Sport-Anwalt Kessler:Er wird geliebt oder gehasst

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Jeffrey Kessler (re.) vertritt Athleten, die sich von der Sportwelt und ihren Regeln diskriminiert fühlen. (Foto: Louis Lanzano/AP)

Jeffrey Kessler vertrat Caster Semenya und Oscar Pistorius: Er gilt als einer der wichtigsten Sport-Anwälte und macht sich auch Feinde - sein aktueller Fall ist sehr bedeutend.

Von Lukas Brems, München

Jeffrey Kessler hat in der Welt des Profisports im Grunde nichts verloren. Er ist kein Funktionär, kein Manager, kein Klub-Besitzer, schon gar kein Trainer oder Spieler. Der Mann, der bereits für einige Revolutionen im Sport verantwortlich war, ist etwas untersetzt und trägt eine große Brille. In der Schule spielte er Basketball, beschreibt sich selbst aber als wenig talentiert. Football spielte er nicht, trotzdem kennt ihn Roger Goodell, der Chef der Profiliga NFL, besser, als es diesem wohl lieb ist.

Kessler, 66, arbeitet bei der internationalen Kanzlei Winston & Strawn und ist einer der bekanntesten Sportanwälte der Welt. Er vertrat bereits Tom Brady, Caster Semenya, Oscar Pistorius und die Spielergewerkschaften der vier größten amerikanischen Profiligen. Er unterstützt auch die Fußball-Nationalspielerinnen der USA, die genauso gut bezahlt werden wollen wie ihre männlichen Kollegen. Wenn Profisportler sich ungerecht behandelt fühlen, rufen sie meist Kessler an. Seine Fälle sorgen in der Sportwelt für Veränderungen, vor denen sich viele fürchten. Aktuell vertritt Kessler Blake Leeper, einen Sprinter ohne Unterschenkel, der zu den Olympischen Spielen in Tokio möchte. Einer von Kesslers bedeutendsten Fällen wird damit neu aufgelegt.

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2012 durfte Oscar Pistorius in London antreten, nun träumt Blake Leeper vom Olympia-Start. Dafür muss der US-Athlet beweisen, dass er durch seine Prothesen keinen Vorteil hat - ein schwieriges Unterfangen.

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"Profisportler müssen wahnsinnige Opfer bringen, um dieses Niveau zu erreichen. In vielen Fällen riskieren sie Verletzungen, kommen aus armen Verhältnissen oder hatten mit Diskriminierung zu kämpfen. Für mich ist es deshalb ein Privileg, sie in solchen Fällen zu vertreten", erklärt Kessler am Telefon. Er will helfen, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, erst nur im Sport, dann darüber hinaus. "Die Frauen-Nationalmannschaft der USA zum Beispiel", erzählt er, "sie kämpft für sich, aber der Kampf kann Frauen in allen Berufen inspirieren." Schon in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts bewunderte der junge Kessler den Boxer Muhammad Ali und den Sprinter John Carlos. Zwei Sportler, die gleichzeitig auch Aktivisten waren.

Als "Erzfeind" der NFL wurde Kessler bezeichnet

Kessler hält sich derzeit an seinem Zweitwohnsitz in Kalifornien auf, lebte aber lange in New York City. Er wuchs in Brooklyn auf und studierte an der Columbia Law School in Manhattan. Seine juristische Leidenschaft galt dem Kartellrecht, sich beruflich mit Sport zu beschäftigen kam Kessler zunächst nicht in den Sinn.

Ende der Siebzigerjahre führte der Zufall Kesslers Interessen - Sport und Kartellrecht - zusammen. Er stieß auf den Anwalt James Quinn, der für seine wachsende Sport-Abteilung einen Kartellrechtler suchte. Quinn, der laut der New York Times "maßgeblich dazu beitrug, das Gesicht der großen Sportarten zu verändern", erinnert sich noch: Kessler sei "ein sehr hartnäckiger Verfechter seiner Meinung und kann im Gerichtssaal schnell reagieren. Insbesondere bei komplexen rechtlichen Fragen gibt es wahrscheinlich niemanden, der besser ist".

