Sportpolitik:Auf eine letzte Zigarette

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Am vergangenen Freitag im Alter von 77 Jahren gestorben: der Schweizer Gian Franco Kasper.

(Foto: Gepa/imago)

Gian Franco Kasper war über Jahrzehnte einer der einflussreichsten olympischen Spitzenfunktionäre. Statt Großmannssucht fiel er meist mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit auf - in jeder Hinsicht. Ein Nachruf.

Von Johannes Knuth, München

Wer in all den Jahren wissen wollte, was Sache war auf den eigentümlichen Fluren der Sportpolitik, der musste meist nur dem Zigarettenduft und der roten Cordhose folgen; jenen Accessoires, an denen man Gian Franco Kasper meist erkannte. Das trieb das Lungenkrebsrisiko der Zuhörer zwar rapide in die Höhe, aber der Schweizer Multifunktionär sagte nun mal meistens das, was andere höchstens hinter vorgehaltener Hand über die eigentümlichen Flure raunten. Zugleich stand dieses "Fossil der Sportfunktionärswelt", wie ihm die Neue Zürcher Zeitung jetzt zum Abschied hinterherrief, für ebendiese wie kaum ein anderer.

46 Jahre, ein halbes Leben, mindestens: Diese Spanne hat Kasper unter dem Dach des Ski-Weltverbandes Fis verbracht, 23 Jahre als Präsident, bis zum vergangenen Juni. Er war keiner, der ehrgeizig auf seine Posten hinarbeitete, eher rollte er auf den Schienen entlang, die schon lange für ihn ausgelegt waren. Vater Peter war 30 Jahre lang Kurdirektor im mondänen Wintersportort St. Moritz, ein Architekt der Winterspiele 1948. In diesem Biotop reifte auch Kaspers Attitüde des "Bergbauern", wie er sich und seine Mitstreiter oft nannte, halb im Scherz, aber nur halb. Gleichsam schwang bei ihm auch eine Grandezza mit, und wer jemals im Winter aus einem Hotel über den St. Moritzersee geblickt hat, unter Kronleuchtern und bei einem Apfelstrudel für zehn Franken, der weiß, wie solche Charakterzüge problemlos verschmelzen können.

Kasper hatte einst als Journalist für den Courier de St. Moritz angefangen, ein Gratisblatt für Feriengäste; später zog er für die Schweizer Tourismusbehörde nach Montreal. 1975 installierte ihn der damalige Fis-Präsident Marc Hodler als Generalsekretär des Dachverbandes, bis 1998 bekleidete er das Amt. Dann löste er Hodler, seinen Landsmann, ab, der die Fis 47 (!) Jahre gelenkt hatte. Da hatte es Kasper nicht fürchterlich schwer, als Reformer in einem in Traditionen erstarrten Verband aufzutreten, wobei später schon einiges voranging, in puncto Vermarktung und Wettkampfformaten.

Auch Kasper verpasste es, sich zum passenden Moment zurückzuziehen

Am meisten aber fiel Kaspers entwaffnende Offenheit auf: Er kritisierte immer wieder den Gigantismus der olympischen Bewegung, bei den sündhaft teuren Winterspielen von 2014 in Sotschi etwa. Dort ließ sich Kasper - anders als das deutsche IOC-Oberhaupt Thomas Bach - übrigens nicht beim Champagner mit Wladimir Putin ablichten, ehe dessen Truppen auf der Krim einfielen. Kasper schwebte immer ein wenig über den Dingen, auf einer Zigarettenwolke mit seiner Cordhose; vermutlich blieb auch deshalb vieles, was im Wintersport schieflief, lange an anderen kleben, der eine oder andere Dopingskandal etwa.

Das änderte sich erst in seiner Spätphase. Vor der Alpin-WM 2019 lästerte Kasper im Zürcher Tages-Anzeiger über den "sogenannten Klimawandel", und mit Blick auf sportive Großereignisse: "Vom Geschäftlichen her sage ich: Ich will nur noch in Diktaturen gehen, ich will mich nicht mit Umweltschützern herumstreiten." Am Ende war die Fis unter Kasper dort angekommen, wo er sie als Neu-Präsident übernommen hatte: im Reformstau festgefahren. So richtig lösen konnte oder wollte er sich aber auch nicht aus diesem Zirkel, seine Macht war jedenfalls zementiert, auch dank Allianzen mit vielen kleinen Nationalverbänden von Albanien bis Zimbabwe - da unterschied sich Kasper nicht von seinen Mitstreitern. Dass in Johan Eliasch zuletzt ein britisch-schwedischer Milliardär mit Faible fürs Hollywood-Rampenlicht zum Nachfolger gewählt wurde und nicht Kaspers Landsmann Urs Lehmann, deuten nicht wenige als ein - sehr spätes - Aufbegehren gegen den einstigen Machthaber.

"Ich habe vielleicht mehr verwaltet als sonst etwas", hatte Kasper vor zwei Jahren in der NZZ eingeräumt, "aber eines ist sicher: Ich habe diesen Sauhaufen zusammengehalten." Am Freitag ist Gian Franco Kasper im Alter von 77 Jahren gestorben.

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