben, wie es ganz oben steht und die Arme hochreißt. Einige Lifte sind in Betrieb, es bilden sich Schlangen. Auf dem Berggipfel Rosa Peak, knapp mehr als 2000 Meter hoch, machen die Leute begeistert Selfies vor einer Skihütte. An manchen Stellen ist das Skigebiet nur anhand der kyrillischen Schriftzeichen von einem Tal in Österreich zu unterscheiden.

Manchmal jagen ein paar Formel-1-Piloten die Bob-Bahn hinunter, immerhin

Der russische Tourismusverband sagt, 12 000 Urlauber kämen an Spitzentagen im Winter. Wegen des schlechten Rubel-Kurses vor allem Einheimische. Manche haben eine Geisterstadt aus Luxushotels prophezeit. Das ist ganz und gar nicht eingetreten. Ob es sich für die Oligarchen, denen die Skigebiete gehören, rechnet, wird die Zeit zeigen. Die Russen fahren augenscheinlich gerne hier hin. Doch das ist nur die eine Wahrheit.

Denn völlig anders sieht es bei den Sportanlagen aus. Die Rodelbahn - geschlossen. Wer sie besuchen will, steht irgendwann vor einer Schranke mit Stoppschild. Dort heißt es, man könne die Anlagen besuchen, man müsse aber in Sotschi eine Tour buchen und dann wiederkommen. Die Bob-WM hätte hier stattfinden sollen, doch die hat der Weltverband dem Ort wegen der russischen Doping-Affäre wieder entzogen. Wenn die Formel 1 nach Sotschi kommt, jagen manche Fahrer zu Werbezwecken die Bahn im Bob herunter. Das Biathlon- und Langlaufzentrum befindet sich in gutem Zustand inmitten eines Skigebietes - nur skatet hier schon lange kein Top-Athlet mehr. Der letzte internationale Wettbewerb auf der Skisprung-Schanze war das Olympia-Finale. Und auch der Alpin-Zirkus schickt höchstens mal seine Junioren zu einer Weltmeisterschaft nach Rosa Chuktor.

Die Fußball-Weltmeisterschaft soll, so die Kalkulation, insgesamt 50 Milliarden Euro kosten. Also genauso viel wie Olympia. Fragt man die Russen, was sie davon halten, dass ihr Steuergeld in millionenschwere Arenen fließt, zucken die meisten mit den Schultern. Es würden doch auch die Straßen neu gebaut, sagen sie, und die würden auch nach der WM noch neu sein. Wenn die Weltmeisterschaft nicht wäre, sagen mache, würde man nichts von dem Geld sehen. Und so immerhin ein bisschen.

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