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Sportpolitik:Können virtuelle Dopingtests die Zukunft sein?

Der Athlet nimmt Blut ab, der Kontrolleur schaut per Video zu: Weil das herkömmliche Testsystem gerade brachliegt, rücken virtuelle Methoden in den Fokus. Manche Ansätze sind vielversprechend.

Von Johannes Knuth

Die Zukunft sieht noch recht gegenwärtig aus: Ein runder Plastikapparat, etwas größer als ein Zwei-Euro-Stück, ein roter Knopf darauf, daran ist eine kleine Kammer angeschlossen. Legt man die Apparatur auf den Oberarm, saugt sie einen Bluttropfen aus den Kapillargefäßen, mehr nicht, und spült ihn in die Kammer. Die amerikanische Anti-Doping-Agentur (Usada) hat von der Prozedur zuletzt ein Video veröffentlicht; sie wollte es ursprünglich erst in ein paar Monaten präsentieren. Nun ist das Ganze bereits in der Gegenwart angekommen: dass Athleten sich selbst Blut und sogar Urin abführen, während ein Kontrolleur per Videoschalte zuschaut. Eine Pandemie macht's möglich.

Dopingtests waren schon immer anfällig für Manipulationen: Früher pinkelten einfach Trainer oder Betreuer für die Athleten ins Röhrchen, weil die Kontrolleure nicht bei der Abgabe zuschauten. Heute schlagen Tests oft nicht aus, weil die Athleten neue Substanzen verwenden oder maskierende beimischen. Wobei längst nicht alle so unvorsichtig sind wie die irische Schwimmerin Michelle de Bruin (die trotzdem ihre Unschuld beteuerte). In ihrem Urin fanden Fahnder einst eine derart gewaltige Menge Alkohol, die ein Mensch unmöglich konsumiert haben konnte.

Man könnte auch sagen: Die Athleten nahmen den Anti-Doping-Kampf immer mal gerne selbst in die Hand.

Dass Sportler sich in diversen Pilotprojekten nun selbst testen sollen, da die Kontrolleure sie wegen der Corona-Restriktionen nicht aufsuchen können - das klingt vor diesem Hintergrund erst einmal, nun ja, kurios. Tatsächlich könnten die Maßnahmen nicht nur temporär dabei helfen, Athleten zumindest rudimentär zu überwachen, während das traditionelle Testsystem brachliegt. Sie könnten den Anti-Doping-Kampf sogar nachhaltig verändern.

Die bekannteste Pilotphase läuft derzeit in den USA, die Usada hatte sie wegen der Pandemie bereits Anfang April angeschoben. Rund ein Dutzend Probanden meldeten sich freiwillig, die fünfmalige Schwimm-Olympiasiegerin Katie Ledecky, die hochdekorierten Leichtathleten Allyson Felix, Emma Coburn und Noah Lyles. Sie müssen derzeit weiterhin, wie alle olympischen Spitzenathleten, im Meldesystem der Welt-Anti-Doping-Agentur eintragen, wo und wann sie für Tester jeden Tag eine Stunde lang erreichbar sind. Nur stehen die Kontrolleure jetzt nicht mehr vor der Tür, im Hörsaal oder auf dem Trainingsplatz, sie rufen jetzt einfach an.

Der Athlet gewährt der Testperson in einem Videochat dann einen Rundgang durch sein Badezimmer, er öffnet das Testpaket, das ihm die Kontrolleure geschickt haben, später versiegelt er die Probe und schickt sie ans Labor. Der Tester beobachtet dabei alles, nur die Urinabgabe nicht, wie sonst. Der Athlet muss aber einen Temperaturstreifen in den Becher legen und dem Tester präsentieren - das soll zeigen, ob der Urin frisch ist. Für Blutproben kommt das kleine Gerät aus dem Usada-Video zum Einsatz; die "Dried Blood Spots" werden ebenfalls ins Labor gesendet. Der Urin wird dort wie gehabt analysiert; die Blutspenden nutzen sie bei der Usada derzeit nur, um die Blutwerte eines Athleten mit jenen zu vergleichen, die sie über Jahre in dessen sogenanntem biologischen Pass zusammengetragen haben. So lassen sich zumindest grobe Ausschläge nachverfolgen.

Was nach einem Einfallstor für Betrüger klingt, sei in der Praxis mittlerweile schwer zu überlisten, behauptete Usada-Chef Travis Tygart jetzt in der New York Times. Fremdes Blut und fremden Urin könne man im Labor aufspüren, alten, manipulierten Eigenurin würde man ebenfalls erkennen - schon am Geruch. Schwieriger wäre es, wenn Athleten dem Urin heimlich Substanzen beimischen würden. Aber Tygart glaubt, dass die Wissenschaft sich weiterentwickelt haben wird, sobald die digitale Testabgabe serienreif ist.

