Süddeutsche Zeitung

DOSB:Der Staat will die Kontrolle über den Spitzensport

Die Politik muss streng prüfen, ob der Sport Steuergelder erfolgreich einsetzt. Aber es wird problematisch, wenn nur noch in Medaillen investiert wird - das kann nicht der Weg eines vielfältigen Sportsystems sein.

Kommentar von Johannes Aumüller

Wer hat im DOSB künftig das Sagen? Das ist eine Frage, die im deutschen Sport derzeit viele umtreibt. Der Dachverband sucht einen Nachfolger für den scheidenden Präsidenten Alfons Hörmann. Eine Reihe einflussreicher Spitzenverbände hat den Tischtennis-Funktionär Thomas Weikert vorgeschlagen, Vertreter von Landessportbünden räsonieren über einen Gegenkandidaten, es schwirren weiter diverse Namen rund um den Deutschen Olympischen Sportbund.

Doch zugleich gibt es noch eine andere bedeutsame Frage. Sie lautet: Was hat der DOSB künftig überhaupt noch zu sagen?

Es hat in dieser Woche mal wieder ein bemerkenswertes Treffen des deutschen Spitzensportpersonals gegeben. Drei Tage lang kam man zusammen, um über die jüngsten Sommerspiele zu sprechen. Und nach den Beratungen über die Tokio-Bilanz - die mit zehn goldenen, elf silbernen und 16 bronzenen Medaillen so überschaubar ausfiel wie seit der Wiedervereinigung nicht - lautete die Conclusio: Der deutsche Leistungssport brauche "grundlegende Veränderungen".

Das wirkte durchaus ulkig. Denn "grundlegende Veränderungen" schweben schon lange über dem deutschen Sport. 2016 verabschiedete der DOSB auf Druck der Politik die umstrittene und längst noch nicht abgeschlossene Leistungssportreform, die vor allem mehr Medaillen bringen sollte. Jetzt lautet die ergänzende Devise: "Wir und das ganze System müssen uns weiterentwickeln und verändern."

Im politischen Betrieb ist der Verdruss über den DOSB groß

In solchen Wortmeldungen dokumentiert sich eine gewisse Rat- und Hilflosigkeit. Wenn es dem Spitzensport an einem nicht mangelt, sind es Konzepte und Analysen. Eher schon an der Umsetzung. Aus den Verbänden, in denen selbstredend vielerorts gute Arbeit geleistet wird, kommen zu viele abenteuerliche Geschichten: von erfolgreichen Sportdirektoren, die trotzdem gehen müssen; von Standorten, die gut arbeiten, aber wegen verbandsinterner Eitelkeiten nicht so stark gemacht werden, wie sie sein müssten; von Athleten, die verloren gehen oder übersehen werden in den Weiten des Systems.

Im politischen Betrieb ist der Verdruss bei vielen Beteiligten groß. Immerhin steckt im Spitzensport eine Menge Steuergeld: Allein aus dem Etat des Bundesinnenministeriums sind es inzwischen um die 300 Millionen Euro pro Jahr. Da gibt es entsprechende Erwartungen, dass der DOSB und seine angeschlossenen Abteilungen gut funktionieren.

Dabei spielt eine Rolle, dass der Sport traditionell tun konnte, was er wollte, ohne wirkliche Kontrolle. Das änderte sich erst mit der Spitzensportreform, für die es zwar mehr Geld gab, aber für die sich der Sport auch verstärkt den Vorgaben der Politik unterwarf. Die Sportförderung ist jetzt voll mit grässlich klingenden Wörtern: Da gibt es das "Potenzialanalysesystem" (Potas), das akribisch alle Disziplinen auf Medaillenaussichten checkt. Ganz neu ist die "Transformationsregel", die anhand des Potas-Ergebnisses die Fördersummen für jede einzelne Disziplin errechnet. Dieser Tage ergehen die ersten Förderentscheide, in denen sich die konkreten finanziellen Konsequenzen des neuen Systems für einzelne Verbände und Disziplinen zeigen.

Doch so wie sich die Lage darstellt und so wie sich der DOSB präsentiert, dürfte das noch nicht das Ende der Entwicklung sein. Nicht nur in vielen autoritären Staaten, auch in demokratischen Ländern existieren längst Konstruktionen, in denen die Politik viel weitreichender die Sportförderung bestimmt als in Deutschland. In Österreich zum Beispiel gibt es eine "Bundes-Sport GmbH", die die Gelder für den Sport vergibt, abwickelt und kontrolliert; in Großbritannien dient "UK Sport" als "strategischer Investor", und dessen Entscheidung, fast nur noch Sportler und Sportarten mit hohen Medaillenchancen zu fördern, gilt als Grundstein für die ertragreiche Ausbeute der Briten in den vergangenen Jahren, insbesondere in London 2012.

Großbritannien kann nicht das Vorbild sein

Letztlich geht es um die Frage, wer den Sport steuert, und das ist ein schmaler Grat. Es ist dringend geboten, dass die Politik den Sport streng kontrolliert. Aber es wird spätestens dann problematisch, wenn, wie in Großbritannien, im Fördersystem alles dem Ziel untergeordnet wird, eine möglichst große Zahl an Medaillen zu gewinnen.

Das gilt nicht nur, weil das Dopingthema in manchen Sportarten so umfassend ist, dass ein Ausbleiben von Medaillen eher zu begrüßen denn zu bedauern ist. Sondern auch mit Blick auf die Frage, in welcher Verknüpfung der Spitzensport zur Gesellschaft stehen soll. Bob und Rodeln noch stärker zu fördern, weil die Medaillenchancen aufgrund der überschaubaren internationalen Konkurrenz besonders hoch sind, oder besonders viel Geld in den Bahnradsport zu stecken, weil dort ein Athlet anders als beim Beachvolleyball gleich mehrere Medaillen holen kann, kann nicht der Weg eines zu Recht vielfältigen deutschen Sportsystems sein.

Das Problem für den Sport ist nur, dass er mit seiner Gier nach mehr Geld und dem darauf fußenden Ja zur Leistungssportreform all diese Geister selbst gerufen hat. Und egal, wie der nächste Präsident heißt: Es wird ihm kaum gelingen, diese wieder loszuwerden.

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