Zusammen arbeiteten die beiden an einem der bedeutendsten Rechtsstreitigkeiten in der Geschichte des Footballs. Im Fall "McNeil vs. NFL" entschied die Jury 1992 zu Gunsten des Klägers und ebnete so den Weg zur Einführung von Free Agency in der NFL. Spielern, deren Vertrag ausläuft, wurde damit der Klubwechsel erleichtert. Kessler musste dabei auch die Experten der NFL verhören. "Einige seiner Kreuzverhöre waren brillant", erinnert sich Quinn. Und das Ergebnis war wegweisend, Kessler sagt: "Es würde einem heute schwer fallen, jungen Fans zu erklären, warum es für Spieler keine Free-Agent-Rechte gab, weil sie es gar nicht anders kennen." Von ähnlicher Tragweite ist das Bosman-Urteil, das 1995 ablösefreie Wechsel im Fußball möglich machte.

Seit 1989 arbeitet Kessler für die Gewerkschaft der Footballspieler (NFLPA) und prägte die Liga seitdem mehr als es die meisten Spieler je schaffen. 2000 klagte sich Bill Belichick mit Kesslers Hilfe aus seinem Vertrag mit den New York Jets, heuerte stattdessen bei den New England Patriots an und wurde mit sechs Superbowl-Titeln zum bislang erfolgreichsten Football-Coach. Fünf Jahre später erwirkte Kessler das Aussetzen einer Sperre von Ausnahme-Quarterback Tom Brady. Die Patriots gewannen danach den Superbowl.

NFL-Chef Goodell ist Kessler, so formulierten es einige US-Medien, ein "Dorn im Auge". Sogar als "Erzfeind" der NFL wurde Kessler bezeichnet. Auch der verstorbene NBA-Commissioner David Stern war kein Fan. Gegenüber der Washington Post bezeichnete er Kesslers Verhalten in den Verhandlungen zwischen NBA und Gewerkschaft als "verabscheuungswürdig". Zuvor hatte Kessler die NBA-Klub-Besitzer beschuldigt, ihre Spieler wie "Plantagenarbeiter" zu behandeln.

Von wem er geliebt oder gehasst wird, hängt in der Regel davon ab, auf wessen Seite er im Gerichtssaal sitzt. Die Fans der Patriots jubelten ihm bei der Saisoneröffnung 2015 im Stadion zu und riefen seinen Namen. Für einen Anwalt ist das äußerst ungewöhnlich. Gleichzeitig erhält Kessler immer wieder E-Mails voller Kritik und auch Drohungen; man wirft ihm vor, den Sport kaputt zu machen. Kessler kontert: "Alle Sportarten, in denen wir siegreich waren, sind gewachsen. Es gibt jetzt mehr Einnahmen, Faninteresse und mediale Aufmerksamkeit als je zuvor."

Einen seiner wichtigsten Fälle gewann er 2008. Da ermöglichte der Internationale Sportgerichtshof Cas Oscar Pistorius die Qualifikation für Olympia. Vier Jahre später startete er in London beim 400-Meter-Rennen als erster beinamputierter Sportler in der Geschichte. "Das hat Behindertensportler auf der ganzen Welt gestärkt", sagt Kessler. Derzeit arbeitet er daran, dass Pistorius kein Einzelfall bleibt. Der Para-Sprinter Blake Leeper will es Pistorius gleichtun und auf Prothesen bei den Olympischen Spielen laufen. Am 13. Juni fand dazu die jüngste Anhörung vor dem Cas statt.

Wenn Kessler heute auf die Sportwelt blickt, sieht er die Athleten in einer besseren Position als zu Beginn seiner Laufbahn. Vor den Siebzigerjahren hätten die Sportler keine Rechte gehabt, sagt Kessler: "Sie wurden wie Vieh behandelt." Doch es werde "jedes Mal besser, wenn wir voranschreiten und kämpfen". Das will er noch eine ganze Weile. Zehn Jahre möchte er noch weiterarbeiten, mindestens.

Mitten im Interview muss Kessler einen anderen Anruf annehmen, einer seiner Fälle war entschieden. Kessler und sein Klient, ein ehemaliger Basketballprofi, haben gewonnen. College-Athleten dürfen bald für ihre sportliche Leistungen kompensiert werden. Ein Urteil, von dem viele glauben, es werde die Sportwelt in den USA erschüttern. Ein weiterer Kampf, der sich gelohnt hat.

© SZ vom 23.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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