Süddeutsche Zeitung

Sportpolitik:"Ein Olympiasieger wird nicht zwingend reich"

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Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, spricht über eine alarmierende Studie der Sporthilfe und erklärt, was ihr an der Welt-Anti-Doping-Agentur missfällt.

Interview von Anne Armbrecht

SZ: Frau Freitag, haben Sie einen Sport, der Ihnen besonders am Herzen liegt?

Dagmar Freitag: Ich habe als kleines Mädchen mit Hingabe Fußball gespielt. Aber zu der Zeit gab es schlichtweg keine Mädchenfußballmannschaften. Als Kind, das schnell laufen kann, wechselt man dann fast zwangsläufig zur Leichtathletik. Und der gehört bis heute meine sportliche Liebe.

Die Deutsche Sporthilfe hat eben eine neue Studie veröffentlicht. Als Spitzenleichtathletin würden Sie in Deutschland demnach 8,17 Euro pro Stunde verdienen. Das klingt nicht erstrebenswert.

Da haben Sie Recht. Deshalb beschäftigen wir uns im Sportausschuss sehr intensiv mit den Bedürfnissen von Athletinnen und Athleten. Ich persönlich habe in 16 Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit im Deutschen Leichtathletik-Verband sehr viele und enge Kontakte zu Sportlern geknüpft. Ich habe hautnah erlebt, was Athleten an Zeit investieren für ihre sportliche Entwicklung und welchen Hindernissen sie ausgesetzt sind, wenn es darum geht, eine duale Karriere zu realisieren, also einen passgenauen Arbeits- oder Ausbildungsplatz oder eine Universität in der Nähe von Wohnung und Trainingsstätte zu finden. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, wie spät diese jungen Menschen in den Beruf einsteigen, wird klar: Wir müssen von staatlicher Seite etwas tun. Die Sportförderguppen bei Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll bieten nur einer begrenzten Zahl von Athleten eine soziale Absicherung.

Die Studie beziffert den Vermögensverlust von Athleten im Laufe von zwölf Jahren Karriere auf bis zu 80.000 Euro. Muss es dem Staat hier um einen Ausgleich gehen?

Jeder, der in Deutschland Spitzensport betreibt, tut das aus eigenem Antrieb. Wer sich für den Weg in den Spitzensport entscheidet, tut das auch im Wissen um mögliche Nachteile.

Der Studie zufolge ist nicht ungenügende Leistung sondern die Perspektive der Hauptgrund, mit dem Sport aufzuhören.

Ich habe das nur als einen Faktor von mehreren in Erinnerung. Unabhängig davon: Es sollte kein Grund sein. Wenn jemand hochbegabt ist, sollte er dieser Begabung mit Freude, Engagement und ohne allzu große Sorgen nachgehen können.

Badminton-Europameister Marc Zwiebler sagt, er dachte während seiner Karriere jedes Jahr darüber nach, diese vorzeitig zu beenden. Aus monetären Gründen.

Man muss in der Gesellschaft das Bewusstsein dafür schärfen, dass ein Olympiasieger nicht zwingend auch ein reicher Mensch sein wird. Das bleibt eher, weitgehend abhängig von der Sportart, die Ausnahme. Aber wir müssen zumindest sicherstellen, dass diese jungen Menschen ihre Miete bezahlen können. Der nächste Schritt wird sein, dass wir sie auch unterstützen, wenigstens ansatzweise fürs Alter vorzusorgen. Das ist ein Projekt, das wir im Koalitionsvertrag verabredet haben und hoffentlich für das Haushaltsjahr 2020 angehen.

Die Athleten um Fechter Max Hartung versuchen, beim Internationalen Olympischen Komitee eine Mehrbeteiligung an den IOC-Erlösen für die Athleten zu erreichen. Begrüßen Sie dieses Anliegen?

Das Ansinnen der Athleten ist aus meiner Sicht berechtigt. Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass dieses Anliegen beim Besuch in Lausanne bei Präsident Thomas Bach auf besonders großes Verständnis getroffen ist.

Herr Bach hat doch sehr ausführlich dargelegt, was das IOC alles an Gutem mit den Geldern tut.

