Süddeutsche Zeitung

Spielsperre:Später Fernsehbeweis gegen Torsten Frings

Sperre fürs Halbfinale plus ein Spiel auf Bewährung plus 5000 Franken Geldstrafe - das Fifa-Urteil zeigt auch die Schwächen im System.

Thomas Kistner

Torsten Frings darf nicht mitspielen im Halbfinale der deutschen Nationalmannschaft am Dienstagabend in Dortmund gegen Italien.

Am Montagnachmittag verurteilte die Disziplinarkommission des Weltverbandes Fifa den Bremer wegen seiner Beteiligung an Handgreiflichkeiten nach dem Viertelfinale gegen Argentinien zu einem Spiel Sperre sowie einem weiteren auf Bewährung.

Das Gremium hielt es nach Studium der Fernsehbilder für erwiesen, dass Frings dem Argentinier Julio Cruz ins Gesicht schlug und bewertete dies als Tätlichkeit. In der Urteilsbegründung heißt es: "Auf Grund einer zuvor erfolgten gegnerischen Provokation wurde die Sperre für das zweite Spiel auf sechs Monate zur Bewährung ausgesetzt."

Endgültige Entscheidung

Frings könne im Finale oder in der Partie um Platz drei wieder eingesetzt werden. Zudem belegte ihn die Disziplinarkommission mit 5000 Franken Geldstrafe. Der Entscheid der Fifa-Kommission ist endgültig.

Allerdings taten sich die Kommissionäre zuvor auffallend schwer mit dem Fall Frings. Sie hatten erst Bilder des italienischen Fernsehsenders Sky betrachten müssen, um im Detail zu erkennen, was alles abläuft auf ihren eigenen Spielfeldern.

Dabei war das Material aus Italien nur eine Hilfe zur Selbsthilfe, weil alle Bilder und Töne in den WM-Stadien von einer über Partnerfirmen angebundenen Gesellschaft produziert werden, der Host Broadcast Services (HBS). Diese hat 25 Kameras in jeder Arena postiert, aus deren Aufnahmen dann ein Weltbild ausgewählt wird.

Hinweis aus Italien?

Welches Bildmaterial also hatten die Mitglieder der Disziplinarkommission zunächst begutachtet, als sie bereits Sonntagmorgen vorschnell verkündeten, deutsche Spieler hätten sich nicht aktiv beteiligt an den Tumulten nach der Argentinien-Partie?

Am Sonntagabend hatte der Weltverband plötzlich neue Erkenntnisse. Er kassierte seine eigene Aussage und eröffnete das Verfahren wieder. "Nach Ansicht neuer Fernsehbilder", sagte Fifa-Pressechef Markus Siegler, "hat die Disziplinarkommission festgestellt, dass Torsten Frings mit großer Wahrscheinlichkeit aktiv in die Rangelei involviert war." Eine Ermittlung gegen den Nationalspieler wurde am Abend eingeleitet, der DFB erhielt Frist bis Montagmittag, sich zu den Vorgängen zu äußern.

Der Vorgang wirft eine Reihe von Fragen auf. Wegen ihres wenig überzeugenden Procederes hatte die Fifa am Montag viel zu tun, um aufkeimende Verschwörungstheorien im Hinblick auf das Halbfinale an diesem Dienstag in Dortmund abzuwehren.

So kursierte in Berlin die Version, dass sich die Neuaufnahme des Verfahrens Frings nicht einer nachträglichen Erkenntnis von fernsehschauenden Kommissionsmitgliedern verdankte, vielmehr habe ein italienischer Funktionär bei der Fifa den in Italien seit Samstagabend bekannten Sachverhalt diskret deponiert.

Gellende Pfeifkonzerte

Prompt musste Siegler allerlei Vorwürfen begegnen, die in dem Verdacht gipfelten, das Disziplinarverfahren sei durch den italienischen Fußballverband ausgelöst worden.

Wiederholt stellte der Fifa-Medienchef klar, es habe vom italienischen Verband Federcalcio keinerlei Aufforderungen gegeben, dass in der Sache etwas zu tun sei. Auch hätte es keine verdeckte Amtshilfe durch italienische Medien gegeben.

Das mäßig durchschaubare Vorgehen könnte das Dortmunder Match jedenfalls zusätzlich belasten. Schon beim Viertelfinalspiel gegen Argentinien in Berlin hatte das Publikum den Gästen phasenweise mit gellenden Pfeifkonzerten zugesetzt, argentinische Spieler kritisierten später eine aufgeladene Stimmung im Stadion. Dortmund wiederum gilt als die liebste Heimstätte der deutschen Mannschaft überhaupt, die vor dieser Partie ihre Appelle an die Unterstützung durch das Publikum erneuert hatte.

Der Fall zeigt nun auch, dass der Weltverband sein Disziplinarsystem überprüfen muss. Der Fall Frings beruht auf Zufälligkeit. Im Fernsehen war am Abend mehr zu sehen als morgens für die Fifa-Ermittler, denen doch eigentlich alle HBS-Bilder zugänglich sein müssten.

Unbeholfenes Vorgehen

Jedenfalls nahmen die Funktionäre den brisanten Teil ihres hauseigenen Materials erst wahr, als dieser "von einem deutschen öffentlich-rechtlichen Sender ausgestrahlt worden ist", wie Siegler einräumte. Die "richtigen Leute" hätten die Bilder gesehen, das sei doch besser, als wenn sie Kaffe getrunken hätten. Reines Pech also für Torsten Frings.

Das Vorgehen wirkt unbeholfen. Im Ermittlungssystem der Fifa mit ihren Hunderten Kommissionsmitgliedern für alles Erdenkliche fehlt ein ein Ankläger, der den Verband vertritt. Die europa-Federation Uefa verfügt seit Jahren über eine anklagende Instanz. So verdankt sich der Fall Frings dem Umstand, dass irgendwo auf der Welt die Empörung so hoch schlug ist ob der Rauferei, dass sich jemand die Mühe machte, aus allen Blickwinkeln darauf zu schauen. Wie sind die Verfahrensgrundsätze bei der Fifa?

Sonntagabend, 48 Stunden nach Abpfiff, teilte die Fifa dem DFB mit, dass weder Nationalteamsmanager Oliver Bierhoff noch andere DFB-Offizielle Sanktionen befürchten müssten. Bierhoff war in den Tumult verwickelt, er hatte jedoch versichert, er habe auf dem Spielfeld nur geschlichtet.

Bisher nirgendwo diskutiert wurde übrigens Jens Lehmanns offenkundig abfällige Geste gegenüber dem Elfmeterschützen Maxi Rodriguez. Der Argentinier verwandelte, zürnte dann vehement Richtung DFB-Torwart. Zwei Minuten später zählte Maxi Rodriguez zu den Sündern im Getümmel. Er schlug Schweinsteiger und wird noch hart bestraft.

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