Vielleicht muss man bei einer Geschichte über das Fußball-Spitzenspiel der dritten Liga beim Basiswissen anfangen. Menschen, denen der FC Bayern oder der FC Liverpool näher sind als Erzgebirge Aue, könnten sonst falschen Vorstellungen aufsitzen. Also: Die Staffel ist eine Profiliga, das garantiert ein gewisses sportliches Niveau. Sie ist randvoll mit gestrauchelten Traditionsvereinen, deren Fans natürlich mitabgestiegen sind, immerhin 11 500 Zuschauer schauen sich im Schnitt die Spiele an. Vier Vereine – Dynamo Dresden, Alemannia Aachen, Hansa Rostock und Arminia Bielefeld – begrüßen sogar über 20 000 Neugierige pro Spiel.
Auch Energie Cottbus, das zwischen 2000 und 2009 sechs Spielzeiten lang erstklassig war, meldete am Wochenende natürlich „ausverkauft“, schließlich ging es gegen Dynamo Dresden. Und damit um eine von vielen eher unironischen Rivalitäten in dieser Spielklasse. In beiden Fanlagern sah man also jede Menge finster dreinblickendes Mannsvolk, das nicht nur aus ästhetischen Gründen mehrmals in der Woche ins Fitnessstudio rennt. Schon drei Stunden vor Anpfiff lag das Summen von Polizeihubschraubern über der Stadt. Und wer aus meist gutem Grund findet, dass beim Fußball oft eher zu viel Polizei am Ort ist, der muss bei dieser Partie wohl etwas umdenken. Immerhin, es blieb friedlich, sodass der Cottbuser Trainer Claus-Dieter Wollitz ein „Kompliment an beide Fanlager“ dafür aussprechen konnte, „dass das Spiel im Mittelpunkt stand“.
Alles andere wäre auch jammerschade gewesen. Denn wer an diesen 90 Minuten keinen Spaß hat, ist wohl wirklich besser an einem Champions-League-Mittwoch vor dem Fernseher aufgehoben. In dieser Liga mit strukturell eingebauter Wettbewerbsverzerrung, in der die Nachwuchsteams von Borussia Dortmund und dem VfB Stuttgart die wertvollsten Kader haben, lieferten sich das vergleichsweise wohlhabende Dresden und die klammen Gastgeber ein tolles Spiel. Das lag vor allem an Cottbus, das gemäß seinem Image über 90 Minuten im Angriffsmodus spielte, meist ballsicher und durchgehend flott. Und wer dachte, dass den Dauerläufern nach einer Stunde die Puste ausgehen müsste, sah sich getäuscht. Denn nach ebendieser Stunde schoss Stefan Kutschke den – unverdienten – Dresdner Führungstreffer. Jener Kutschke übrigens, bei dem man nicht recht weiß, ob er erst bei seiner Geburt Dynamo-Fan wurde oder es vielleicht schon vorher war.
Von Liga vier in Liga zwei? Elversberg, Ulm und Münster haben es vorgemacht
Fast hätte es allerdings trotzdem noch zu einem Cottbuser Sieg gereicht, wenn Timmy Thieles Kopfball in der Nachspielzeit ein paar Zentimeter unter der Latte gelandet wäre. Doch schon dessen 1:1-Ausgleich (86.) hatte dramaturgisch und akustisch gleich hohes Potenzial: Nach dem Spiel berichteten Menschen, die nicht weit vom eineinhalb Kilometer entfernten Hauptbahnhof wohnen, dass sie den Ausgleich deutlich gehört hätten. Umso erstaunlicher, wie schnell der Adrenalin-Abbau bei den beiden Trainern vonstattenging. Thomas Stamm, der Dresdner Coach, betonte korrekterweise, er müsse „mehr als zufrieden sein mit dem Punkt“, und orakelte, dass „ein Punkt hier noch sehr wertvoll sein“ könnte. Das stimmt wohl, schließlich liegen Cottbus und Dresden nach dem 21. Spieltag auf Platz eins und zwei der Tabelle und würden somit direkt in die zweite Liga aufsteigen, Dritter ist der 1. FC Saarbrücken.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die zweite Liga bald um zwei weitere Traditionsvereine reicher sein wird, ist also entsprechend hoch. Und wenn darunter wieder ein Team wäre, das zuvor nur kurz in der dritten Liga war, wäre das erst recht keine Sensation. Wer sah, wie gekonnt der Aufsteiger Cottbus angriff und dabei zu keinem Zeitpunkt die Balance zur Abwehrarbeit vergaß, kann sich das Team jedenfalls gut in der zweiten Liga vorstellen. Dass Energie Cottbus in der vergangenen Saison noch in der viertklassigen Regionalliga Nordost gespielt hat? Kein Grund, nicht noch mal aufzusteigen, wie man in den vergangenen Jahren gelernt hat. Man hat sich geradezu daran gewöhnt, dass Mannschaften nur ein Jahr brauchen, um von der vierten in die zweite Liga zu gelangen. Im vergangenen Sommer stiegen mit dem SSV Ulm 1846 und Preußen Münster gleich zwei Klubs auf, die im Jahr zuvor noch gegen Steinbach Haiger und Rödinghausen gekickt hatten. Auch die SV Elversberg war zuvor diesen direkten Weg gegangen.
Allerdings dürfte der Mann, den man überregional wohl am ehesten mit Energie Cottbus verbindet, einen Aufstieg dann mit gemischten Gefühlen begleiten. Wollitz war insgesamt dreimal über mehrere Jahre Coach in der Lausitz, seit 2022 arbeitet er zudem als Sportlicher Leiter bei Energie. Ab Juni will sich der offenherzige Coach, der dann über 4000 Tage als Energie-Trainer gearbeitet hätte, eigentlich aufs Managerdasein beschränken. Den Kulttrainer des Vereins, Ede Geyer, hat er jedenfalls schon überrundet.