Süddeutsche Zeitung

Sportpolitik:Verrat unter Palmen

Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada begnadigt die russische Agentur Rusada nach dreijähriger Verbannung unter Auflagen. Anti-Doping-Kämpfer weltweit sind entsetzt.

Von Thomas Kistner und Johannes Knuth

Als führende Vertreter der Welt-Anti-Doping-Agentur am Donnerstagmorgen in ihr Tagungshotel auf den Seychellen einrückten, wurden sie von einer hübschen Kulisse empfangen: Palmen, weiße Dielen und braunes Holz in der Hotellobby, bloß eine Handvoll Reporter, die am Eingang warteten. Ob Zufall oder nicht: Hier waren die Funktionäre erst mal weit weg von jenem Orkan der Entrüstung, der ein paar Stunden später losbrach, nachdem die Wada den wichtigsten Punkt bei ihrem Treffen auf dem ostafrikanischen Inselarchipel abgearbeitet hatte.

Das Verdikt war eindeutig ausgefallen: Der Bann der russischen Anti-Doping-Agentur (Rusada) ist gehoben, neun Vertreter des Wada-Exekutivkomitees stimmten dafür, nur zwei dagegen, einer enthielt sich. Und das, obwohl der Chor der Kritiker in den vergangenen Tagen immer lauter gerufen hatte, dass eine derartige Resozialisierung zu früh käme. Umsonst. Russische Dopingfahnder, einst tief verstrickt in das Netz des Betrugs in ihrem Land, dürfen wieder ihre eigenen Athleten testen; mittel- bis langfristig wird sich Russland wohl auch wieder um Sportveranstaltungen bewerben und zuletzt gesperrte Athleten unter eigener Flagge an den Start bringen, in der Leichtathletik zum Beispiel. Das alles basiere auf "strikten Bedingungen" und einem "vereinbarten Prozess", teilte Wada-Präsident Craig Reede in einem ersten Statement mit. Viele Beobachter wählten eine andere Lesart: Sie sahen eine der gravierendsten Entscheidungen in der 19-jährigen Geschichte der Agentur, die nicht gerade arm ist an gravierenden Vorgängen.

Die Wada hatte die Rusada vor drei Jahren suspendiert, nach einer Welle von Enthüllungen. Die Kronzeugen Julija und Witalij Stepanow hatten gerade einen tiefen Betrugssumpf in der Leichtathletik offengelegt. Kommissionen der Wada hoben in der Folge ein noch gigantischeres System: ein massives, staatlich orchestriertes Dopingprogramm, das russischen Athleten bei Olympia 2012, der Leichtathletik-WM 2013 und den Winterspielen 2014 zu Medaillen verholfen hatte, und vermutlich nicht nur dort. Die Spiele im russischen Schwarzmeerort Sotschi mutierten dabei zum dreckigen Höhepunkt: Das Anti- Doping-Labor tauschte damals offenbar verseuchten Urin durch sauberen, durch ein Loch in der Wand, mithilfe des Geheimdienstes. Grigorij Rodtschenkow, der ehemalige Leiter der Labore in Sotschi und Moskau, hatte das enthüllt, er versteckt sich heute in den USA, wie die Stepanows.

Die Wada hatte der suspendierten Sportnation vor drei Jahren zwei klare Bedingungen gestellt: Sie müsse erstens den Bericht der Kommission von Richard McLaren anerkennen. Der kanadische Jurist hatte geschildert, wie mehr als 1000 russische Athleten von der staatlich gelenkten Chemiezucht profitiert haben sollen. Und zweitens: Wada-Ermittler müssen Zugang zum Moskauer Labor und dessen Datenbank erhalten; nur so könnten Hunderte Dopingfälle verfolgt werden, die noch offen sind. Moskau hatte beides vehement bestritten bzw. abgelehnt; diese Blockade hatte die Sportwelt bis zuletzt entzweit. Da waren, auf der einen Seite, vor allem Athleten, Vertreter von westlichen Anti-Doping-Agenturen und der Leichtathletik-Weltverband IAAF, die Russland erst wieder in die Sportfamilie aufnehmen wollten, wenn die Kriterien der Wada erfüllt würden. Auf der anderen Seite stand das Internationale Olympische Komitee unter dem deutschen Präsidenten Thomas Bach, das einen viel milderen Kurs wählte, große russische Teams zu den Spielen 2016 und 2018 durchwinkte.

In den vergangenen Monaten lobbyierte das IOC massiv hinter den Szenen, für Russland und die Rusada. Rob Koehler, ein langjähriger Vize-Generaldirektor der Wada und entschiedener Anti-Doping-Kämpfer, trat überraschend zurück. Anfang Juni schrieben Reedie, der auch Mitglied im IOC ist, und Olivier Niggli, Wadas Generaldirektor, dann einen Brief an Russlands Sportminister Pawel Kolobkow, den die BBC jetzt veröffentlichte. Russland, hieß es, könne auch den Bericht der Schmid-Kommission anerkennen. Der war im Auftrag des IOC vor den Winterspielen 2018 entstanden und zurückhaltender ausgefallen als der von McLaren; er schilderte zwar russische Verfehlungen, aber keine tiefe staatliche Verstrickung. Außerdem müsse Moskau innerhalb der nächsten zehn Monate sein Anti-Doping-Labor öffnen. Dieses Angebot sei vom "Geist des Kompromisses" getragen. In einem weiteren Brief formulierte Niggli den russischen Funktionären sogar einzelne Passagen vor, die zur Wiederaufnahme der Rusada führen könnten.

Die deutsche Agentur nennt die Entscheidung der Wada "absolut erschütternd"

Die Wada verteidigte sich am Donnerstag nochmals gegen die heftige Kritik, die seitdem auf sie einprasselt; "Führung verlangt nach Flexibilität", schrieb sie. Kritiker entgegneten, dass sich die Rusada am Ende nicht den Regeln der Wada beugen musste, sondern die Wada den Regelbrechern. Jim Walden, Rodtschenkows Anwalt, forderte die amerikanische Agentur Usada auf, ihre Zahlungen an die Wada einzustellen. Die Entscheidung sei "der größte Verrat an sauberen Athleten in der olympischen Geschichte". Nada-Vorstand Lars Mortsiefer nannte das Urteil auf SZ-Anfrage "absolut erschütternd". Wie könne eine Aufsichtsbehörde, die sich derart verbiege, "künftig die Leitlinien vorgeben und überwachen? Da ist ein enormes Glaubwürdigkeitsproblem." Die Nada ziehe den Schluss: "Wir wollen nicht mehr in einem Atemzug mit der Wada genannt werden." Das IOC nahm das Urteil übrigens: "zur Kenntnis".

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SZ vom 21.09.2018
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