Sportpolitik:Teilerfolg für Pechstein

Claudia Pechstein

Claudia Pechstein im Winter 2018 in Pyeongchang, Südkorea.

(Foto: dpa)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg stellt die Unabhängigkeit des Sportgerichtshofs Cas nicht in Frage. Die Richter sprechen der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein aber eine Entschädigung zu.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Claudia Pechstein ist vor allem auf der Langstrecke erfolgreich, letztes Jahr holte sie bei der Weltmeisterschaft in Südkorea Silber über 5000 Meter. Im Kampf gegen ihre zweijährige Dopingsperre aus dem Jahr 2009 hat sie es inzwischen ebenfalls auf eine beachtliche Distanz gebracht: Neun Jahre dauert der Streit, zehn Instanzen waren damit befasst oder sind es noch, und die Sache ist noch nicht zu Ende. An diesem Dienstag hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ihr immerhin 8000 Euro Entschädigung zugesprochen. Ein Teilerfolg - mehr aber nicht.

Zwar hat der Gerichtshof in Straßburg auf eine Verletzung des Rechts auf faires Verfahren erkannt, weil die Anhörung vor dem Internationalen Sportgericht Cas in Lausanne im Oktober 2009 nicht öffentlich abgehalten worden war - gegen Pechsteins ausdrücklichen Antrag. Der Grundsatz der Öffentlichkeit gelte auch für das Sportgericht, befand der Gerichtshof.

Doch mit ihrem zentralen Argument drang Pechstein, vertreten durch den Münchner Anwalt Thomas Summerer, auch dieses Mal nicht durch. Sie stellt die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Sportgerichts grundsätzlich in Frage, und zwar deshalb, weil die Zusammensetzung der Spruchkammern maßgeblich durch die Verbände bestimmt sei. Ausgewählt werden die Richter eines Dreier-Panels nämlich aus einer geschlossenen Liste mit mehr als 300 Namen - zusammengestellt von einem Gremium, in dem die Sportverbände und Olympischen Komitees das Sagen haben, deren Interessen mit denen der Athleten nun mal nicht deckungsgleich sind. Zudem ist die Sportgerichtsbarkeit ein System, dem sich Sportler nicht entziehen können: Wer bei einem Wettbewerb starten will, muss die Schiedsklausel unterschreiben.

Der Menschenrechtsgerichtshof räumt zwar ein, dass die Sportverbände einen "tatsächlichen Einfluss" auf den Auswahlmechanismus der Richter hätten - ziehen daraus aber nicht die Konsequenz, dem Cas die Unabhängigkeit abzusprechen. Pechsteins Zweifel namentlich an der Unabhängigkeit des damaligen Vorsitzenden seien zu vage und zu hypothetisch, heißt es in dem Urteil. Damit handelt sich der Gerichtshof freilich einen entschiedenen Widerspruch aus den eigenen Reihen ein. Die Schweizer Richterin Helen Keller und ihr Kollege Georgios Serghides aus Zypern wenden sich gegen die Mehrheit und argumentieren, die Zusammenstellung der Richterliste sei derart stark von den Verbänden dominiert, dass von Unabhängigkeit keine Rede sein könne. Nach dem damals geltenden Auswahlsystem könne allenfalls ein Fünftel der Cas-Mitglieder als unabhängig durchgehen - wenn überhaupt, weil auch dieser Teil von einem Gremium unter Einfluss der Verbände ausgesucht worden sei.

Auf lange Sicht können solche Minderheitsvoten irgendwann auch zur Mehrheitsmeinung werden. Oder ein anderes Gericht inspirieren. Gelegenheit dafür gäbe es in Karlsruhe. Beim Bundesverfassungsgericht ist eine Verfassungsbeschwerde anhängig, die Pechsteins Anwalt gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs von 2016 eingelegt hat. Auch dort war die Sportlerin gescheitert, nachdem sie noch in zweiter Instanz beim Oberlandesgericht München Recht bekommen hatte.

Ein Entscheidungstermin ist noch nicht in Sicht, und statistisch sind die Erfolgsaussichten in Karlsruhe gering - aber die wachsende Skepsis am Cas könnte Pechstein in die Hände spielen. Denn das BGH-Urteil hatte in der juristischen Fachwelt viel Widerspruch erfahren. Die Abwägung sei "erstaunlich vage und blass", schrieb ein Autor; die Annahme, Sportler unterschrieben die Schiedsklausel letztlich doch irgendwie freiwillig, sei nicht überzeugend, meinte ein anderer.

Auch anderswo regt sich der Zweifel am Cas: Ein Berufungsgericht in Brüssel entschied erst jüngst in der Klage eines belgischen Fußballvereins gegen die Fußballverbände, solche aufgezwungenen Schiedsklauseln verstießen gegen europäisches Recht. Auch das andere Europagericht - der Europäische Gerichtshof in Luxemburg - könnte den Zweifel am Cas nähren, wenn auch nur indirekt. Im Frühjahr hat er Schiedsklauseln in Investitionsschutzabkommen für EU-rechtswidrig erklärt. Und in einem weiteren Urteil aus diesem Jahr singt er das hohe Lied auf die richterliche Unabhängigkeit: Ein Gericht übe seine Funktionen in völliger Autonomie aus, "ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein". Gemünzt war das Urteil auf Staaten wie Polen - aber treffen könnte es auch den Cas. Kurzum: Noch ist offen, ob Pechsteins langer Lauf nicht doch noch siegreich endet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: