Sportler des Jahres:Es glitzert von den Rändern her

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Ein Mann, fünf Frauen: Die Sportgymnastin Darja Varfolomeev (links), der Ruderer Oliver Zeidler und die 3×3-Basketballerinnen Elisa Mevius (2.v.l), Svenja Brunckhorst, Sonja Greinacher und Marie Reichert sind die Sportler des Jahres in Baden-Baden. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Drei Paris-Goldgewinner als Sportler des Jahres: Bei der Gala zeigt sich der Wert des Randsports in einem vom Fußball dominierten System. Doch während die Preisträger bis zu den nächsten Spielen wieder im Schatten trainieren, warten strukturelle Herausforderungen.

Von Sebastian Winter

Wer vom Fremersberg hinunter nach Baden-Baden fährt, auf der L84a, der passiert auch den Luxus, für den das mondäne Kurstädtchen noch immer steht. Die Rebhänge exquisiter Weingüter fallen zu beiden Seiten ins Tal, teure Restaurants flankieren das Sträßchen, bald erscheint der sehr hügelige Golfplatz. Jahresbeitrag im dortigen Club, dessen Präsident um 1900 herum mal Willy A. Roosevelt war, ein Neffe des späteren US-Präsidenten: 1200 Euro, Aufnahmegebühr 1500 Euro, Investitionsumlage 5113 Euro. Zum Kurhaus, das alljährlich Schauplatz der Wahl zum Sportler des Jahres ist, Kaiserallee 1, führt danach ein mit Villen gesäumtes Sträßchen.

Hinein also in den Bénazetsaal, seit Jahren auch ein feiner Seismograph für die Stimmungen im deutschen Sport. Und man kann sagen, ein schöner Kontrast übrigens zum noblen Schauplatz: Die Wahl fiel auf jene, die im Grunde nur alle vier Jahre mal so richtig leuchten dürfen, wie in diesem Jahr bei den Olympischen Spielen in Paris; die abseits der Aufmerksamkeit trainieren und bei denen selbst Welt- und Europameisterschaften eher unter dem öffentlichen Radar laufen.

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Die Rhythmische Sportgymnastin Darja Varfolomeev ist also Sportlerin dieses Jahres 2024, der Ruderer Oliver Zeidler Sportler des Jahres, als Mannschaft des Jahres wurden die 3×3-Basketballfrauen ausgezeichnet. Alle Sieger haben in Paris Gold gewonnen. Und alle drei schreiben ihre eigenen Aufsteiger- und Comeback-Geschichten, solche eben, die das Publikum so liebt.

Varfolomeev, die als Zwölfjährige alleine ohne ihre Eltern aus Westsibirien nach Deutschland kam, kaum ein Wort Deutsch sprach, in Schmiden bei Stuttgart zur Kaderathletin wurde und nun, mit 18, in Paris mit ihrer Kür das Publikum verzauberte. Nach eigenen Angaben trainiert sie fast 50 Stunden pro Woche.

Ruderer Zeidler (rechts) bekommt die Auszeichnung von einem Vater Heiner Zeidler. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Zeidler, der in Dachau in eine Ruderfamilie hineingeboren wurde, schon der Großvater und die Tante hatten Olympiagold gewonnen. Der abseits der Verbandsstrukturen mit seinem Vater trainiert, dann aber in Tokio 2021 als Favorit sportlich unterging in seinem Einer, Aus im Halbfinale. Drei Jahre später ruderte der nun technisch, taktisch und auch mental gereifte 28-Jährige die Konkurrenz in Vaires-sur-Marne östlich von Paris in Grund und Boden. Sein Vater hielt mit brüchiger Stimme die Laudatio, es war einer der berührendsten Momente dieses an Ovationen nicht armen Abends.

Schließlich die 3×3-Basketballerinnen Svenja Brunckhorst, Sonja Greinacher, Marie Reichert und Elisa Mevius, die im vergangenen Sommer das wohl überraschendste Gold aus deutscher Sicht gewannen. In einem Sport, der hierzulande überhaupt keine Strukturen hat, als „Start-up, getragen von viel intrinsischer Motivation“, aber ohne jegliche mediale Aufmerksamkeit, wie Greinacher später sagte. Ihr Coach Samir Suliman gewann wie Ute Schinkitz vom Para-Schwimmen in der Kategorie „Trainer des Jahres“, was zu diesem von den Rändern her besonders glitzernden Abend passte (die Synchronschwimmerin Klara Bleyer ist „Newcomerin des Jahres“, die Turnerin Kim Bui „Vorbild des Sports“). Suliman sagte später: „Leverkusen hat Unfassbares geleistet. Aber wir haben doppelt so viele Stimmen bekommen. Das ist crazy. Wir sind in kürzester Zeit zum Olymp aufgestiegen. Es ist sehr flashy, hier in Baden-Baden zu sein.“

Synchronschwimmerin Klara Bleyer, die Newcomerin des Jahres. (Foto: Eibner-Pressefoto/Memmler/Imago)

Dem Fußball blieb also diesmal nur die Nebenrolle. Bayer Leverkusen durfte endlich mal wieder Zweiter werden, diesmal in der Kategorie „Mannschaft des Jahres“, und Toni Kroos, geehrt mit dem „Lifetime“-Award, nahm den Preis fürs Lebenswerk per Videoschalte eher mit dezenter Freude entgegen.

Später dann, nach Kalbsfilet und Gamba neben französischer Kartoffelmousseline und Champagnerbernaise mit Blattgold, und nachdem die zweitplatzierte Kugelstoß-Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye die Ehrung mit einer Gesangseinlage samt ihres Gospelchors abgerundet hatte, wurden auch die Brüche dieses Abends deutlich. Riesige Herausforderungen warten ja auf den deutschen Sport, dessen Olympiabilanz von Paris die schlechteste seit der Wiedervereinigung war. Er bangt um seine Glaubwürdigkeit, um Fernsehzeiten, lebt vielerorts fort in verkrusteten Strukturen – und über allem schwebt die Frage, wie es weitergeht mit der Finanzierung nach der Bundestagswahl.

Yemisi Ogunleye, Olympiasiegerin im Kugelstoßen, singt mit ihrem Gospelchor. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Und so fügten sich nach der Preisverleihung all diese Themen im Kleinen zusammen. Bei Zeidler, der mit dem Vater als Trainer und dem Großvater als Mentor quasi als Familienbetrieb Olympiasieger wurde. Und der nun im Kurhaus-Restaurant auf dem Podium sagte: „Ich habe mich mit meinem Vater 2021 aus den Verbandsstrukturen rausgezogen, weil sie zu träge sind und nicht die Bedingungen schaffen, die wir als Athleten brauchen. Die Gelder müssen näher zu den Sportlern kommen, nicht in die Verwaltung gesteckt werden, denn das ist dämlich.“ Die Basketballerin Brunckhorst hielt indes ein Plädoyer für mehr Sichtbarkeit und Förderung in ihrem jungen Sport: „Wir müssen erst mal Strukturen schaffen. Wir haben aktuell nur einen Bundesstützpunkt, es gibt keinen Ligenbetrieb und mit Hannover nur einen Ort für gemeinsames Training.“ Wie sollen da Olympiasiegerinnen und -sieger von morgen reifen?

Zumal Sportchef Yorck Polus vom ZDF, das die Ehrung aus Baden-Baden übertrug, in der spätabendlichen Runde von einem „komplett fragmentierten Markt“ sprach. Bei mehr als 40 olympischen Sportarten und vielen weiteren nicht-olympischen Disziplinen „müssen wir auswählen. Und das, was wir senden, muss sexy sein.“ Eine Ruder-DM vor 150 Zuschauern auf der Tribüne ist eher das Gegenteil – und in der medialen Nahrungskette daher auch eher der Krümel, der auf den Boden fällt.

Apropos Krümel: Das überdimensionale Croissant, das locker die Länge eines Ruderblattes maß und das Zeidler auf einem Silbertablett serviert wurde, hatte der 2,03-Meter-Mann da längst verspeist. Es sind ja noch dreieinhalb Jahre hin bis zu den nächsten Sommerspielen in L.A. Zeit also, sich auch mal Luxus zu gönnen.

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