Sportpädagogik:Die Wirkung des Balls

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Botschafter mit Spaß: Der frühere Nationalspieler Gerald Asamoah war in der Sportschule Oberhaching dabei. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Trainer aus aller Welt und allen Sportarten treffen sich bei Oberhaching beim Kurs "Sport für Entwicklung".

Von Thomas Hürner

Den Fußball umgibt eine Erzählung, die beinahe so alt ist wie er selbst: Er soll über integrative Kräfte verfügen, zur Verständigung der Völker beitragen und zusammenführen, was ohne ihn nie zusammenfinden würde. Er soll auch Hoffnung stiften, Perspektiven schaffen, Nöte lindern. Das blieb natürlich auch findigen PR-Spezialisten nicht verborgen, sie nahmen diese Erzählung und bauten um sie herum eine milliardenschwere Unterhaltungsindustrie auf, auch dank korrumpierter Verbände. Und deswegen stellen sich immer mehr Menschen die Frage: Kann der Fußball das alles wirklich?

Freitagmittag, Sportschule Oberhaching, grauer Himmel und jede Menge gute Laune. Gerald Asamoah, ehemaliger Nationalspieler und WM-Zweiter, turnt mit 30 Frauen und Männern über den Rasen, allesamt sind sie Sporttrainer. Sie machen eine etwas unkonventionelle Übung, der eine Partner streckt den Arm aus, der andere muss seinen Fuß drüber schwingen. Asamoahs Trainingspartnerin muss ein bisschen runter mit dem Arm, der ehemalige Schalker hat am Bauch etwas zugelegt und schwingt seinen Fuß nicht mehr so gekonnt wie noch in alten Bundesliga-Zeiten. Ein paar Meter entfernt ist Britta Heidemann, 2008 Fecht-Olympiasiegerin in Peking, sie lässt das Ganze schon etwas eleganter aussehen.

Asamoah und Heidemann sind Botschafter von "Sport für Entwicklung", einem internationalen und sportartenübergreifenden Kurs, der vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) sowie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördert und finanziert wird. Es soll nicht um Leistungssport gehen, sondern um Bildung, soziale Förderung von Kindern und Jugendlichen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die 30 Trainer und Trainerinnen kommen aus aller Welt, aus Uganda, Senegal, Kolumbien, Albanien. Die meisten sind dem Fußball zugewandt, es sind aber auch Sportarten wie Ultimate Frisbee oder das basketballähnliche Netball vertreten. In Oberhaching sollen sie sich eine Woche lang sportpädagogisch weiterbilden, neue Lehrmethoden sehen, Erfahrungen austauschen. Und dann, zurück in der Heimat, das Erlernte und die Eindrücke weitergeben.

In Jordanien etwa soll das Projekt dabei helfen, kulturelle Unterschiede zwischen der einheimischen Bevölkerung und syrischen Flüchtlingen abzubauen. Sie treiben gemeinsam Sport, begleitet von inzwischen 240 Trainern und Sozialarbeitern, insgesamt 50 000 Kinder sollen es alleine in Jordanien sein. Eine ähnliche Gemengelage gibt es auch in Kenia, wie die Fußballtrainerin Beldine Odemba, 35, berichtet: Das gesellschaftliche Klima sei aufgeheizt, politische Konflikte, rivalisierende Flüchtlingsgruppen aus Ruanda und Uganda, irgendwie kämpfe jeder gegen jeden. "Aber mit einem Ball", sagt Odemba, "können wir etwas bewirken." Erst das Spiel, dann der Austausch, die Diskussion und das gegenseitige Verstehen. Odemba sagt: "Dort, wo Fußball gespielt wird, ist es friedlicher geworden." Sie wolle nun das Programm weiter vorantreiben in der Heimat, "dann wird das alles hoffentlich riesengroß".

Nach gut einer Stunde schlendert auch der DFB-Vizepräsident Rainer Koch übers Trainingsgelände, er schüttelt allen Teilnehmern die Hand und beginnt über die Wirkungskraft des Fußballs zu referieren: Der Fußball gebe Hoffnung, er bringe Menschen in Kontakt, er stärke den Respekt vor anderen Menschen und Toleranz. "Und klar, die anderen Sportarten natürlich auch." Das Beispiel, das der Fußballfunktionär dann anführt, ist sogar ziemlich einleuchtend: Es sei schwer, Jugendliche für eine HIV-Aufklärungsveranstaltung zu begeistern, "aber wenn bei dieser Veranstaltung zusätzlich Fußball gespielt wird, dann sind auf einmal ganz viele da".

Wenig später nehmen sich die Teilnehmer in die Arme, sie tanzen und singen im Kreis, auch Koch schwingt die Hüften. Eine Spielart des brasilianischen Capoeira, initiiert vom jordanischen Trainer Hussein Dare Rajeb Aizaben. Er erzählt hinterher: "Es geht darum, mit der Situation klarzukommen, man betet für ein schnelles Ende des Leids." Koch sagt mit Blick auf die vielen Fehlentwicklungen im Fußball: "Nur weil in der Vergangenheit viel schief gelaufen ist, werden wir solche Dinge nicht lassen. So lässt sich verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen."

© SZ vom 28.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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