Eben. Da war vom Ansinnen der Athleten aber nicht die Rede. Ich würde das Gesprächsergebnis nach allem, was ich gehört und gelesen habe, jedenfalls nicht überbewerten wollen.

Der Staat gibt in diesem Jahr 235 Millionen Euro für den deutschen Spitzensport aus. Kommt davon zu wenig bei den Athleten an?

Das ist wahrscheinlich Ansichtssache. Der Bund stellt über die Stiftung Deutsche Sporthilfe seit 2018 eine beträchtliche Summe zur Verfügung; und das ist Geld, das direkt auf dem privaten Konto von Athleten landet. Vor allem aber finanzieren wir natürlich Strukturen und Rahmenbedingungen. Das geht von Bau und Ausstattung von Sportstätten über Trainingslager bis hin zu Entsendekosten zu internationalen Wettbewerben. Wir finanzieren Gehälter von Trainern, medizinischem Personal usw. Auch all das kommt ja den Athleten zugute.

Wie viel Sicherheit muss der Staat Sportlern gewährleisten?

In einem freiheitlich demokratischen Staat sind Menschen erst mal für sich selbst verantwortlich. Das gilt für alle Bürger. Wir haben keinen Staatssport. Es wird ja gelegentlich an alte Zeiten erinnert, als es noch den Gegensatz zwischen Ost und West gab. Wer davon träumt, dass Sportler hier so behandelt werden, wie das in totalitären Staaten üblich war oder noch ist, der muss mir auch erklären, ob er in solchen Staaten leben will. Ich bin froh, in einem freiheitlich demokratischen Staat zu leben, in dem der Staat den Bürgerinnen und Bürgern individuelle Freiheiten lässt.

Trotzdem sprechen wir davon, dass Sportler öffentliche Güter produzieren: Repräsentation, eine Vorbildfunktion für die Gesellschaft. Sie sollen immer mehr Medaillen gewinnen. Das Risiko tragen sie in hohem Maße privat. Wenn man diese Forderungen als Staat aufstellt, muss man nicht auch eine Gegenleistung bringen?

Die erbringt der Staat zweifellos. Die Forderung nach mehr Medaillen war eine des damaligen Innenministers Thomas de Maizière, die muss ich mir nicht zwingend zu eigen machen.

Die Sportreform drängt aber genau in die Richtung: dass man aus den Voraussetzungen, die hierzulande herrschen, versucht, noch mehr Erfolg herauszuholen.

Wir verzeichnen einen erheblichen Anstieg der Sportfördermittel und verbessern damit die Voraussetzungen und Bedingungen für die Athletinnen und Athleten. Und wir wollen dieses Geld effizient eingesetzt wissen. Ich kann daher nicht erkennen, dass wir von Bundesseite unseren Teil der Verabredung nicht erfüllen würden. Dass ich mir wünschen würde, dass von Seiten des DOSB nicht versucht wird, die eine oder andere Verabredung im Nachhinein nicht einzuhalten, das können Sie sich sicher vorstellen.

Können Sie das konkretisieren?

Ich bin nicht glücklich mit der Diskussion um die Olympia- und Bundesstützpunkte. Da gab es eine klare Verabredung zu reduzieren und zu fokussieren. Diese wurde im Nachhinein mit Zustimmung des derzeitigen Innenministers Horst Seehofer doch sehr aufgeweicht. Die Begründung hat mich persönlich bislang nicht überzeugen können.

Die Verbände haben vergangenes Jahr Geld vom Bundesministerium des Innern (BMI) nicht abgerufen. Brauchen diese nicht mehr, auch wenn sie nach immer mehr rufen?

Genau die Frage stellt sich uns. Wir werden versuchen, das im Sportausschuss mit dem BMI zu klären.

Wann?

Zeitnah. Es muss geklärt werden, welcher Verband nicht abgerufen hat. Und wir wollen natürlich auch die Gründe wissen. Die Verbände haben vor der Reform ja alle ihren Mehrbedarf präzise angemeldet. Da stellt sich mehr als nur eine Frage.

Haben Verbände ihren Bedarf hochgerechnet?

