Sportler des Jahres:Ohne Seepferdchen zum Pontifex

Phelps-Bezwinger, Charakter-Werferin, neue Frauen: Journalisten wählen die Sportler des Jahres.

Drei Porträts

Seit 1947 wählen die deutschen Sportjournalisten ihre "Sportler des Jahres". Auch ohne olympische Spiele standen dabei 2009 zwei olympische Kernsportarten im Mittelpunkt: Speerwerferin Steffi Nerius warb bei der Leichtathletik-WM in Berlin für sich, Schwimmer Paul Biedermann zeigte bei der Weltmeisterschaft in Rom Verblüffendes. Im vergangenen Jahr waren der Gewichtheber Matthias Steiner und Schwimmerin Britta Steffen als Sportler und die deutschen Hockey-Männer als Mannschaft des Jahres gekürt worden. Bei der Teamwertung setzen sich dieses Mal ebenfalls die Frauen durch: die Frauenfußball- Nationalmannschaft, die in Finnland mit einem 6:2 im Finale gegen England Europameister wurde.

Die Werferin

In ihrer Karriere als Sportlerin ist es Steffi Nerius manchmal so vorgekommen, als schauten die Leute an ihr vorbei. Sie war längst eine Speerwerferin der Weltklasse, hatte Silber bei der EM 2002 in München gewonnen und Bronze bei der WM 2003 in Paris, aber sie tat sich schwer bei der Sponsorensuche und um sie herum erstrahlten andere im Hochglanz der Medien: Zum Beispiel Ingo Schultz, der 400 Meter-Europameister von 2002, oder Sina Schielke, die 100-Meter-Blondine ohne internationalen Titel bei den Erwachsenen. Charakter-Werferinnen taugen nicht zum Prominentenstatus neben den Schönen und Schnellen, das war die Botschaft, in die sie sich mit leisem Murren fügte.

Aber jetzt? Steffi Nerius ist eine der angesehensten Frauen des deutschen Sports, und sie hat sich dazu nicht in ein Glamour-Girl verwandeln müssen. Sie hat sogar ihre augenzwinkernde Art beibehalten können, die sie immer schon dem eitlen Medienbetrieb entgegensetzte. Als Athletin und Persönlichkeit hat sie sich dieses Ansehen verdient, das sich nun auch in dem Titel Sportlerin des Jahres ausdrücken würde. Zumindest ist die Hoffnung, dass Steffi Nerius die ganzen Ehrerbietungen zum Karriereende mit 37 Jahren nicht nur wegen ihrer vielen Medaillen erreicht hat.

Plaketten aller Farben hat sie bei den großen Meisterschaften errungen, als Silber-Gewinnerin bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 war sie einer der wenigen Lichtblicke des kriselnden Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), danach diente sie mit EM-Gold 2006, zwei Mal WM-Bronze (2005, 2007) und zuletzt mit ihrem Weltmeistertitel in Berlin als aktive Zeugin des DLV-Aufschwungs.

Medaillen gewinnen viele, oft auch um jeden Preis, gerade in der Leichtathletik. Steffi Nerius aber hat mit ihrer langen Karriere ein Zeichen als mündige Athletin gesetzt, die ihr Heil nicht nur in der Aufgabe sucht, einen Speer möglichst weit zu werfen. Sie hat als junge Erwachsene schon einen harmonischen Übergang gefunden aus dem Sportsystem der DDR, das sie als Rostocker Sportschülerin noch erlebte, in ein freies Athletinnendasein bei Bayer Leverkusen. Sie hat studiert. Sie ist Diplom-Sportlehrerin geworden. Und sie hat schon während ihrer aktiven Laufbahn in dem Job gewirkt, in den sie in diesem Herbst aus ihrem Sportlerinnendasein gewechselt ist: als Trainierin in der Behindertensport-Abteilung von Bayer Leverkusen.

Alles, was eine Sport-Karriere reich macht, hat Steffi Nerius erlebt: Verletzungen, Konkurrenzkämpfe, bittere Niederlagen, den ein oder anderen Fehler, große Siege. Schließlich: das perfekte Ende auf der Höhe ihrer Schaffenskraft und mit der Erkenntnis, dass Kampf nicht heißt, den Erfolg erzwingen zu wollen. Der Speer fliegt nicht, wenn man ihn mit Gewalt auf die Reise schickt. Es kommt darauf an, die Kräfte in die richtige Richtung wirken zu lassen. Das ist die Erfahrung der Charakter-Werferin Steffi Nerius, und von der können nicht nur Sportler etwas lernen.

Biedermann: Der Wettkämpfer

Der Wettkämpfer

Sportler des Jahres: Siegweite 67,30 m: Speerwerferin Steffi Nerius holt zum Abschluss ihrer Karriere in Berlin WM-Gold.

Siegweite 67,30 m: Speerwerferin Steffi Nerius holt zum Abschluss ihrer Karriere in Berlin WM-Gold.

(Foto: Foto:)

Oft ist es auch der Glanz der Umgebung, der einen zum Leuchten bringt. Schon deshalb dürfte die Wahl bei den Männern kaum an Paul Biedermann vorbeikommen, den Schwimmer aus Halle an der Saale, der mit dem Rad zum Training strampelt, weil er Autofahren für Exzentrik hält. Biedermann, 23, hat im Juli zwei Weltstars die Hand schütteln dürfen. Der eine zog sich auf sehr irdische Weise eine als Gastgeschenk überreichte Schirmmütze über die Stirn. Der andere stand neben Biedermann auf dem Siegerpodest, genauer: eine Stufe tiefer, er knurrte "good race", dann eilte er davon. Der eine Weltstar war der Papst. Der andere Michael Phelps.

