Sportler mit Down-Syndrom:Pause wenn die Pulsuhr piepst

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Lust am Sport wie andere auch: Der Laufclub 21 aus Fürth bei einer Laufveranstaltung am Welt-Down-Syndrom-Tag am vergangenen Samstag. (Foto: Norbert Wilhelmi)

Viele Menschen seien immer noch verunsichert im Umgang mit geistig Behinderten, sagt die Sport-Heilpraktikerin Anita Kinle. Der Ausdauersport biete Menschen mit Down-Syndrom die Chance, das zu ändern. Es gibt aber auch Risiken.

Interview von Anna Carina Bauerdorf, München

2007 gründete die Sport-Heilpraktikerin Anita Kinle im fränkischen Fürth den Laufclub 21, um Menschen mit dem Down-Syndrom die Möglichkeit zu geben, in der Gruppe Ausdauersport zu treiben. Das Down-Syndrom, auch Trisomie 21 genannt, entsteht durch eine angeborene Genmutation, bei dem das 21. Chromosom dreimal statt wie bei den meisten Menschen nur zweimal vorhanden ist, was eine körperliche und teilweise auch geistige Beeinträchtigung zur Folge hat. Bis heute ist der Laufclub 21 auf rund 200 Mitglieder angewachsen. Ein Gespräch über das Ausschöpfen von Potenzialen, das Überwinden von Grenzen und die Fähigkeit, die Kleinigkeiten des Lebens zu genießen.

SZ: Wie ist die Idee entstanden, einen Laufverein für Menschen mit dem Down-Syndrom zu gründen?

Anita Kinle: Ich habe selber einen Sohn mit Trisomie 21. Im Jahr 2007 bin ich auf die Geschichte des Briten Simon Beresford gestoßen. Er hat als erster mit dem Down-Syndrom einen Marathon absolviert. Davor hatte man noch gar nicht gewusst, dass diese Menschen zu Ausdauerleistungen fähig sind. Simon kam vom Land, dort war es für alle selbstverständlich, dass er ganz normal mitlaufen durfte. Durch den Kontakt mit ihm entstand die Idee, auch in Deutschland einen Verein zu gründen, in dem laufbegeisterte junge Erwachsene ihr Potenzial ausschöpfen können. Leider werden sie hierzulande viel zu wenig gefördert.

Woran, denken Sie, liegt das?

Es wird fast keine Potenzialforschung betrieben. Menschen mit Down-Syndrom werden gefördert und unterstützt, um ihre Schwächen und Schwierigkeiten im Alltag auszugleichen. Doch nur wenige in der Gesellschaft fragen sich: Wo liegen ihre Stärken, ihre Talente?

Mit Ihrem Laufclub nehmen die Sportler auch an regulären Wettkämpfen teil, um sie in die Sportgemeinschaft zu integrieren. Erleben Sie Berührungsängste seitens der Läufer ohne Einschränkungen?

Es sind nicht so sehr Berührungsängste, es ist eher eine allgemeine Unsicherheit. Einige Menschen wissen nicht, wie sie mit ihnen umgehen können, ob sie sie verstehen, ob sie überhaupt sprechen können. Das liegt am großen Informationsdefizit der Gesellschaft, was das Down-Syndrom betrifft. In Deutschland leben rund 50 000 Menschen mit Trisomie 21. Jetzt, wo sie durch den Sport mit ihnen zusammengeführt werden und sich unser Konzept bereits herumgesprochen hat, weicht die Unsicherheit einer Offenheit und Freude. Die anderen Läufer merken, dass es eigentlich ganz normale Menschen sind, die ebenso viel Spaß am Laufen haben wie sie. Überall, wo wir teilnehmen, werden wir mittlerweile mit großer Begeisterung und großem Interesse empfangen.

Welche Herausforderungen gibt es beim Ausdauertraining für Menschen mit Down-Syndrom?

Sie haben ein orthopädisches System, dass sich langsamer an den Ausdauersport anpasst als bei anderen Sportlern, die Bänder und Sehnen etwa sind weicher. Deswegen muss man den Trainingsumfang langsamer steigern als es im Lehrbuch steht. Außerdem funktioniert ihr Stoffwechsel anders, es dauert länger, bis die in den Muskeln gespeicherte Glukose als Energie zur Verfügung steht. Eine ausreichende Kohlehydrat- und Flüssigkeitszufuhr ist hier besonders wichtig. Wir haben auch einige Sportler mit Herzfehler, was oft eine Begleiterscheinung des Down-Syndroms ist. Sie bekommen eine Pulsuhr, und wenn es piepst, müssen sie eine Pause machen. Ihre Trainingspläne sind mit den Kardiologen und Hausärzten abgesprochen.

Wie kann das Laufen Menschen mit Down-Syndrom helfen?

Wir erleben es immer wieder, wie sie selbstbewusster werden, präsenter. Die Sprachfähigkeit verbessert sich, weil sie merken, dass man sich für sie interessiert, und sie dadurch mehr Freude am Sprechen haben. Sie genießen es, einfach mal am ganz normalen gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Dass ihre Stärken unterstützt werden und sie Erfolgserlebnisse wie einen Zieleinlauf haben, was für andere Sportler selbstverständlich ist.

Was sind Ihre Ziele für die Saison 2015?

Abseits vom alltäglichen Lauftraining bieten wir unseren Sportlern jedes Jahr eine neue besondere Herausforderung. Wir fördern ihre Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, daran zu wachsen und Grenzen neu zu definieren. Wir wollen, dass sie offen für Neues sind und sich darauf einlassen. Im vergangenen Jahr haben wir beispielsweise die Zugspitze bestiegen, in diesem Jahr werden wir durch den Rothsee schwimmen. Das ganze Jahr über trainieren wir dafür, die Sportler bekommen Trainingspläne, bei Bedarf wird auch eine Leistungsanalyse von einem Sportmediziner durchgeführt. Wenn die Leute skeptisch auf meine Pläne reagieren und sich fragen, ob die Anforderungen nicht vielleicht zu hoch sind, dann weiß ich, dass es genau der richtige Plan ist.

Was kann die Gesellschaft von Menschen mit dem Down-Syndrom lernen?

Diese Menschen haben eine unglaubliche Fähigkeit, die Kleinigkeiten zu genießen. Ich nenne es die "Entschleunigung des Alltags" - wenn ihnen Dinge gefallen, lassen sie sich dafür Zeit. Die Flüchtigkeit des Moments existiert bei ihnen nicht, sie leben jeden Moment ganz bewusst. Leider wird der Wert des Menschen heutzutage daran gemessen, was er für die Gesellschaft leisten kann, an seinen Fähigkeiten, am Alltag teilzunehmen. Auch daran liegt es, dass Menschen mit dem Down Syndrom oft auf ihre Defizite reduziert werden.

Hat das Zusammenleben mit Ihrem Sohn Ihre Sichtweise auf das Leben verändert?

Mein Leben hat sich völlig verändert. Früher war ich Bankdirektorin und ganz in die materielle Welt eingebunden. Jetzt bin ich Sport-Heilpraktikerin und fördere Menschen mit dem Down-Syndrom, und darüber bin ich sehr froh.

© SZ vom 27.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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