Das kann ich nicht ausschließen. Aber dann muss der Verband auch zeigen, dass er das Geld sinnvoll einsetzen kann. Sonst geht der Schuss nach hinten los.

Sie haben die Rücknahme der Stützpunktstreichungen angesprochen. In der Begründung hieß es, dass Horst Seehofer zur Stärkung regionaler Strukturen nicht auf einzelne Stützpunkte verzichten will. Widerspricht das nicht exakt dem, was man in der Sportreform anvisiert hat, nämlich Kräfte bündeln durch Zentralisierung?

Die Frage müssen Sie eher dem Bundesinnenminister stellen.

Hat Herr Seehofer ein Problem, weil er Heimat und Sport gleichermaßen vertritt? Es scheint ja einen Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach regionalen Vorbildern und nationalen Erfolgen zu geben.

Wahrscheinlich schlagen da zwei Herzen in einer Brust. Es gibt aber Momente, da stehen sich diese Pole ziemlich unvereinbar gegenüber.

Sind die Prioritäten nicht klar?

Das sind Fragen, die im BMI beantwortet werden müssen. Die Reform sieht ganz klar vor, dass die Umsetzung der Schritte zwischen den Verantwortlichen der Sportabteilung BMI und dem DOSB verhandelt wird.

Die Athleten sagten schon vor dem Hin und Her mit den Stützpunkten, sie fühlten sich mit der Reform verunsichert, nicht informiert. Vom Stille-Post-Prinzip war die Rede.

Auch deshalb ist es wichtig, dass sich mit dem Verein Athleten Deutschland e.V. eine schlagkräftige Organisation bildet, die die Interessen der Athleten artikuliert. Bisher ist das auf rein ehrenamtlicher Basis, parallel zur Sportkarriere oder dem Berufseinstieg, passiert. Wir haben nun Bundesmittel bereit gestellt, damit die Aktiven sich professionell aufstellen können.

Das impliziert auch Kritik an am DOSB und seinem Präsidenten Alfons Hörmann, oder?

Die Kritik ist bei der vergangenen Mitgliederversammlung in mehrfacher Hinsicht sehr deutlich zu hören gewesen. Aber Herr Hörmann hat nach seiner Wiederwahl fest zugesagt, seinen persönlichen Stil verändern zu wollen. Das wäre ein Anfang.

Seine Wiederwahl spricht eher für ein Weiter so.

Das muss man abwarten, aber einiges spricht schon dafür.

Sie sagen, der Athlet solle im Mittelpunkt stehen. So steht es auch im Konzeptpapier der Reform.

Wir von Bundesseite tun alles, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Unterstützung für Athleten Deutschland, direkte Unterstützung über die Deutsche Sporthilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts, eine deutliche Erhöhung der Bundesmittel. Das sind Dinge, die den Athleten zugute kommen.

Die Verbände und damit auch Athleten und die Trainer erhalten ihre Gelder nur jährlich zugesprochen. Sie bemängeln, dass sie so nicht planen können.

Das hat nichts mit Misstrauen zu tun, sondern auch mit Haushaltsvorgaben. Richtig ist, dass die Situation der Trainer nicht befriedigend ist. Das sind einmal die Verträge und deren Laufzeit. Ein zweiter Punkt ist die Bezahlung. Wir haben dem DOSB von Seiten der Koalition eine Mindestsumme, die nicht unter dem liegen soll, was beispielsweise parallel im öffentlichen Dienst verdient werden kann, zum Beispiel an Schulen, vorgeschlagen.

Ein Mindestlohn - ist damit die Abwanderung von Spitzentrainern gestoppt?

Es ist ein Schritt. Wir verlieren viele (potentielle) Trainer, weil sie im öffentlichen Dienst einen sicheren und vergleichsweise ordentlich bezahlten Job bekommen können. Wenn wir sie als Trainer gewinnen und halten wollen, müssen wir vergleichbare Bedingungen bieten. Mindestens.

Kann man so Abwerbungen aus dem Ausland verhindern?

Was beispielsweise Katar oder China zahlen, wird man in Deutschland nicht zahlen können. Aber das sind Staaten, in denen man nicht leben möchte. Und daher verbieten sie sich aus meiner Sicht als Maßstab.

