Sportpolitik:Der olympische Chirurg

Jacques Rogge gestorben; Jacques Rogge gestorben

Seine öffentlichen Auftritte wurden mit den Jahren rar: Jacques Rogge, hier als IOC-Präsident bei den Olympischen Spielen 2012 in London.

(Foto: Timo Jaakonaho/dpa)

Der nun verstorbene Jacques Rogge bewahrte zu Beginn des Jahrtausends das Internationale Olympische Komitee vor dem Kollaps. Die Ringe-Welt hätte eine Figur wie den Belgier dringend nötig.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Als der Belgier Jacques Rogge im Sommer 2001 in Moskau zum obersten Sportfunktionär des Globus aufstieg, lagen das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die olympische Welt in Trümmern. Ende der Neunzigerjahre war der große Korruptionsskandal um die Vergabe der Winterspiele 2002 nach Salt Lake City aufgeflogen, dazu verstärkten sich die Debatten rund um den ausschweifenden Dopingmissbrauch und den zunehmenden Gigantismus der Spiele. Öffentlichkeit und Sponsoren begannen sich abzuwenden, der langjährige IOC-Patron Juan Antonio Samaranch trat ab, es brauchte einen tiefgreifenden Neuanfang. Und diesen Neuanfang verkörperte also Jacques Rogge, ein flämischer Chirurg und Chevalier, früher einmal Olympia-Teilnehmer im Schwimmen und Rugby-Nationalspieler und nun seit vergleichsweiser kurzer Zeit von nur zehn Jahren Mitglied im IOC.

Stolze 127 Jahre ist der Ringe-Clan inzwischen alt, gerade mal neun Präsidenten hatte er seitdem. Selbst die Katholische Kirche kommt in diesem Zeitraum auf elf Päpste. Der am Sonntag im Alter von 79 Jahren verstorbene Rogge, der dem IOC von 2001 bis 2013 vorstand, war jedenfalls einer der ungewöhnlichsten Lenker: Er war derjenige, der das IOC in der wohl schwersten Zeit seit seiner Gründung vor dem Kollaps bewahren musste. Und er war derjenige, dem der große Umbruch trotz aller Vorhaben und manch überzeugender Entwicklungen nicht gelang.

Zwar galt Rogge bei seiner Wahl sogar als Wunschkandidat des umstrittenen Langzeitherrschers Samaranchs. Aber er machte sehr schnell klar, dass er ganz eigene Akzente setzen und ganz anders führen würde. Bis dahin war er Chirurg im Operationssaal gewesen, nun würde er, diesen Eindruck vermittelte er rasch, das Skalpell an die Übel der olympischen Welt anlegen. Rogge trat dabei schon ganz anders auf als viele andere Sportfunktionäre, bescheidener und asketisch; und insbesondere in seinen Anfangsjahren gelangen ihm auch ein paar Veränderungen, gegen den spürbaren Widerstand der etablierten IOC-Strukturen.

Peking 2008 - Abschlussfeier

Ein Tiefpunkt von Rogges Ägide: Der damalige IOC-Präsident (links) verkannte die politische Dimension der Sommerspiele 2008 in Peking völlig und ließ sich von den Gastgebern - im Bild OK-Chef Liu Qi - vorführen.

(Foto: Nic Bothma/dpa)

Rogge stabilisierte die Finanzen und führte strengere Verhaltensregeln für die IOC-Mitglieder ein. Vor allem machte er auch Ernst beim grassierenden Dopingproblem: Sowohl bei den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City als auch zwei Jahre später bei den Sommerspielen in Athen hoben die Kontrolleure auf einmal spektakuläre Fälle aus den Untiefen des Betriebs, etwa Langläufer Johann Mühlegg und das Top-Duo der griechischen Leichtathletik, die Sprinter Ekaterini Thanou und Konstantinos Kenteris.

Doch je länger Rogge im Amt war, umso weniger gelang es ihm, die Erwartungen zu erfüllen. Der Kampf gegen die alten Kräfte, die unter anderem eine Reform des olympischen Programms verhinderten, setzte ihm mental und physisch merklich zu. 2007 kürte das IOC unter seiner Leitung den russischen Schwarzmeer-Ort Sotschi zum Ausrichter der Winterspiele 2014; die Umstände waren schon damals dubios. Später wurde Sotschi zum Synonym für Betrug schlechthin, mit großflächig vertuschten Dopingproben im Kontrolllabor. Die Sommerspiele 2008 in Peking wiederum gerieten zum Tiefpunkt seiner Ägide: Der Belgier verkannte die politische Dimension dieses Ereignisses und ließ sich von den Gastgebern vorführen. Auch beim Dopingthema schien ihn sein Instinkt zu verlassen, trotz der vielen Fragen rund um Chinas gigantische Medaillenausbeute.

Gegen Ende seiner Amtszeit war Rogge gezeichnet von Auseinandersetzungen und gesundheitlichen Problemen

Zum Ende seiner Präsidentenzeit hin wurde Rogges Auftritt immer brüchiger; er war gezeichnet von gesundheitlichen Problemen und ausgezehrt von den Auseinandersetzungen mit denen, die sich hinter den Kulissen als Nachfolger in Stellung brachten. Dass und wie sich der umstrittene kuwaitische Scheich Achmed al-Sabah im Sommer 2013 zum Königsaufmacher aufschwang, um mit dem von ihm geschnürten Stimmenpaket dem deutschen Wirtschaftsanwalt Thomas Bach die Mehrheit zu beschaffen, dürfte Rogge wohl nicht gefallen haben. Die Wahl Bachs katapultierte das IOC in vielen Fragen zurück in eine alte Zeit, die an Bachs sportpolitischen Lehrmeister und Vorvorgänger Samaranch erinnerte. Heute wirkt Rogges Präsidentschaft wie ein Intermezzo zwischen zwei IOC-Chefs, die mit harter Hand die olympische Welt ganz nach eigenem Gutdünken ausrichten.

Dabei ist die Lage beim IOC gerade so schwierig wie wohl seit dem Beginn der Nullerjahre nicht mehr. Das Image ist insbesondere in der westlichen Welt vielerorts desaströs, der freundliche Umgang mit Russland in dessen Staatsdopingskandal macht bis heute fassungslos. Das Dopingthema generell erfährt nicht die Aufmerksamkeit, die es braucht. Verschiedene Staatsanwaltschaften rund um den Globus untersuchen die Vergaben von Olympischen Spielen oder das Verhalten einzelner Funktionäre wie Scheich al-Sabah.

Eigentlich bräuchte das IOC mal wieder jemanden an seiner Spitze, der so auftritt wie Jacques Rogge in seinen Anfangsjahren.

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