Seine WM-Titel über 200 und 400 Meter Freistil in Rom, jeweils in Weltrekordzeit, haben Biedermann zu einer Führungsfigur seines Sports gemacht. Doch erst die Tatsache, dass er den Amerikaner Phelps hinter sich ließ, hüllte den Deutschen in einen fast magischen Glanz. Wie stellt man das an: 1:42,00 Minuten über 200 Meter, eine Sekunde schneller als Phelps' Weltrekord ein Jahr zuvor? Wie demütigt man eine Legende?

Eine Geste, zwei Antworten: Immer vor dem Start klopft sich Paul Biedermann mit der Faust auf die Brust. Dass dort ein Wettkämpfer-Herz schlägt, hat sich herumgesprochen, Biedermann verkörpert fast idealtypisch all die Tugenden, die den deutschen Schwimmern so lange gefehlt haben: Wettkampfhärte, mentale Stärke. Aber zwangsläufig klopft Biedermann auch jedes Mal auf die Polyurethan-Haut seines High-Tech-Anzugs, was ein Hinweis darauf ist, dass die chemische Industrie das Weltschwimmen zu einer Freak-Show gemacht hat. Phelps, der bei der WM das Vorjahres- modell trug, ist und bleibt "der bessere Schwimmer", das hat Biedermann in Rom zugegeben.

Noch im Frühjahr war Biedermann wochenlang vom Epstein-Barr-Virus gestoppt worden, in Rom fehlten ihm 300 Trainingskilometer. Wer unter diesen Umständen gegen Phelps triumphiert, krault ins Grau des Misstrauens hinein, auch dieser Debatte hat sich Biedermann gestellt: Er hat vorgerechnet, wie oft er getestet wird (wissend, dass das nichts heißen muss), und er hat das Blutkontroll-Programm des Weltverbands kritisiert, das so lückenhaft ist, dass es Zweifel eher befördert als zerstreut. Aber er hat sich seine Freude nicht verbieten lassen. "Zu Brei gemacht" habe ihn dieser Biedermann, hatte Phelps in Rom ausgerufen. Wie erschüttert er wohl wäre, verriete man jetzt noch, dass Paul Biedermann einst durch die Seepferdchenprüfung gefallen ist?

Fußball: Die neuen Frauen

Paul Biedermann: Der Wettkämpfer

Stark: Paul Biedermann glänzt bei der Schwimm-WM.

(Foto: Foto: dpa)

Die neuen Frauen

Seit ein paar Tagen liegen beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) die druckfrischen Exemplare eines großformatigen Kalenders des Fotokünstlers Horst Hamann. Mehr als ein Kilogramm wiegt das fenstergroße Werk, und mit 24 Schwarz-Weiß-Bildern macht das Hochglanzprodukt auf den ersten Blick klar, mit welcher Botschaft die abgebildeten Sportlerinnen an die Wand gehängt werden möchten: Der Frauenfußball hat an Gewicht gewonnen in der Sportlandschaft, und so präsentiert sich der Kader der deutschen Frauenfußball-Nationalelf mal nachdenklich, mal gewitzt, vor allem aber selbstbewusst.

Dass die Fußballerinnen nun schon zum zweiten Mal nach dem WM-Titel 2003 zur Mannschaft des Jahres gewählt werden dürften, liegt nicht allein an der neu gewonnenen Souveränität, mit der die Spielerinnen ihren Sport an die Öffentlichkeit tragen. Es liegt auch an dem, was Bundestrainerin Silvia Neid lange als Generationenwechsel angekündigt und in diesem Sommer bei der EM vollzogen hat: Am Umbau der Elf zu einer Gemeinschaft, die mehr als nur ihren Sport beherrscht.

Als die Frauenelf des DFB am 10. September das EM-Finale in Helsinki 6:2 gegen England gewann, feierten Deutschlands Fußballerinnen nicht nur ihren insgesamt siebten EM-Sieg. Die Mannschaft staunte wie auch die 7,47 Millionen TV-Zuschauer über eine Turnierleistung, auf die sie selbst schon bei Olympia 2008 gehofft hatte: Ungerührt von Aufregung und Erwartung zog etwa die erst 19-jährige Kim Kulig im Mittelfeld die Fäden. Erleichtert durch ein klärendes Gespräch mit der Bundestrainerin im Spätherbst 2008 traf Stürmerin Inka Grings mit großer Konstanz. Und Rekord-Nationalspielerin Birgit Prinz entschloss sich nach zwei Toren im Finale, die Mannschaft noch bis zur Heim-WM 2011 zu führen.

Trotz der Erfolge freuen sich die Spielerinnen mit ehrlicher Begeisterung, wenn - wie im April - 45.000 Menschen nach Frankfurt zu einem Spiel gegen Brasilien kommen, oder wenn - wie im Oktober - beim Test gegen die USA das Stadion in Augsburg mit 29.000 Fans erstmals ausverkauft ist. "Da geht es nicht ums große Geld", hatte Bundespräsident Horst Köhler beim EM-Finale im Stadion erkannt. Unter anderem das ist es, was die deutsche Frauenfußball-Nationalelf für den Titel "Mannschaft des Jahres" prädestiniert.

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