Sportimperium von Red Bull:Zwischen Genialität und Größenwahn

Lesezeit: 6 min

Dietrich Mateschitz: Besondere Visionen mit Red Bull im Sport (Foto: imago sportfotodienst)

Formel 1, Fußball, das deutsche Eishockey: Red-Bull-Chef und Mäzen Dietrich Mateschitz hat im Sport immer noch viel vor. In einem neuen Trainingsareal in Salzburg verwirklicht er jetzt seine gigantische Vision von der Zukunft des Sports.

Von Michael Neudecker, Salzburg

Über dem Eingang steht in vor langer Zeit aufgemalten Buchstaben "Gasthaus Gann" und "Landeshauptschießstand", drinnen sitzen alte Männer in alten Joppen an alten Gasthaustischen, in der Luft hängt Zigaretten-Zigarren-Gemisch, laut dem Tafelschild neben der Tür ist die frische Hirschwurst im Angebot; wie es aussieht, jeden Tag. Wenn das Wetter schön ist, kann man draußen sitzen, ein paar Meter weg von den Baggern, den schon fertigen Kunstrasenplätzen, man kann von hier aus gut das Logo sehen, das an einem der Gebäude hängt: das mit den zwei Bullen, die aufeinanderprallen.

Salzburg-Liefering, früher war hier mal eine Pferderennbahn, zu Tausenden sind die Leute manchmal hierhergeströmt, aber das ist schon ein paar Jahre her. Stehen geblieben ist nur das Gasthaus und drinnen die Zeit. Wer jetzt hierher will, muss über Feldwege durch Schrebergärten fahren, die Flut hat die Straße weggespült, es ist ein wenig mühsam, aber dann: kann man in der alten Welt sitzen und der neuen beim Wachsen zuschauen.

In Liefering, ausgerechnet. Hier hat alles angefangen, damals, im Sommer 1987, nur ein paar Straßen stadteinwärts.

Ochsengalle statt Zahnpasta

Dietrich Mateschitz aus Sankt Marein im Mürztal, Steiermark, vom Wirtschaftsmagazin Forbes geschätztes Vermögen vier Milliarden Euro, war 1987 ein 43-jähriger Österreicher, den niemand kannte. Ein paar Jahre vorher war er, Marketingdirektor der Zahnpasta-Firma Blendax, in Asien gewesen, er hatte da ein Getränk probiert, mit dem er den Jetlag überwand, es heißt "Krating Daeng" ("Roter Stier") und beinhaltet Koffein und Taurin, eine organische Säure, die aus der Galle eines Ochsen isoliert wurde. Mateschitz kaufte die Lizenzrechte, so ging das los mit Red Bull.

Und dann, an einem Sommertag 1987, der Auftritt in Liefering: im Hartlwirt.

Pressekonferenz, so hieß das damals auch schon, der neue Sponsor des finanziell schwer angeschlagenen Eishockeyklubs Salzburger EC stellt sich vor, ein gewisser Mateschitz, der gerade erst, vor ein paar Monaten, ein neuartiges Getränk auf den Markt gebracht hat. Es wird geredet und vor allem getrunken, Red Bull gespritzt mit Sekt, am Abend haben manche Verdauungsprobleme.

Der Salzburger EC ging am Saisonende trotzdem pleite, die Schulden waren zu hoch, aber ohne Mateschitz, sagen sie in Salzburg, hätten sie nicht einmal das Saisonende erlebt. Für Mateschitz war das der Anfang von allem, es war das erste Sportsponsoring seiner damals so jungen Marke. Er fand, Eishockey passt gut zum Image, das er Red Bull geben wollte: wilde Kerle, harte Burschen, Action, Energy.

Die Hartlwirt-Welt ist längst Vergangenheit. Wenn man heute mit Dietrich Mateschitz reden will, schickt man seiner Assistentin E-Mails, meistens bekommt man eine Absage, der volle Terminkalender, "Sie verstehen?" Red Bull ist ein Weltkonzern, der Markenwert liegt derzeit bei 15,28 Milliarden Euro, Dietrich Mateschitz, nächstes Jahr 70, ist Red Bull, und das wäre schon die Antwort auf die Frage, warum das mit dem Sportsponsoring so explodiert ist.

