Süddeutsche Zeitung

Sportpolitik:Das Monster schafft Verwirrung

Die sogenannte Potas-Kommission veröffentlicht ihren Zwischenbericht zu den Sommersportverbänden. Der liefert durchaus überraschende Ergebnisse - und sorgt für Irritation.

Von Johannes Aumüller und Javier Cáceres, Berlin/Frankfurt

Die Vertreter des deutschen Rudersports sind gerade etwas verwirrt. Gemeinhin zählt ihr Verband im nationalen Querschnitt nicht gerade zu den Problemfällen. Der Deutschland-Achter ist eine Institution. Bei den beiden zurückliegenden Weltmeisterschaften gab es für den DRV jeweils drei Goldmedaillen. Und auch das Abschneiden bei den Olympischen Spielen war zuletzt respektabel. Doch jetzt existiert auf einmal eine für den deutschen Sport wichtige Rangliste, die die Ruderer am Tabellenende einsortiert. "Wir nehmen das mit einigem Erstaunen zur Kenntnis", sagt der Ruder-Präsident Siegfried Kaidel dazu.

An diesem Mittwoch veröffentlichte die sogenannte Potas-Kommission ihren Zwischenbericht zu den Sommersportverbänden - und der lieferte durchaus überraschende Ergebnisse. Ausgerechnet Badminton, das noch nie eine olympische Medaille gewann, liegt ganz vorne. Und die Ruderer wiederum finden sich mit Taekwondo am Ende wieder . Die Frage ist, was das jetzt für die einzelnen Verbände und ihre finanzielle Förderung im Olympia-Zyklus 2021 bis 2024 bedeutet. Aber die Antwort darauf ist nicht so leicht. Denn Potas (Abkürzung für: Potenzialanalysesystem) und die neue Förderstruktur des deutschen Sports sind kompliziert.

Potas ist ein Instrument, das im Zuge der vor einigen Jahren beschlossenen Leistungssportreform entstand. Die Idee: Ein unabhängiges Gremium soll die künftigen Medaillen- und Erfolgspotenziale eines jeden Verbandes und einer jeden Disziplin eruieren. Fünf Personen aus der Wissenschaft und dem organisierten Sport gehören dazu, den Vorsitz hat der Potsdamer Sportwissenschaftler Urs Granacher. Im Vorjahr publizierte sie ihre Ergebnisse zu den Wintersportarten, danach widmete sie sich den Sommersportverbänden. Mithilfe eines aufwendigen Verfahrens, 13 sogenannten Haupt-Attributen und 132 Unterfragen durchkämmte das Gremium jeden Verband und legte nun einen Zwischenbericht vor, der für so viele Debatten sorgt.

Der Hauptgrund: Was von der Sportwissenschaft hochtrabend "Mikromessung" genannt wird, kommt bei den Praktikern aus der Welt des Höher, Schneller, Weiter eher als der Versuch an, sterile Erbsenzählerei zu betreiben. "Ich habe den Eindruck, dass Potas vorrangig das Produzieren von Papier und Formalismen positiv bewertet", sagt Ruder-Präsident Kaidel. Kommissionschef Granacher wiederum lobte bei einem Gespräch mit Journalisten tatsächlich den siegreichen Badmintonverband vor allem dafür, "sich unglaublich viel Mühe gegeben zu haben" - und verglich die ganze Übung mit einer Klassenarbeit, auf die sich der eine akribisch, der andere fast gar nicht vorbereite. Auch Vertreter von Sportarten, die in dem Ranking recht gut abschnitten, haben an Potas aber noch manches auszusetzen, unter anderem auch zur konkreten Auswahl der Attribute. Aber manch einer fürchtet sich gerade, zu offen zu reden; es geht ja noch darum, möglichst viele Fördermittel zu bekommen.

Dabei ist aber noch ungewiss, welche konkreten Folgen dieser Zwischenbericht hat. Das liegt zum einen daran, dass es tatsächlich nur ein Zwischenbericht ist. In der komplizierten Potas-Welt wurden bisher nämlich nur die Attribute aus dem Kriterium "Struktur" komplett bewertet. Da geht es um solche Themen wie Trainer-Fortbildung oder Gesundheitsmanagement - bis hin zur Frage, ob die Verbände einen Good-Governance-Beauftragten haben.

Doch daneben gibt es auch noch Attribute aus dem Bereich "Kaderpotenzial", die noch nicht vollständig erfasst sind, und aus dem Bereich "Erfolge", die jetzt noch gar nicht berücksichtigt sind. Denn sie lassen sich erst nach den Spielen 2020 in Tokio bewerten. Da kann sich also in dem Ranking noch vieles verschieben.

Zudem veränderte sich zuletzt auch die Rolle von Potas. Am Anfang der Spitzensport-Reform standen nach harscher Kritik des Bundesrechnungshofes zwei Ziele: die Vergabe der Mittel aus dem Bundesinnenministerium (damals 160, demnächst 260 Millionen Euro) an die Verbände transparenter zu machen; und das Geld verstärkt an jene Verbände fließen zu lassen, die Erfolge versprechen. Potas galt als das Kernstück davon. Ein unabhängiges Gremium wollte man schaffen, das alle Disziplinen sportwissenschaftlich genau beleuchten sollte - und danach sollte jede Disziplin in eines von drei "Clustern" eingestuft werden, als Basis für weitere Gespräche. Die Sportarten aus dem obersten Cluster sollten besonders viele Förderwünsche erfüllt bekommen, die Sportarten aus dem letzten quasi keine mehr. Soweit der Plan.

Aber das Verfahren ist aufgeweicht, die Bedeutung von Potas für die anstehenden Strukturgespräche ist weniger bindend als ursprünglich konzipiert. Die Attribute wurden verändert, die Gewichtung der Attribute weniger differenziert ausgestaltet, und die berüchtigten Cluster, vor denen sich die Sportverbände so fürchteten, gibt es schon gar nicht mehr. Sondern nur noch das am Mittwoch veröffentlichte Ranking.

Nun zeigt sich also, warum der Sport sich auf das Monster Potas einließ: um insgesamt mehr Geld zu bekommen. "Ohne Potas hätten wir in den letzten zwei Jahren die Aufwüchse nicht gesehen. Es war bei den Haushältern immer ein Argument dafür, zu sagen: Es scheint beim Sport jetzt wissenschaftlicher als früher zuzugehen", betonte BMI-Staatssekretär Markus Kerber. Aber welchen Nutzen Potas habe, ob das in der Theorie analysierte Potenzial in der Praxis auch wirklich ausgeschöpft wird, das könne sich frühestens in einer, eher in zwei Olympiaden zeigen. Potas sei "ein Dekadenprojekt", so Kerber.

Warum welcher Verband übrigens im Zwischenbericht auf welchem Platz landete, will die Potas-Kommission nicht im Detail mitteilen. Und das ergänzt trefflich den Eindruck, dass das Ziel, ein nachvollziehbares und transparentes Fördersystem zu schaffen, ziemlich weit verfehlt worden ist.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2019
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