Sportler des Jahres:Kerber: "Ich bekomme nach wie vor Gänsehaut"

'Sportler Des Jahres' Award 2016

Sportlerin des Jahres: Angelique Kerber mit ihrer Auszeichnung

(Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Bei der Auszeichnung zur "Sportlerin des Jahres" spricht die Tennisspielerin über einen sportlichen Wendepunkt und ihr Treffen mit Obama. Turner Hambüchen zeigt sich bewegt.

Von Matthias Schmid

Einen der größten Momente ihres märchenhaften Jahres erlebte Angelique Kerber nicht auf dem Tennisplatz, sondern vor ein paar Wochen in einem Berliner Hotel. Einer Weltranglistenersten und zweifachen Grand-Slam-Turniergewinnerin öffnen sich plötzlich Türen, die Anfang des Jahres für die damals noch weitgehend unbekannte Kerber so verschlossen schienen wie für einen Hobbytennisspieler die Kabinen in Wimbledon.

Im November nämlich traf Kerber Barack Obama in Berlin zum Mittagessen und plauderte mit dem "super Typen", wie sie den US-Präsidenten am Sonntagabend lässig nannte. "Unglaublich" sei es gewesen, "ihm wirklich real zu begegnen".

Im Kurhaus von Baden-Baden nahm die Tennisspielerin am Sonntagabend von ihrer langjährigen Freundin Julia Lenhart die Trophäe zur Sportlerin des Jahres 2016 entgegen, die noch aufgeregter war als Kerber selbst. Die 28-jährige Kerber gewann mit großem Vorsprung vor der Biathlon-Weltmeisterin Laura Dahlmeier und der Bahnrad-Olympiasiegerin Kristina Vogel.

Solche Abende sind für Kerber immer noch ziemlich speziell - auch wenn sie sich im rückenfreien Glitzerabendkleid mittlerweise selbstverständlicher bewegt. "Ich bekomme nach wie vor Gänsehaut, wenn ich hier stehe und das alles erzähle", sagte Kerber ehrlich. Am liebsten lässt sie nach wie vor den Schläger für sich sprechen.

Zum siebzigsten Mal schon haben die Sportjournalisten die prägenden Sportler des Jahres gewählt. Zum zehnten Mal führten Katrin Müller-Hohenstein und Rudi Cerne durch den Abend. Die Sportmoderatoren des ZDF taten das angemessen festlich und hielten sich in den kurzen Gesprächen mit den Siegern angenehm zurück. Im Vordergrund standen tatsächlich die Sportler und ihre Bilder des Jahres.

Hambüchens Befürchtungen wurden nicht wahr

Es war ein Jahr mit atemberaubenden und berührenden Szenen, ein Jahr voller Gegensätze, ein Jahr, in dem zudem belegt werden konnte, dass Doping ein noch ernsteres Problem darstellt, als alle glauben wollten. Das ZDF sparte die dunklen Seiten nicht aus.

Doch Manipulation und Betrug waren nicht die Themen von Fabian Hambüchen, der nach 2007 zum zweiten Mal die Ehrung gewann, vor Ironman-Sieger Jan Frodeno und Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg. Der Turner Hambüchen holte sich bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro in seinem letzten internationalen Wettkampf Gold am Reck. Im Stehen feierten die Gäste in Baden-Baden Hambüchens Wahl und applaudierten so lange, bis die Augen des 29-Jährigen vor Rührung glänzten und feucht wurden.

"Der Moment, als ich siegte, war emotional der krasseste für mich", sagte Hambüchen, "aber ich habe meinen Olympiasieg noch nie so realisiert wie jetzt gerade." Sechs Monate vor seiner großen Gold-Kür war er auf die Schulter gefallen. Olympia schien weit weg - sogar für immer. "Ich dachte, dass ich womöglich gar nicht mehr turnen könnte", sagte Hambüchen. Erst acht Wochen vor seinem Start in Rio konnte er wieder vernünftig üben. Ohne große Schmerzen.

Ein Duo kämpfte lange mit Verletzungen

Solche Tiefpunkte kennen auch andere Sportler des Jahres 2016. Auch die Mannschaft des Jahres, die eigentlich ein Duo ist, kämpfte lange mit schwerwiegenden Verletzungen. Dafür sinnbildlich stand Laura Ludwig in Baden-Baden, die ihren rechten Arm nach einer Schulteroperation noch einige Wochen in einer Schlinge stützen muss.

Gemeinsam mit Kira Walkenhorst hatten die beiden in Rio als erste europäische Beachvolleyballerinnen überhaupt eine olympische Medaille gewonnen, es wurde auf Anhieb die goldene an der Copacabana, dem Sehnsuchtsort ihrer Sportart. 75 Tage hatten sie nach ihrem letzten Saisonspiel pausiert, entspannt, das Leben genossen. "Am Anfang war es schon schwierig und wir waren wenig motiviert, in den Sand zurückzukehren", bekannte Walkenhorst, "aber wir haben noch Ziele und bei der WM etwas gutzumachen."

Steffi Graf war schon immer da, wo Kerber jetzt hinkommt

Ein wundersamer Aufstieg liegt auch hinter Angelique Kerber. Sie ist die erste Tennisspielerin seit Steffi Graf, die die Auszeichnung zur Sportlerin des Jahres errungen hat. Graf gewann 1999, im Jahr ihres Rücktritts, die letzte ihrer fünf Ehrungen. Steffi Graf war immer schon da, wo Angelique Kerber jetzt hinkommt. Aber die Vergleiche mit der großen deutschen Tennisspielerin beeindrucken sie nicht mehr. Kerber begegnet ihnen mit einem beseelten Lächeln.

Vor einem Jahr sah das noch ganz anders aus. "Das soll nicht klappen mit mir, oder?", schrieb die Linkshänderin noch Ende des Jahres 2015 in einer Kurznachricht an die Bundestrainerin Barbara Rittner. Sie war frustriert, weil es mit den ganzen großen Triumphen nichts zu werden schien. Auch bei den nachfolgenden Australian Open musste Kerber in der ersten Runde gegen die Japanerin Misaki Doi zunächst einen Matchball abwehren. "Das war der Wendepunkt", sagte Kerber. Nicht nur in Melbourne, wo sie später im Finale gegen Serena Williams ihren ersten Majortitel holte, sondern ihrer ganzen Karriere.

Kerber erreichte noch die Endspiele in Wimbledon und bei den Sommerspielen in Rio, ehe sie bei den US Open zur Nummer eins der Welt aufstieg und ihr zweites Grand-Slam-Turnier gewann. Tennis ist wieder sexy oder wie es die deutsche Schauspielerin Jessica Schwarz in einer kleinen Videobotschaft für Kerber treffend ausdrückte. "Es macht endlich wieder Spaß, Tennis im Fernsehen anzugucken." Nur auf ein Treffen mit dem neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten hat Angelique Kerber keine Lust, wie sie in Baden-Baden unter großem Gelächter verriet.

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