Warum Red Bull mit Servus TV vor einem Jahr die Übertragungsrechte an der Deutschen Eishockey-Liga gekauft hat und dann den EHC München; warum der Konzern angeblich allein für das erste Jahr 13 Millionen Euro in den EHC investierte, die Eishalle aufmotzte, aus einem Erstligaklub der hinteren Tabellenregion einen Titelkandidaten machte. Warum er also Millionen in einen Markt investiert, der seit Jahren mehr mit Insolvenzen Schlagzeilen macht als mit Meisterschaften?

Weil er es so will.

Sein Herzblut hängt am Eishockey

In der Formel 1 dominiert Red Bull seit Jahren, im Fußball drängt der Konzern mit Macht in den deutschen Markt, wenngleich der Erfolg noch nicht der gewünschte ist, auf den Globus und in alle Sportarten verteilt hat die Marke 800 Athleten unter Vertrag - Skifahrer, Snowboarder, Drachenflieger, Surfer, Fußballer, Motocrossfahrer, Kletterer, Skateboarder, Piloten, und so weiter. Sein Herzblut, das hat Dietrich Mateschitz Vertrauten häufiger gesagt, hänge aber am Eishockey: wegen der Geschichte 1987, dem Salzburger EC.

Und jetzt also Liefering: die neue Welt. Die Zukunft des Sports, wie Dietrich Mateschitz sie sieht.

2007 kaufte er die Trabrennbahn, knapp 100 000 Quadratmeter Fläche, bald darauf begann die Planung, aber das Genehmigungsverfahren war kompliziert, sogar für ihn. Im August 2012 erst kamen die Bagger, und jetzt geht der Bau in seine Endphase, im kommenden Jahr soll alles fertig sein: Nachwuchsakademie, Internat, Trainingsplätze, Trainingshallen für Fußball und Eishockey. Es ist eine Mischung aus Genialität und Größenwahn.

Der Gebäudekomplex hat 12 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche, das Internat hat 96 Doppelzimmer, davon 80 auf Vier-Sterne- und 16 auf Fünf-Sterne-Niveau, alle haben Zugang zum Balkon, der Speisesaal ist mit einer Glasscheibe vom Kraftraum getrennt: Bewegung motiviert, wenn man sie immer vor Augen hat. Es gibt Büros für all die hauptamtlichen Trainer und Betreuer, jeder Trainer hat seinen eigenen Schreibtisch, es gibt Saunas, Dampfbäder, Whirlpools, das ganze Wellness-Programm, und während der Bauleiter durch die Baustelle führt, sagt er immer wieder diese zwei Worte: modernster Standard. Es klingt noch untertrieben.

Fünf Meter unter der Erde

Alle neun Fußballplätze haben Heizung und Flutlicht, das Dach der Fußballhalle hat eine Spannweite von 70 Metern, die meisten Plätze sind mit einem Tracking-System ausgestattet, mit dem die Trainer jeden Schritt der Spieler aufzeichnen und auswerten können. Fünf Meter unter der Erde liegen zwei Eishallen, über der Erde ist eine kleinere Halle mit Trockeneis, und wenn die Spieler von einer der acht Kabinen dorthin wollen, fahren sie in Montur und Schlittschuhen im gläsernen Aufzug nach oben.

Sie haben zwei Skating Mills, Laufbänder für Schlittschuhe, und das sogenannte Rapid-Shot-System: Ein Computer spielt dem Trainierenden je nach Einstellung einen Pass zu, im Tor leuchtet eine Lampe auf, auf die man zielen muss, Schussstärke, Schussgeschwindigkeit und Treffsicherheit werden exakt gemessen. Das System ist weltweit vernetzt, viele NHL-Klubs nutzen es, und weil sich jeder Spieler mit seiner eigenen Strichcode-Karte vorher anmelden kann, gibt es weltweite Ranglisten: Die Stürmer aus München und Salzburg können sich so mit den Besten der Welt vergleichen. Natürlich hängen überall Kameras, die jedes Training aufzeichnen, für die Videoanalyse.

Es ist ein Computerspiel, mitten in Liefering.

Es ist, so sagen sie es in München: der Wahnsinn.