Warum brauchen wir überhaupt mehr Medaillen?

Ich würde es gern anders formulieren. Jeder von uns Sportinteressierten freut sich, wenn unsere Sportler in einem fairen Wettbewerb die Nase vorn haben. Man fiebert mit ihnen, man freut sich mit ihnen und man leidet auch mit ihnen aus vollem Herzen, wenn es mal richtig schiefgegangen ist. Meine Auffassung ist: Wer sich für Olympische oder Paralympische Spiele, für Weltmeisterschaften qualifiziert, der ist schon Weltspitze. Wir haben das genauso anzuerkennen, wie wir uns über eine Platzierung ganz oben auf dem Treppchen freuen.

Sie sprechen vom Ziel fairen Wettbewerbs. Wie honoriert man Fairness?

Honorieren ist schwierig. Es hat mehr mit Anerkennung zu tun.

Das mag ehrenwert sein, reicht aber in der aktuellen Förderung nicht, um die Miete bezahlen zu können.

Das ist richtig.

Die Förderung berücksichtigt weder die Konkurrenzdichte, noch welcher Mittel sie sich bedienen. Wo ist da die Honorierung, von der Sie sprechen?

Welcher Mittel sie sich bedienen, kann man ja häufig nur vermuten oder man weiß es erst im Nachhinein. Ansonsten teile ich die Kritik. Man muss schauen: Habe ich international Konkurrenz aus wenigen Nationen wie in einigen Disziplinen im Wintersport oder aus 200 Ländern wie in der Leichtathletik? Das macht schon einen Unterschied. So etwas muss berücksichtigt werden, und hier gibt es sehr sinnvolle Vorschläge aus der PotAs-Kommission. Diese Reform ist ein dynamischer Prozess. Wenn man erkennt, dass man etwas ändern muss, sollte man das tun. Im Interesse der Athleten.

Stichwort unerlaubte Mittel: Wie beurteilen Sie die Wieder-Akkreditierung des Moskauer Dopinglabors durch die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA)?

Da genügt mir ein Wort: Katastrophe. Das zeigt, dass die WADA mit Präsident Craig Reedie an der Spitze zum Spielball von Kräften geworden ist, deren Aufklärungswillen vorsichtig formuliert mehr als unterdurchschnittlich ausgeprägt ist.

Kann man diese Kräfte benennen - mit Thomas Bach und dem IOC zum Beispiel?

Das sollte man nicht ausschließen. Thomas Bach hat ja sehr eilfertig erklärt, dass es für das IOC überhaupt kein Anlass gibt, über einen erneuten Ausschluss russischer Athleten nachzudenken. Und lapidar angefügt, Russland hätte seine Strafe schließlich schon abgesessen. Damit war das Thema für ihn durch.

Schauen wir mal national. Wie zufrieden sind Sie mit der Umsetzung des Antidopinggesetzes bislang?

Was mir nach wie vor fehlt, sind mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften, aber das ist keine Angelegenheit des Antidopinggesetzes an sich. Wenn ich mich mit den Verantwortlichen der NADA unterhalte, sind diese mehr als froh, dass wir das Gesetz endlich haben. Die Frage ist ja nicht, wie viele Sportler stehen vor Gericht. Es war nie mein Ansatz, Athleten ins Gefängnis zu schicken. Mir ging es immer darum, staatliche Ermittlungsbefugnisse, die der Sport nun mal nicht hat, nutzen zu können, um die sauberen Athleten besser vor ihren betrügenden Konkurrenten zu schützen. Und an die Hintermänner heranzukommen. Und das Gesetz trägt zweifellos dazu bei, deutlich zu machen: Doping ist kein Kavaliersdelikt, nur weil es andere auch machen. Doping ist Betrug. Schauen Sie sich die Athleten an, die Jahre später eine Medaille überreicht bekommen, weil vor ihnen platzierte Athleten durch Nachkontrollen überführt wurden. Sie sind um unvergessliche Emotionen, aber auch ganz konkret um Prämien, um Sponsorenverträge betrogen worden. Und so etwas gehört geahndet. Nicht nur mit einer läppischen Zweijahressperre.

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Quelle:
SZ vom 13.01.2019
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