Süddeutsche Zeitung

Sperre für Luis Suárez:Verdiente Strafe für einen Serientäter

Lesezeit: 1 min

Die hohe Strafe für den Beißer Luis Suárez ist nur selbstverständlich, und welcher Klub auch immer ihn jetzt noch anheuert, gerät in Erklärungsnot. Für die Turnierleitung indes hat die Schwächung Uruguays einen günstigen Nebeneffekt.

Ein Kommentar von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Mitleid muss man jetzt nicht haben, am wenigsten mit den erstaunlich aufgedrehten Würdenträgern in Uruguay, die Luiz Suárez' Beißattacke als Weltverschwörung deuten und der Version auf den Leim gehen, die der Verband und Suárez' Rechtsvertreter hastig zusammengeschustert haben: Dass die Biss-Spuren am Körper des Verteidigers Chiellini per Fotoshop bearbeitet worden seien.

Da schimmert ja schon einiges durch vom quasi-religiösen Wahn, den so eine Fußball-WM auszulösen vermag. Zu hoffen ist, dass der von höchster Stelle abgesegnete Unfug nicht Leute auf die Barrikaden treibt.

Wäre ein wenig Mitgefühl für den Sünder selbst angebracht? Dreimal verfiel Suárez ja nun schon in seinen Hannibal-Lecter-Modus, vor dieser WM hatte er bereits in England und den Niederlanden zugepackt. Suárez hat einen Tick, er ist eine Art Serientäter. Für einen Profi, der sich ständig von Kameras umringt weiß, für einen Erwachsenen ist diese Neigung so bizarr, dass therapeutische Hilfe angeraten ist.

Die hohe Strafe der Fifa für Suárez ist nur selbstverständlich. Bei jedem WM-Spiel marschieren die Teams hinter einer riesigen Fahne aufs Spielfeld, auf der das Motto dieses Sports prangt: Fairplay. Es lässt sich denken, wie das fromme Ritual künftig ausgepfiffen würde, wenn Suárez weiterspielen dürfte.

Auch, dass die Sperre Monate in die neue Spielzeit hineinreicht, hilft. Und zwar dem Beißer, der sich um seine Psyche kümmern muss, die Karriere ist ja weitgehend ramponiert. Wer immer Suárez noch anheuert, ist in Erklärungsnot.

Für die Turnierleitung hat der Aufruhr und die Schwächung, die Uruguay durch Suarez' Ausfall erleidet, einen zufälligen, doch ziemlich günstigen Nebeneffekt: Im Viertelfinale droht ein Spiel gegen Brasilien, die Neuauflage des WM-historischen Trauerfalls von 1950. Damals stürzte der kleine Nachbar Brasilien in die Depression, sollte sich das wiederholen, wäre es der größte sportliche Krisenfall. Es würde alte Wunden aufreißen. Womöglich auch bei denen, die sich ob der gewaltigen, öfter auch gewalttätigen Omnipräsenz der Sicherheitskräfte bisher nicht auf die Straßen trauten.

Die Fifa hat mit dem Urteil auf Video-Basis einen Schritt getan, der unumkehrbar sein sollte. Was den Verletzungsgrad betrifft, ist eine Beißattacke immer noch das kleinere Übel als etwa der gezielte Ellbogenhieb in Gegners Gesicht. Was da kaputt gehen kann, ist nicht ambulant behandelbar. Nun zeigt sich, welchen Stellenwert das Fairplay hat. Oder ob da nur eine Lex Suárez geschaffen wurde, um den WM-Betriebsfrieden zu sichern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2019367
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.06.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.