Süddeutsche Zeitung

Special Olympics:Freiheit im Becken

Gold und Bronze: Für den Schwimmer Moritz Glotz aus Gunzenhausen hat sich das intensive Training gelohnt.

Von Markus Sutera

Seine Zehen umgreifen die vordere Kante des Startblocks, der Oberkörper neigt sich nach vorne, die Beine sind in den Kniegelenken gebeugt. Im richtigen Moment klappt der Oberkörper abwärts, streckt sich und taucht ins Wasser ein. Moritz Glotz ist der letzte Schwimmer der deutschen 4x100-Meter-Staffel in Abu Dhabi. Auf den ersten Blick wirkt alles normal. Doch die Voraussetzungen für Sportler wie ihn sind besondere.

Die Special Olympics, die an diesem Donnerstagabend zu Ende gehen, sind der sportliche Höhepunkt für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung. 7000 Athleten, darunter 131 aus Deutschland, sind in 24 Sportarten an den Start gegangen, Glotz war einer davon. Wenn der 24-Jährige nicht gerade im evangelischen Krankenverein Gunzenhausen arbeitet, findet man ihn beim Sport. Er tanzt, geht ins Fitnessstudio, fährt Fahrrad und geht laufen. Früher probierte er sich im Fußball und Basketball. "Da bin ich aber nie so weit gekommen", gesteht er. Es gibt kaum eine Sportart, die er nicht betreibt, kaum eine Herausforderung, der er sich nicht stellt.

Am liebsten ist Glotz, der entwicklungsverzögert ist, im Wasser, da fühlt er sich wohl. Seine Kondition ist auch der Tatsache geschuldet, dass er fast täglich schwimmt. "Das ist in unserem Bereich ungewöhnlich", erklärt seine Trainerin Angela Maußer. Die Sportbeauftragte der Diakonie Neuendettelsau, einer betreuten Einrichtung für behinderte Menschen im Landkreis Ansbach, begleitet und trainiert ihren Schützling seit über 15 Jahren und sagt: "Moritz hat immer gerne trainiert und sich nie beschwert. Er ist ein sehr begeisterter Schwimmer, der überaus viel investiert, um so gut zu sein."

Bei den nationalen Spielen im Mai 2018 in Kiel gewann der Gunzenhäuser vier Goldmedaillen. Sie waren der Grundstein für die Nominierung zu den Special Olympics. Am 8. März machte er sich auf in die Vereinigten Arabischen Emirate. Die ersten vier Tage gehörten dem sogenannten "Host Town Programm". In dieser Zeit konnten sich die Athleten akklimatisieren und die Kultur kennenlernen. Dass sich der Eifer gelohnt hat, wurde Glotz spätestens bei der Eröffnungsfeier bewusst. "Die war einmalig, pompös, richtig gut war die. So ein Erlebnis hat man nicht alle Tage", schwärmt er.

Der Langstreckenspezialist ging in Dubai in den Disziplinen 400 Meter, 800 Meter, 1500 Meter Freistil und der 4x100-Meter-Staffel an den Start. Als er am Freitag zum ersten Mal ins Wasser eintauchte, passte bereits alles. Über 400 Meter schwamm er eine neue persönliche Bestzeit (05:39.47) und vollendete seine Leistung mit Platz fünf. Über die 1500 Meter konnte er sich noch einmal steigern und verpasste Bronze nur knapp (22:47.83). "Vielleicht ist ja eine Medaille drin, die wäre schön", hatte Glotz vor der Reise gehofft. Über die 800 Meter war es dann soweit und er durfte dank eines energischen Schlusssprints auf dem Siegerpodest jubeln - es reichte für Bronze (11:42.96). Die Krönung folgte dann am Donnerstag: Mit der Staffel, die aus einer Frau und drei Männern im Alter von 19 bis 42 Jahren besteht, holte Glotz die erhoffte Goldmedaille (05:55.02). Frenetisch bejubelte das Team den Erfolg und lag sich in den Armen. "Es macht einen unglaublich stolz zu sehen, wie weit man einen Menschen mit Behinderung bringen kann, wie er sich bei jedem Wettkampf steigert und man einen Trainingserfolg sieht. Ich habe bei der Siegerehrung an mich halten müssen, dass ich nicht losweine", sagt Angela Maußer.

"Lasst mich gewinnen, doch wenn ich nicht gewinnen kann, so lasst mich mutig mein Bestes geben", lautet der Eid der Sportler, die bei den Special Olympics an den Start gehen. Glotz hat ihn längst verinnerlicht und zu seinem Lebensmotto gemacht. Über seine Leistungen freut sich auch seine Mutter Diana Huber, die alle Wettkämpfe live von zuhause mitverfolgt. "Wenn er gewinnt, hüpf' ich natürlich in die Luft, auch wenn er immer sagt: Mama, das musst du nicht, hör auf." Sie weiß, dass der Sport für ihren Sohn mehr ist als Muskelaufbau, Bewegung, Krafttraining oder die Verbesserung der motorischen Fähigkeiten. "Es ist sicherlich auch Freiheit und Eigenständigkeit, das Schwimmen ist sein Metier, darin ist er stark und da weiß er, dass er Anerkennung bekommt. Es ist seine Stärke, die er ausleben darf", sagt sie.

Wenn Diana Huber über ihren Sohn spricht, fällt auf, wie sehr er seine Persönlichkeit ins Becken überträgt. "Er geht immer seinen Rhythmus und er lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, man kann ihm keinen Stress machen. Er ist ein Kämpfer, er will vorwärtskommen und er strebt nach Normalität - das ist nicht immer leicht."

Die Special Olympics können zum Erreichen dieser Normalität beitragen. Begegnungen in der Gemeinschaft sind wesentlicher Teil bei den "inklusivsten Spielen bisher", wie Sven Albrecht, der Geschäftsführer von Special Olympics Deutschland (SOD), die Spiele in Dubai im Vorfeld betitelte. Special Olympics sind leistungsorientiert, doch die Freude am Sport - und natürlich die Inklusion - stehen im Mittelpunkt. In Abu Dhabi sind auch neun Unified Teams dabei. Bei diesen Gemeinschaftsmannschaften treten Menschen mit und ohne Behinderung an.

"In der Special-Olympics-Familie ist die Inklusion angekommen, aber da, wo die Familie nicht ist, ist das Thema noch nicht angekommen", sagt Ruth Niehaus. Sie ist Nationale Koordinatorin für die Sportart Schwimmen und begleitet die Athleten in Dubai. In der breiten Bevölkerung müsse sich noch etwas tun. Die nächsten internationalen Spiele finden 2023 in Berlin statt. Niehaus hofft: "Bis dahin wird jeder in Deutschland wissen, was die Special Olympics sind."

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Quelle:
SZ vom 21.03.2019
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