Sperre für Napoli-Profi:50 000 Pappkameraden für Higuaín

Sperre für Napoli-Profi: Gonzalo Higuain muss zuschauen - und Süditalien fühlt mit ihm.

Gonzalo Higuain muss zuschauen - und Süditalien fühlt mit ihm.

(Foto: AP)

Im italienischen Fußball ist ein Streit um den Stürmer des SSC Neapel entfacht, der viel über die Fronten zwischen Nord und Süd aussagt.

Kommentar von Birgit Schönau

Hellas Verona gegen SSC Neapel, das war einmal ein großer Nord-Süd-Klassiker des italienischen Fußballs. "Vorwärts Vesuv" sangen die Hellas-Fans, die Neapolitaner konterten: "Julia ist eine Schlampe." Schöne Zeiten waren das, es ging um herbeigewünschte Vulkanausbrüche und um Shakespeare, dessen "Romeo und Julia" bekanntlich in Verona spielt. Am Sonntag ist es nun wieder so weit: Der Tabellenzweite Neapel empfängt im Stadion San Paolo den Tabellenletzten Hellas Verona.

Und im Publikum werden 50 000 Higuaíns sitzen. Der echte Higuaín, Gonzalo, der gesperrt auf die Tribüne verbannt ist, trägt sein eigenes Gesicht, die anderen tragen Higuaín-Pappmasken. Einer für alle, alle für einen. So will Neapel seine Solidarität mit dem 28-jährigen Argentinier zeigen, der von einem verlängerten Arm der italienischen Staatsmacht ungerecht behandelt worden sei - einem Schiedsrichter.

Früher pflegten die Neapolitaner Knoblauchzehen in den Stadionrasen zu rammen, bevor die blutsaugenden Vampire aus dem Norden Italiens einfielen. Für die anämische Mannschaft von Hellas Verona lohnt sich dieser Aufwand heute nicht mehr. Aber die Higuaín-Aktion gilt sowieso jenem Erzfeind, dem mit Knoblauch allein nicht beizukommen ist: Juventus Turin. Der Rekordmeister ist Tabellenführer, mit neuerdings sechs Punkten Abstand zu Neapel, und schickt sich an, den fünften Titel in Serie zu holen.

Kann das mit rechten Dingen zugehen? Natürlich nicht! Die Neapolitaner argwöhnen, dass sie wieder einmal Opfer einer Verschwörung sind, eines Komplotts von Schiedsrichtern, Funktionären und Sportrichtern, die allesamt im Sold des Nordens ständen.

Den nimmersatten Norden verkörpert vor allem Serienmeister Juventus

Und wer verkörpert diesen nimmersatten Norden stärker als der Piemonteser Klub Juventus? Vor zehn Jahren musste Juve wegen Schiedsrichtermanipulationen in die zweite Liga absteigen. Für Neapel wäre die hinterste Hölle gerade tief genug gewesen, stattdessen war der alte Feind bald wieder obenauf. Und mit ihm die alten Seilschaften, so wird im Süden geargwöhnt.

Die jüngste Ungerechtigkeit, so argumentiert man unter dem Vesuv, sei wieder ein Beispiel für jene andauernde Unterdrückung und Ausbeutung des Südens, die mit der italienischen Reichseinigung 1861 ihren Anfang nahm. Damals traf es das Reich der Bourbonen, das von Piemonteser Truppen zerschlagen wurde. Heute trifft es Higuaín.

Der Argentinier hatte am vergangenen Sonntag gegen Udine noch sein 30. Ligator erzielen können, ehe ihn Schiedsrichter Massimiliano Irrati mit gelb-roter Karte vom Platz stellte. Higuaín verlor daraufhin die Contenance, schrie den Referee an und schubste ihn leicht. Der Sportrichter verordnete ihm dafür eine Sperre für vier Spiele. Udine gewann 3:1.

Seitdem steht Neapel Kopf. Etwas ist faul im Staate, da hatte der alte Shakespeare schon Recht. Denn wie sonst ist zu erklären, dass Juve-Spieler Leonardo Bonucci kürzlich ungeschoren den Schiedsrichter anpöbeln durfte, während Higuaín in der entscheidenden Phase der Saison aus dem Verkehr gezogen wird? Sogar der Präsident der nationalen Anti-Korruptions-Behörde wittert Schiebereien. Und die Mamma des Spielers Higuaín natürlich erst recht: "Auf dem Platz müssen alle gleich behandelt werden", protestierte die argentinische Signora.

Dafür soll nun gefälligst Ministerpräsident Matteo Renzi sorgen, ein neapolitanischer Senator stellte eine entsprechende Anfrage. Man stelle sich die Szene vor: Der italienische Premier steht Rede und Antwort über eine Schiedsrichterentscheidung. Auf der Parlamentstribüne lauter Volksvertreter mit Higuaín-Masken. Und Juve wird trotzdem Meister.

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