Süddeutsche Zeitung

Sport:Handball-EM war wie fürs Fernsehen gemacht

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17,4 Millionen Zuschauer erleben den Goldjubel der deutschen Handballer an den TV-Geräten mit - weil ihr Auftritt im Turnier an eine gute Serie erinnerte.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Am Anfang lag Thorsten Legat ganz klar vorne. Für jene im Schnitt gerade mal 3,80 Millionen Zuschauer, die das EM-Auftaktspiel der Deutschen in der ARD sehen wollten, hätten sie bei der Konkurrenz von RTL keine einzige Kakerlake ans Tageslicht gezerrt, keine Buschfliege geweckt, keine Mehlwürmer und keinen Känguruhoden präpariert. Das RTL-Dschungelcamp hatte mal wieder eine Ex-Koryphäe des Fußballs nach Australien transferiert, nach Eike Immel, Jimmy Hartwig oder Ailton zog der kernige Ruhrgebiets-Rhetoriker Legat in den Busch.

Die Handballer verloren anfangs 29:32 gegen Spanien, der Weg im Quotenkrieg der Fernsehsender schien frei zu sein für Legat und den Würgereiz. Zumal dieser Legat heute noch präsentieren kann, wofür er in den 90er-Jahren in den Stadien gefeiert wurde: Gilt doch der gebürtige Bochumer als Erfinder des Muskel-Sixpacks - während andere Pokale stemmten, zog Legat das Trikot hoch und ließ neidische Blicke an seiner Bauchdecke abprallen. Meister war er auch: 1993 mit Werder Bremen. Fast also hätte sich der aktuelle Sport von einem 47-Jährigen abkochen lassen.

Häfner schießt im Finale schneller als sein Schatten

Einst hatte RTL das Skispringen groß heraus gebracht, als der Sender die Siegesserie von Sven Hannawald und Martin Schmitt ins Licht rückte. Es war eines der besten Beispiele der TV-Historie dafür, dass auch im Sport das Gesetz der Serie gilt. Je mehr man über die Figuren weiß, desto enger die emotionale Bindung. Eine Kurz-Beziehung funktioniert im Fernsehen nicht. Steffi Graf und Boris Becker hatte die Nation einst adoptiert; man sah sie heranwachsen, siegen und scheitern, und bei einer Magenverstimmung, die noch nicht von Fliegen oder Mehlwürmern verursacht war, litten alle mit. Durch den medialen Wandel verschwanden viele Sportarten in den Nischen, Fußball wurde zum einzigen, zum großen gemeinsamen Nenner.

Das Beispiel der Handballer zeigt zumindest für den Augenblick, dass auch andere Geschichten groß werden können, wenn sie nur vielschichtig und in vielen Etappen zu erzählen sind. Ein klassisches Aufsteiger-Außenseiter-Spektakel war bei der EM zu bestaunen, Athleten, die vor Turnierstart nicht einmal die Experten kannten, stürmten aus der Kulisse. Eine Mannschaft fand ihr Gesicht.

Von Folge zu Folge nahm die Spannung zu: Der erste Kapitän (Gensheimer) verletzte sich vor dem Turnier, der zweite (Weinhold) in der letzten Szene des Last-Minute-Krimis gegen Russland. Die Mannschaft schien führungslos zu sein, doch dann: Ein Zwei-Meter-Riese, der das Bein hoch wie eine Ballerina heben kann, knurrte plötzlich als böser Wolff im Tor. Vor dem Wolff baute sich eine Mauer auf, die das erste Prinzip des Turniersports im Schnellverfahren verinnerlichte: Der Angriff gewinnt Spiele - die Abwehr gewinnt Titel!

Selbst die Kakerlaken werden bleich

Und dann dieser finale Akt um den Europameister, der vom Sofa kam: Linkshänder Kai Häfner aus Hannover, nachnominiert erst nach Spiel fünf, schießt im Finale schneller als Lucky Luke - also schneller als sein Schatten. Bei Abpfiff saßen 17,4 Millionen (Schnitt 12,98) vor den TV-Geräten. Bei dieser Quote werden selbst die Kakerlaken bleich.

Wie es weiter geht? Im Dschungel werden die Kandidaten rausgewählt, Bauchmuskel-Legat kam immerhin auf Platz drei. In einigen Monaten hat auch Dagur Sigurdsson, dieser Großmeister der Regie, die Qual der Wahl, er muss entscheiden, wen er von seinen vielen Talenten mit zu Olympia nach Rio nimmt. Eine Traumreise - Belohnung für große Unterhaltung. In Kürze übernimmt der Fußball, Champions League, und Ronaldo wird wohl wieder sein Trikot ziehen und einen auf Sixpack-Legat machen. Für den, der's mag, bleibt er der Größte.

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SZ vom 02.02.2016
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