Andrea Gotzmann, die Vorsitzende der deutschen Anti-Doping-Agentur (Nada), tauscht sich immer wieder mit Tygart aus, sie bekundet grundsätzlich Sympathie für dieses aktuelle Projekt. "Wir müssen die Zeit nutzen, um etwas auszuprobieren, auch um für ähnliche Situationen vorbereitet zu sein", sagt sie am Telefon. Auch die Nada hat noch immer alle Testaktivitäten heruntergefahren, dafür arbeitet sie gerade verstärkt an alternativen Methoden: Präventionsseminare per Videoschalte etwa, oder Nachtests von alten Proben. Was die virtuellen Urintests der Usada angeht, ist Gotzmann aber "skeptisch, weil die Umsetzung schwierig ist". Schon allein der Datenempfang bei der Videoschalte könnte nicht immer ausreichen. Dafür treiben sie bei der Nada gerade ein eigenes Projekt voran, an dem sie schon seit 2015 forschen, gemeinsam mit dem Kölner Anti-Doping-Labor: den "Dried Blood Spot", mit dem auch die Usada experimentiert.

Das Pilotprojekt mit den Athleten lief Anfang April an, viele der Sportler könnten im kommenden Jahr bei den Olympischen Spielen in Tokio starten ("Next level sh*t!", postete Boxerin Nadine Apetz nach ihrer Selbst-Blutabnahme auf Instagram). Der Blutstropfentest läuft dabei im Grunde wie in den USA ab, im Kölner Labor arbeiten sie derzeit aber daran, Dopingsubstanzen gleich direkt im Bluttropfen nachzuweisen.

Hoffnung auf Blutstropfentest

Das Internationale Olympische Komitee hatte diesen Test sogar schon für die Tokio-Spiele bei der Wada in Auftrag gegeben, doch "dieser Zeitplan wurde nicht eingehalten", sagt Gotzmann, weil "wertvolle Zeit vergeudet wurde". Jetzt soll er bei den Winterspielen 2022 in Peking verfügbar sein. Gotzmann bedauert allerdings, dass die Nada und das Kölner Labor, das bei dem Test "absolut führend sei", nicht in der entsprechenden Arbeitsgruppe der Wada vertreten sind. Das zeige schon: "Wir müssen uns in den nationalen Anti-Doping-Agenturen oft selbst bewegen", sagt sie. Auch jetzt, in Corona-Zeiten.

Die Nada teilte zuletzt übrigens mit, sie hatte von den Pilotprojekten der Amerikaner bis zuletzt keine Kenntnis.

Langfristig, hofft Gotzmann, soll der Blutstropfentest den Anti-Doping-Kampf wie eine dritte Säule tragen, neben den traditionellen Blut- und Urinproben. Er ist weniger aufwendig, leichter zu lagern, nebenbei könnte er einen gewaltigen Testapparat verschlanken. Dopingtester reisen den Athleten, solange nicht gerade eine Pandemie die Welt stilllegt, ständig hinterher; die deutsche Hindernisläuferin Gesa Krause erzählte zuletzt die Geschichte, wie sie noch kurz vor ihrem Urlaub am Flughafen einen Test abgab. Ein digitales Fahndungssystem wäre deutlich weniger invasiv, es würde auch Ressourcen freigeben - für neue Testmethoden etwa.

Noch sind die digital gestützten Tests von der Marktreife um Wochen oder gar Monate entfernt, auch der Blutstropfentest der Nada. Allerdings, sagt Andrea Gotzmann, sei das Labor in Köln in Kürze in der Lage, aus dem Blutstropfen den Antikörpertest auf das Sars-Cov2-Virus auszuführen: "Für mich ist das fast eine wissenschaftliche Sensation." Das sei auch für den Sport, der derzeit überlegt, wie er in Corona-Zeiten wieder stattfinden kann, enorm wichtig: "Vor allem um zu sehen, welcher Athlet schon Antikörper gegen dieses Virus entwickelt hat." Spätestens in zwei Monaten soll der Test abrufbar sein, "das ist ja auch der Zeitraum", sagt Gotzmann, "in dem wir hoffen, dass wir alle in den Sport zurückkehren können." Und nebenbei auch zu den herkömmlichen Dopingtests.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2020
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