Süddeutsche Zeitung

Sportpolitik:Opferrente als Ziel

Beim Doping-Opfer-Hilfe-Verein rücken zum 20-jährigen Bestehen wieder Inhalte in den Vordergrund - und ein paar versöhnliche Worte.

Ihre Arbeit, beendet? Nein, fertig sind sie beim Doping-Opfer-Hilfe-Verein (DOH) auch nach zwanzig Jahren noch nicht. Gerade erst haben sie den Mietvertrag der Beratungsstelle in Berlin Mitte verlängert, berichtet Präsident Michael Lehner am Dienstag auf der Jubiläumsfeier des Vereins, "ganz mutig". Nur noch bis Jahresende können Anträge auf eine Entschädigung nach dem zweiten Doping-Opfer-Hilfe-Gesetz gestellt werden - ein Umstand, den Lehner und seine Mitstreiterinnen gerne verhindern würden. Zwangsdoping in der DDR sei für viele so traumatisch gewesen, dass sie sich noch immer nicht geoutet hätten. Auch eine Opferrente wünscht sich der Verein. Und das Bemerkenswerte an dieser Feier ist: Nach zwölf turbulenten Monaten rücken tatsächlich wieder die Inhalte in den Vordergrund.

Leise Cello-Töne begleiteten den Festakt, der große Krach blieb diesmal aus. Am Ende bedankte sich DOH-Präsident Lehner bei dem Mann, der ihn vor ein paar Monaten am Hals gepackt hatte: Molekularbiologe Werner Franke. Ohne Brigitte Berendonk und ihren Mann, Werner Franke eben, wäre Anfang der Neunzigerjahre nicht ins Rollen gekommen, was bis heute verfolgt wird: die Aufarbeitung des DDR-Dopingsystems. Beide hätten Beifall für "ihre Initiative und Engagement" verdient, sagte Lehner, der in diesem Jahr lernen musste, Lebenswerk und Animositäten von Franke auseinanderzuhalten.

Im August waren Streitigkeiten bei einer Pressekonferenz in Rangeleien gemündet, nach denen der bald 80-jährige Franke sagte: "Wenn ich zugedrückt hätte, wär's schlimm geworden." Lehner stellte später Strafanzeige. Entzweit hatte sie die Diskussion, die schon vor einem Jahr hochkochte: Wer ist Doping-Opfer, wer ist Täter? Franke erhob mit drei anderen Mitstreitern den Vorwurf, der Verein würde wissenschaftlich unzureichend belegte Spätfolgen anerkennen und zudem Trittbrettfahrer unterstützen. Leute also, die wissentlich gedopt hätten und dann Anträge auf die Entschädigung von 10 500 Euro stellten. Lehner griff das am Dienstagabend noch einmal auf. Es sei "selbstgerecht, diejenigen anzuprangern, die die Handlungsoptionen nicht haben sehen können", sich also gegen die Anweisungen der Diktatur zu stellen. "Wer so redet, wertet alle Menschen, die in diesem System gelebt haben und sich fügen mussten, zu Menschen zweiter Klasse ab", sagte Lehner. Wer Opfer und wer Täter sei, darauf habe er keine schnelle Antwort.

Franke und seine Frau blieben der Feier in Berlin fern. Ines Geipel, die vor einem Jahr nach heftigen Auseinandersetzungen mit Franke als Präsidentin zurückgetreten war, fehlte aus privaten Gründen, "da ist keine Story dahinter", versicherte Lehner. Bei der Mitgliedsversammlung wurde sie zur Ehrenvorsitzenden gewählt. 184 neue Anträge gab es allein in diesem Jahr beim DOH, jeden Monat meldeten sich 30 Personen mit Anfragen. Viele rufen an, weil sie nicht wüssten, ob sie gedopt wurden, heißt es aus der Beratungsstelle. "Unsere Aufgabe ist es, weiterzuhelfen, solange auch den Letzten, die davon gezeichnet sind, geholfen ist", sagte Festredner Roland Jahn, der Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, der sich auch dem Appell zur Entfristung der Anträge anschloss: "Das Leben mit dem Leid geht weiter, auch wenn die Frist vorbei ist."

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SZ vom 28.11.2019
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