Sportpolitik:Wund diskutiert

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Wirklich ein Dopingopfer? Der Status der ehemaligen Sprinterin Ines Geipel ist vor Gericht vorerst bestätigt worden.

(Foto: AFP/Getty Images)

Ob Opfer des DDR-Dopings auch Täter sind, ist kaum zu klären, wie ein Prozess um die ehemalige Leichtathletin Ines Geipel nun zeigt. Am Ende steht ein Vergleich - der noch nicht endgültig ist.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Kaum fünf Meter trennen Ines Geipel und Henrich Misersky an diesem Tag im Berliner Landgericht, sie sitzen sich gegenüber, doch die Blicke treffen sich während der Verhandlung nur selten. Viele Jahre haben sie für die gleiche Sache gekämpft: Opfern des DDR-Zwangsdopings zu helfen. Mittlerweile trennen Misersky, Mitgründer des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins (DOH), und Geipel, bis 2018 dessen Präsidentin, Welten.

Sie sind innerlich so weit auseinandergerückt, dass man sich nun verklagt: Geipel will sich damit gegen diverse Behauptungen Miserskys wehren, die ihrer Auffassung nach ihre Reputation in Frage stellen. Fast zweieinhalb Stunden geht es um semantische Feinheiten, die sonst eher in Linguistik-Vorlesungen erörtert werden statt in Gerichtssälen.

Im Kern trifft die Auseinandersetzung aber einen mittlerweile wund diskutierten Punkt in der Aufarbeitung der Opfergeschichten des Dopingapparats: Unter welchen Umständen ist ein Sportler, der diesem System unterworfen war, auch Sünder? Wann ist ein Sünder auch Trittbrettfahrer? Wer darf die Entschädigung in Höhe von 10 500 Euro bekommen, die Geipel einst für DDR-Dopingopfer beim Bund erkämpft hatte? Darüber streiten die DOH-Größen nun schon seit einigen Jahren; unter dem Vorwurf, sie würde Opfer-Zahlen nach oben treiben, trat Geipel Ende 2018 zurück. Doch der Streit schwelt weiter. Auch weil Misersky offenbar anzweifelt, wie viel Opfer tatsächlich in Ines Geipel steckt.

Am Ende steht ein Vergleich - der noch nicht endgültig ist

Im vergangenen Jahr war es bei einer Pressekonferenz des DOH zu Handgreiflichkeiten zwischen dem Molekularbiologen Werner Franke und dem DOH-Präsidenten Michael Lerner gekommen, denkbar ungünstige Publicity für den Verein. Franke und Misersky sind sich einig in dem Vorwurf, das DOH-Gesetz werde von Leuten missbraucht, die aus freien Stücken gedopt haben. Geipel ist staatlich anerkanntes Doping-Opfer; Gegenstand der aktuellen Verhandlung ist eine E-Mail, die Misersky im Juni 2018 an DOH-Vertreter, Geipel selbst und an zwei Medienredaktionen schickte. Darin stellt er diverse Details der bisher überlieferten Biografie Geipels in Frage - was die 59-Jährige wiederum als Hochstaplerin überführen würde.

Da wird dann zum Beispiel behauptet, es wäre "illusorisch", zu glauben, dass es die ehemalige Sprinterin des SC Motor Jena tatsächlich 1984 in eine Olympia-Auswahl geschafft hätte, schließlich sei sie damals nur siebtbeste Deutsche gewesen. Für die Nominierung vorgeschlagen war sie nachweislich aber schon. Ist die tatsächliche Nominierung dann "illusorisch" oder doch eher "unwahrscheinlich", als Siebtbeste? Da die DDR 1984 die Spiele in Los Angeles boykottierte, sind das alles sehr theoretische Überlegungen, trotzdem wird nun fast eine Viertelstunde lang über den Begriff "illusorisch" referiert, von Geipels Anwalt, von der Gegenseite. Tatsachenbehauptung? Meinungsäußerung? Es wird aber auch deutlich, dass da zwei persönliche Geschichten aufeinandertreffen, die die Bandbreite von Zwang und Bestrafung beim Widersetzen der Einnahme leistungsfördernder Mittel widerspiegeln.

Misersky, 79, war Hindernisläufer und verweigerte sich nach eigener Aussage der Dopingkultur, woraufhin er nicht bei internationalen Meisterschaften teilnehmen und auch nicht wie gewünscht promovieren durfte. Auch als Trainer seiner Töchter, die im Langlauf aktiv waren, habe er sich später dem Staatsplan widersetzt; seine Karriere wurde danach quasi erstickt. Man habe also durchaus eine Möglichkeit gehabt, nein zu sagen zum Pillenschlucken - Misersky sieht sich als bestes Beispiel dafür. Und relativiert damit auch gerne das Schicksal von Geipel, die jahrelang dem Staatsdoping unterworfen war; unwissentlich, wie sie stets betont. "Frau Geipel wäre es unbenommen gewesen, genauso weiter Leistungssport zu betreiben, wie es mir unbenommen war", sagt Misersky nun in Berlin. Man hätte halt nur akzeptieren müssen, nicht mehr für die Nationalmannschaft in Frage zu kommen. Womit er dann doch wissentliches Doping unterstellte. Aber selbst dann bleibt ja die Frage offen: Wie freiwillig ist das Medizinnehmen in einem System, das seine Sportler nicht über Langzeitschäden informiert und bei Verweigerung aus dem Kader wirft?

Am Ende der Verhandlung einigt man sich auf einen Vergleich, der wirksam wird, falls es sich Misersky bis zum 20. Februar nicht anders überlegt: Er wird künftig öffentlich nicht mehr anzweifeln, dass Geipel Opfer des DDR-Dopingsystems sowie staatlicher Repressionen sei. "Die Freiheit muss bleiben, dass man Doping-Opfer auch mit Sünder-Eigenschaft in Verbindung bringen kann", sagt Miserskys Anwalt aber auch, "das ist eine Diskussion, an der Herr Misersky auch weiter teilnehmen wird." Und es deutet sich an, was der Vorsitzende Richter schon befürchtet hatte: dass dieses Treffen nicht das letzte Kapitel der Auseinandersetzung ist.

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