Sportpolitik:"Flugtickets für Kontrolleure nur gegen Sportlernamen"

Ein Experte konkretisiert den Vorwurf, Brasilien habe Doping geduldet - Sprint-Coach Trevor Graham kündigt weitere Enthüllungen an,wenn die Leichtathletik beginnt.

Von Thomas Kistner

Für Michael Rotich ist Olympia gelaufen. Und zwar schlecht. Rio musste der Delegationschef von Kenias Leichtathleten über Nacht verlassen, in Nairobi empfing ihn die Polizei. Jetzt sitzt er erst mal sieben Tage hinter Gittern, die Drogenbehörde ermittelt gegen den Funktionär, den Journalisten heimlich gefilmt hatten, wie er anbot, Sportlern den Zeitpunkt von Dopingtests zu verraten. Gegen ein kleines Informationshonorar von 15 000 Euro.

Auch Luis Horta hat Rio fluchtartig verlassen. Zuhause in Portugal hat der Anti-Doping-Experte und Unesco-Berater keinerlei Ungemach zu befürchten, wohl aber in der zweiten Heimat Brasilien, wo seine Frau her stammt und die Familie ein Domizil hat. Vorerst traut er sich nicht mehr hin. Er hat auch erst in Lissabon ausgepackt über das, was er als Planungschef für die Trainingskontrollen im olympischen Veranstalterland erleben musste. Er sagt, die Topleute der brasilianischen Anti-Doping-Behörde ABCD hätten seit Juni Druck gemacht, keine Tests mehr durchzuführen.

Sprint-Coach Trevor Graham kündigt weitere Enthüllungen an, wenn die Leichtathletik beginnt

Er und der bald darauf geschasste ABCD-Chef Marco Aurelio Klein seien bedrängt worden. Vergleiche zum russischen Staatsdoping zieht Horta vorläufig nicht, er sagt, dafür bräuchte es einen Wissensschub aus dem Inneren, wie ihn die russische Whistleblowerin Julia Stepanowa gab. Allerdings legt das, was er dem Internetportal UOL berichtete, nahe, dass auch das staatliche Organ ABCD im Olympialand einiges dafür getan habe, die nationalen Athleten nicht mit allzu vielen Kontrollen zu behelligen.

Horta beklagt, Spitzenvertreter des brasilianischen Sports wollten "Medaillen um jeden Preis". Er legt dar, wie trickreich die ans Sportministerium angebundene ABCD vorgegangen sei. Das Kontrollprozedere sei so geändert worden, dass die "Vertraulichkeit der Tests" gebrochen wurde, seit im Juni ein Wechsel im ABCD-Kommandostand erfolgte. Flugtickets für Kontrolleure seien nur unter der Bedingung ausgestellt worden, dass die Identität der zu testenden Athleten und die Art des Tests - Blut oder Urin - offengelegt werden. "Das hat mich verstört, gerade Überraschungs-Kontrollen müssen ohne jede Vorankündigung erfolgen." Die Anzahl der Flugtickets sei dann rasch zurückgegangen.

Reaktion aus dem Ministerium: ABCD halte sich strikt an die Dopingrichtlinien, folge zugleich aber den Regeln der Bundesregierung. "Die erhebt zur Ausgabe von Flugtickets eine Reihe Bedingungen: Anfrage zehn Tage vorher, Begründung und Ziel der Reise, Rechenschaftspflicht. Diese Regeln gelten für alle Mitarbeiter." Doch seien weder Athletennamen noch die Art der Dopingtests erfragt worden; auch nicht nach dem Wechsel an der ABCD-Spitze.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada wollte die Flug-Affäre auf SZ-Anfrage "nicht kommentieren", teilte aber mit, das vorolympische Prozedere in Brasilien sei "inakzeptabel". Am 6. Juli schrieb sie den Sportminister an und erhielt nie eine Antwort. Erst am 20. Juli hätte ABDC das Test-Defizit mit dem Wechsel im Spitzenamt begründet. Die Wada stellte dann fest, dass im Juli nur 110 Tests stattfanden, "völlig unzureichend für diese heiße Phase". Der neue ABCD-Chef habe dann behauptet, er hätte die Kontrolleure nicht bezahlen können - eine neue mysteriöse Wendung. Die Wada gab den Vorgang an ihre Task Force sowie an das Compliance-Komitee weiter. Dopingexperten wie der deutsche Pharmakologe Fritz Sörgel halten Staatsdoping auch in passiver Form für denkbar: "Man lässt die Leute gewähren." Ihn alarmiert die dreiwöchige Blindperiode vor den Spielen. "So kämen insgesamt fünf Wochen seit der letzten Einnahme zusammen." Es sei unwahrscheinlich, dass heute noch jemand in den letzten zwei Wochen vor Rio mit Anabolika dope. Seit den Nachtests zu Peking und London, die hauptsächlich verfeinerte Anabolika-Analysen waren und schon 100 Sünder überführten, sei das zu riskant. "Sagt man Sportlern aber, dass sie drei Wochen nicht getestet werden, wüssten sie genau, wann sie absetzen müssen." Und während in Rio etwa die Schwimmer mit einer Fülle an bemerkenswerten Zeiten die allgemeine Ungewissheit schüren, droht bereits die nächste Affäre. Trevor Graham hat sie via Facebook angekündigt, der lebenslang gesperrte Coach gedopter Sprinthelden von Justin Gatlin bis Marion Jones. Graham enthüllte einst die Betrugsaffäre um das US-Dopinglabor Balco, nun will er erneut sein "Schweigen brechen". Detailliert listet er Präparate auf, die rege in Umlauf seien. Etwa das Wasserstoffperoxid H20-2, beliebt bei Bodybuildern, Gonadorelin für die Testosteron-Produktion und Geref für Wachstumshormon-Schübe. Er nennt Namen von Dealern, Herkunftsländer wie China und Italien und kündigt an: "Ich habe viel mehr, inklusive Verschreibungen leistungssteigernder Mittel durch einen Trainer. Alle Personen sind bei den Spielen." Er spart sich das offenbar für die Zeit auf, wenn die Leichtathletik die Spiele dominiert.

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