Noch vor einem Jahr standen sie in München kurz vor dem Ende des Profi-Eishockeys, aber aus irgendeinem Grund gefiel Mateschitz dann die Idee, in München einzusteigen, und jetzt ist es mit dem Münchner Eishockey vielleicht bald so wie mit dem Salzburger. Lange war es in beiden Städten ja ähnlich: Je größer der Erfolg war, desto größer war die Pleite danach. Im Jahr 2000 kehrte Mateschitz ins Salzburger Eishockey zurück, diesmal kaufte er den Klub ganz, seitdem ist Salzburg viermal österreichischer Meister geworden. Finanzielle Schwierigkeiten? Lange her.

Wenn man wissen will, wie die Marke Red Bull funktioniert, schütteln sie überall den Kopf: Sorry, Ansage von oben. Über Red Bull redet nur einer: er. Wir sind eine Sekte, sagen manche Mitarbeiter im Spaß, und es gibt ein paar Anekdoten, die erzählen, wie es oft läuft bei Red Bull und Mateschitz.

Eine geht so: Als der Traunreuter Hermann Tomczyk, ADAC-Sportpräsident und Vater des von Red Bull unterstützten Rennfahrers Martin Tomczyk, Mateschitz fragte, unter Zwei, ob er nicht was tun könne für das Eishockey in Rosenheim, in seiner Heimat, da sagte irgendwann der Didi zum Hermann: Also gut. Red Bull begann eine Kooperation mit den Starbulls Rosenheim, es floss Geld, und die Fans waren in Aufruhr, dabei hatte Mateschitz nie Größeres vor, nicht mit Rosenheim jedenfalls. Größeres hat er jetzt in München vor. Es soll die ganz große Show werden.

EHC München vor dem DEL-Saisonstart
:Flotte Sprüche, große Show

Der Start in die Saison der Deutschen Eishockey-Liga ist für den neu formierten EHC München der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Nur sechs Spieler durften bleiben, die Erwartungen sind hoch, der neue Trainer spricht von der Meisterschaft. Den Klub stört das nicht - im Gegenteil.

Von Michael Neudecker

Die alte Eishalle im Olympiapark hat jetzt einen Videowürfel und neue Bestuhlung, und für die Einlaufshow, die an diesem Freitagabend beim Saisonstart gegen Hamburg erstmals aufgeführt wird, haben sie mehrere HD-Beamer an der Decke aufgehängt. Die Leinwand wird die Eisfläche sein, und das ist natürlich nun ein wunderbares Bild: Die Eisfläche als Leinwand, alles ganz großes Kino, so sehen sie das bei Red Bull ja grundsätzlich.

Umsetzen soll das in München Pierre Pagé, ein 65 Jahre alter Kanadier, eine Art verrückter Eishockey-Professor, der einst in der NHL trainierte und dann die Eisbären Berlin zum Meistertitel führte. Es gibt im Sport einen Spruch, den alle Trainer draufhaben, er lautet: Offensive gewinnt Spiele, aber Defensive gewinnt Meisterschaften.

Pierre Pagé sagt: "Defensive gewinnt Meisterschaften, aber Defensive verkauft sich nicht." Er hat die im Eishockey gängige Zonenverteidigung abgeschafft, sein System heißt: Five Players, no positions. Jeder macht alles, es soll ein Spektakel werden, mit vielen Toren. Zur Not eben auf beiden Seiten.

Kurz vor der chinesischen Grenze

Auf dem Spielermarkt, heißt es, seien die neureichen Münchner aggressiv aufgetreten, aber sie hatten wohl keine Wahl: Für Spektakel und einen Trainer wie Pierre Pagé braucht man Spieler mit höchster Befähigung, und solche Spieler sind schwer zu bekommen. Und: München hat keinen Nachwuchs wie Köln, Mannheim oder Berlin; jedenfalls noch nicht. Seit dieser Saison hat Red Bull ein U21-Team, die ersten vier Spiele haben sie schon hinter sich, zwei haben sie gewonnen.

Das Team ist beheimatet in Salzburg, es spielt in der russischen Nachwuchsliga MHL. Die ersten vier Spiele waren in Cherepowets, Jaroslawl und St. Petersburg, und im Februar spielen sie in Chabarowsk, nahe der chinesischen Grenze, 8000 Kilometer und neun Zeitzonen von Salzburg weg.

© SZ vom 13.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: