Süddeutsche Zeitung

Sportpolitik:Russland zieht wegen Doping-Sperre vor Gericht

Bis zum Cas-Urteil dürfen Sportler aus dem Land normal starten. Es könnte sogar sein, dass das Verfahren sich so in die Länge zieht, dass die Russen doch unter ihrer Flagge antreten.

Von Johannes Aumüller, Moskau/Frankfurt

Russland beschert dem internationalen Sport im Zuge des Staatsdopingskandals erneut komplizierte Monate. Am Donnerstag kündigte die russische Anti-Doping-Agentur (Rusada) an, dass sie gegen den von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) verhängten Vier-Jahres-Bann für Olympische Spiele und Weltmeisterschaften Einspruch einlegen wird. Dies soll innerhalb der nächsten zwei Wochen beim Internationalen Sportgerichtshof (Cas) geschehen.

Damit gehört Russland fürs Erste wieder vollständig zur Sportfamilie. Das Land darf alle Veranstaltungen wie geplant austragen, und russische Athleten dürfen ganz normal bei allen Weltmeisterschaften starten, die bald in zahlreichen Wintersportarten stattfinden. Es ist noch ungewiss, wie lange das Verfahren dauern wird - aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es auch noch die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio überlagern wird.

Staatspräsident Wladimir Putin höchstselbst äußerte sich am Donnerstag im Rahmen seiner traditionellen Jahres-Pressekonferenz zum Thema. Die Sperre sei "nicht nur unfair, sondern entspricht auch nicht dem gesunden Menschenverstand und dem Gesetz", sagte er: "Wenn die Mehrheit unserer Athleten sauber ist, wie ist es möglich, Sanktionen gegen sie wegen Handlungen anderer zu verhängen?" Das russische Team müsse auch unter russischer Flagge an den Start gehen dürfen.

Dabei war das Wada-Urteil ohnehin schon sehr gemäßigt ausgefallen. Denn der formale vierjährige Bann beinhaltet viele Schlupflöcher. So wäre es demnach insbesondere möglich, dass bereits nach Russland vergebene Weltmeisterschaften dort stattfinden - und dass zahlreiche russische Athleten nach einer noch nicht näher definierten Prüfung unter neutraler Flagge an allen Wettkämpfen teilnehmen können. Wirklich ausgeschlossen wären nur Russlands Flagge und Hymne.

Aber offenkundig glaubt die russische Seite, dass sie noch mehr rausholen kann, nämlich einen kompletten Freispruch. Und einen Ansatz skizzierte Putin am Donnerstag schon, als er festhielt, dass es gemäß des Regelwerkes doch keine solche Sanktionen geben könne, wenn es keine Vorwürfe gegen das Russische Olympische Komitee (ROK) gebe.

Damit begibt er sich schon auf das Terrain, das den Cas die nächsten Monate beschäftigen dürfte. Die Grundlage für die neuerliche Sanktion war der Umgang der russischen Seite mit Daten aus dem Moskauer Labor, die sie der Wada übergeben sollte. Diese beziehen sich auf Vorgänge und Analysen des Labors in den Jahren 2012 bis 2015 und sollten helfen, individuelle Dopingverfahren zu eröffnen. Doch die Wada musste feststellen, dass die übergebenen Daten "weder vollständig noch vollständig authentisch" gewesen seien. Bis Januar 2019 sei in dem Datensatz noch manipuliert und gelöscht worden - offenkundig in dem Bemühen, Doping-Nachweise für einzelne Sportler zu tilgen.

Die Frage ist nur, wer für diese Löschungen zuständig war. Die Wada konnte das bisher nicht beantworten. Putin verwies nun, ebenso wie schon das Internationale Olympische Komitee (IOC) darauf, dass es gegen das ROK keinen Vorhalt gebe. Und auch die Rusada-Vertreter beteuerten stets, dass sie es nicht gewesen seien. Zwar klingt das Geraune vom großen Unbekannten, der all die Daten gefälscht habe, ziemlich unglaubwürdig - zumal das Moskauer Labor nach Auffliegen des Staatsdopingskandals unter der Aufsicht russischer Ermittlungsbehörden stand. Aber womöglich ist dies tatsächlich der Weg, über den der Cas Russland wieder zulassen könnte.

Der Cas ist - vergleichbar mit der Wada - eine Organisation, die stark vom organisierten Sport abhängig ist. Beim Sportgerichtshof zeigt sich das etwa darin, dass als Präsident an seiner Spitze das australische IOC-Mitglied John Coates steht. Es erscheint kaum vorstellbar, dass das komplexe Verfahren nun in sieben Monaten bis zum Start der Spiele in Tokio abgewickelt werden kann. Gibt es bis dahin keine Entscheidung, kann Russland mit einem regulären Olympia-Team in Japan starten.

Grundsätzlich denkbar sind drei Optionen. Erstens: Der Cas gibt Russland recht. Dann wäre der sogenannte Bann sportjuristisch erledigt. Zweitens: Der Cas gibt der Wada erst nach den Spielen in Tokio recht. Dann würde sich die Vier-Jahres-Sperre formal bis nach Paris 2024 ausdehnen - jedoch mit all ihren Schlupflöchern. Und drittens: Der Cas gibt der Wada bereits vor Tokio Recht. Dann würde für die Spiele aber weiter sportrechtliche Ungewissheit herrschen. Es wäre nämlich in seinem sehr rasch abzuwickelnden Verfahren zu klären, welche russischen Sportler starten dürfen - und welche nicht. Auch sie könnten gegen ihren Ausschluss wieder vor den Cas ziehen.

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SZ vom 20.12.2019
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