Speedway:Mit Vollgas über die Schmerzen

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Den erneuten Triumph von Martin Smolinski (gelber Helm) bekamen in Mühldorf Tausende Fans mit. (Foto: Jesper Veldhuizen;)

Mit 38 Jahren wird der Olchinger Speedway-Profi Martin Smolinski zum zweiten Mal Langbahn-Weltmeister. Dabei hatte er nach schweren Verletzungen seine Karriere fast schon beendet.

Von Christoph Leischwitz

So alt, scherzt Martin Smolinski, sei er ja noch gar nicht, schließlich "ist meine Hüfte erst ein Jahr alt", das drücke ja wohl irgendwo den Schnitt. Der Rest von Smolinski ist 38, der Speedway-Profi hat schon jede Menge Titel gesammelt, acht Mal wurde er deutscher Meister, zudem Langbahn-Weltmeister 2018. 2014 war er der erste Deutsche, der sich für den Grand Prix qualifizierte (und ein Rennen gewann). Doch dass er am vergangenen Sonntag seinen zweiten Langbahn-WM-Titel feiern konnte, das zeigt dem Olchinger nicht nur, dass er noch nicht zum alten Eisen gehört. Er hatte dieses Mal sehr viel mehr Widerstände zu überwinden als zu jedem anderen Zeitpunkt seiner Karriere.

Der lange Weg zu diesem WM-Erfolg, eingefahren am letzten Renntag im Stadion des MSC Mühldorf, begann vor ziemlich genau einem Jahr. Im niedersächsischen Cloppenburg stand ein renommiertes Show-Rennen an, und Smolinskis letztes Rennen lag damals lange zurück. "Ich wollte eigentlich gar nicht starten", erzählt er heute. Überhaupt war er ganz kurz davor, seine Karriere zu beenden, gibt er nun zu, entgegen früherer Aussagen. 2019 hatte er sich das Schlüsselbein gebrochen, 2020 Hüftpfanne und Oberschenkelhals, nach einem spektakulären Unfall, bei dem er erst gegen die Bande gekracht und dann darüber geflogen war. Nach Reha und Corona fuhr er zwar durchaus erfolgreich weiter, doch die Schmerzen waren irgendwann unerträglich. Smolinski entschied sich, Anfang 2023 eine künstliche Hüfte einbauen zu lassen. Es galt erst einmal, Vertrauen in den eigenen Körper aufzubauen, ähnlich wie in das eigene Motorrad: sicher zu sein, dass die Ersatzteile passen. Dass man Vollgas geben kann.

Nach einem packenden Finalrennen zur Langbahnweltmeisterschaft ist Martin Smolinski der neue Weltmeister 2023. (Foto: Jesper Veldhuizen/oh)

Vor Cloppenburg, mit erheblichem Trainingsrückstand, gab es eine entscheidende Debatte mit seiner Crew. Eigentlich sei er in die Sache hineingeredet worden, findet er, aber er habe auch gleich dazu gesagt: "Wenn wir hinterherfahren, hören wir sofort auf." Denn hinterherfahren, das kommt für Martin Smolinski nicht infrage.

Er fuhr, erzählt er in seiner direkten Art, "die Konkurrenz in Grund und Boden". Smolinski war sofort wieder auf Betriebstemperatur, gewann noch im Herbst 2022 in der Olchinger Heimat das Goldene Band und fuhr auch sonst fast immer vorne mit. "Das war für mich ein ganz wichtiges Signal - wie viel man aus seinem Körper doch herausholen kann", sagt der Mann mit der Nummer 84. Übrigens steht auch am kommenden Wochenende noch ein WM-Wettkampf an, mit der Langbahn-Nationalmannschaft.

Den Titel widmet er seinem sechs Tage zuvor gestorbenen Mentor

Die Langbahn-WM besteht nicht einfach aus mehreren Langbahn-Rennen, im Prinzip handelt es sich um eine Allrounder-WM, einen Wettbewerb im Grand-Prix-Modus mit Grasbahnen, längeren und kürzeren Runden. Die Erfahrung, die Smolinski mitbringt, hat ihm geholfen, immer vorne dabei zu sein. Am letzten Renntag in Mühldorf lag sein großer Konkurrent Chris Harris aus England noch zwei Punkte vor ihm. Smolinski hatte zudem technische Probleme und musste auf sein Ersatzmotorrad umsteigen, doch er erreichte das Finale. "Harris hat sich im Laufe der Saison fast immer über den Hoffnungslauf reingefahren", erzählt Smolinski. Nun saß er etwas angespannt mit seinem Team in der Box und wartete. Die Lautsprecheranlage war zu leise, um das Ergebnis mitzubekommen - doch plötzlich rannten Fotografen auf ihn zu, und da war Smolinski klar: Harris hatte diesmal das Finale verpasst, er hatte ihn damit bereits überflügelt. "Sie freuten sich riesig und haben viel rumgebrüllt", erzählt der Weltmeister, dennoch war diese Freude gedämpft: Sechs Tage zuvor war der Olchinger Raimund Schön, 75, gestorben, Smolinskis Vorgänger und Mentor. Ihm widmete er nun auch diesen Titel.

In Deutschland gibt es nur wenige Profis, die vom Speedwayfahren leben können. Smolinski gehört seit knapp 20 Jahren dazu. Und glaubt nach seinem aktuellen Erfolg, dass das auch noch ein bisschen länger funktionieren kann. Erstens, weil er ja noch nicht zum alten Eisen gehört und nach eigenen Angaben jetzt erst aufhören wird, wenn er wirklich einmal hinterherfahren sollte. Zweitens glaubt er nicht, dass der Speedwaysport auf dem absteigenden Ast ist. "Vor zehn Jahren wurde die Langbahn für tot erklärt, und jetzt in Mühldorf fahre ich vor 10 000 Zuschauern", schwärmt er, "das zeigt den Stellenwert. Wir brauchen uns nicht zu verstecken." Wobei es laut Berichterstattung lokaler Medien eher 4500 Besucher gewesen waren. Natürlich lebe der Sport von "local heros", von Lokalmatadoren wie ihm selbst. Insofern ist Smolinski vielleicht nicht nur eine erfolgreiche Verlängerung seiner eigenen Karriere gelungen, sondern auch, zu einem kleinen Teil, eine Verlängerung der Popularität seines Sports in seiner Heimat.

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