Spaniens Triumph im EM-Finale:Zum Fürchten gut

Fade Kurzpasskreisel als Selbstzweck? Eine satte Generation? Nicht so gut wie noch 2008? Spaniens Nationalmannschaft liefert mit einem spektakulären 4:0 im Endspiel gegen Italien allen Kritikern eine deutliche Antwort.

von Thomas Hummel

Während er sprach, hielt Sergio Ramos in der linken Hand den Pokal an einem der Henkel fest. Lässig sah das aus, wie der zehn Kilogramm schwere Coupe Henri Delaunay so neben seinem Knie baumelte, als wäre er einer dieser aufblasbaren Gummipokale. "Wir können das nun genießen. Bei der Krise, die unser Land durchstehen muss, können heute alle einmal wieder stolz darauf sein, Spanier zu sein."

EURO 2012 - Spanien - Italien

Sehr gut, gut, überragend, ausgezeichnet, exzellent: So könnte ein Abschlusszeugnis für Spaniens Nationalspieler nach dieser EM aussehen.

(Foto: dpa)

Der Verteidiger von Real Madrid schlug die Brücke zwischen den wirtschaftlichen Problemen in der Heimat und dieser Nacht in Kiew. Diese Brücke ist immer ein wenig fadenscheinig, denn was hilft es schon einer notleidenden Familie in Andalusien, wenn hier ein paar Fußballer ein Spiel gewinnen. Doch Ramos, ein waschechter Andalusier, war sich sicher, dass diese Mannschaft dem Land ein bisschen Würde zurückgeben konnte.

Und welche Mannschaft hätte das je von sich behaupten dürfen, wenn nicht diese: 4:0 im Finale der Europameisterschaft gegen Italien, der dritte große Titel in Folge nach der Weltmeisterschaft 2010 und der EM 2008 - noch nie zuvor in der Geschichte des Fußballs hat ein Verband das geschafft. "Heute haben wir ein Rendezvous mit der Geschichte, mit unserem Land. Alle, die das Spiel gesehen haben, können stolz sein auf Spanien", wiederholte Ramos.

Dabei hätten die Mitspieler ihm diese Trophäe niemals anvertrauen dürfen. Hatte er nicht vor einem Jahr die spanische Copa del Rey, den Landespokal, aus dem Doppeldeckerbus in Madrid fallen lassen, woraufhin der schöne Pott unter die Räder kam? Diesmal verstaute er eine Turnhose in dem 42 Zentimeter großen Gefäß: "Die hat mir Glück gebracht, meine Mutter hat sie mir mitgegeben."

Die Spanier hinterließen den Eindruck, als hätten sie sich gerade diesen EM-Pokal abgeholt wie der Musterschüler die nächste Eins in einer Klausur. Bestnote? Gut. Hatte jemand anderes erwartet? Während die Mannschaft 2008 in Wien und 2010 in Johannesburg noch mittels einer lauthals brüllenden Polonaise durch die Katakomben der Stadien gehoppelt war, kamen die Spieler diesmal einzeln und eher leise aus der Kabine. "Vor vier Jahren war es eine Riesen-Euphorie, heute ist es fast schon normal", erklärte Mittelfeldspieler Xabi Alonso.

Als die Spanier kurz vor zwei Uhr ukrainischer Zeit zum Mannschaftsbus gingen, tanzten und tollten sie nicht. Aber sie strahlten eine tiefe innere Zufriedenheit aus. Sie hatten zuvor auf dem Rasen des Stadion Olimpijskyj alle Kritiker widerlegt, die ihren Stil als ziellos und selbstverliebt kritisiert hatten.

Sie hatten gegen wenngleich geschwächte Italiener alles gezeigt, was diese spanische Generation an guten Tagen ausmacht: Perfekte Ballbeherrschung bei höchstem Tempo, irrwitzige Tempowechsel, die Vollendung der Defensivkunst. Spaniens Künstler brachten alles auf den Platz, was sie in den vergangenen Jahren zur dominierenden Kraft im Weltfußball hat werden lassen.

Gerade in den Anfangsminuten kreiselte der Ball unaufhaltsam von einem Spanier zum anderen. Und diesmal hatten sie sich fest vorgenommen, ihre Passzirkulation auch zum Ziel zu bringen. Zuvor waren sie im Turnier schwer kritisiert worden: Der Ballbesitz-Fußball diene nur noch einem kunstvollen Selbstzweck, ihre Taktik ohne ausgebildeten Stürmer brachte ihnen den Beinamen "Tiki Takanaccio" in Anlehnung an das ultradefensive Catenaccio-Italien aus den sechziger Jahren.

"Wir sind stolz auf unseren Stil"

Nach dem Spiel erklärte Trainer Vicente del Bosque: "Wir haben sehr intelligente Spieler, heute machte Jordi Alba ein fantastisches Tor. Wir haben Stürmer im Kader, aber wir stellten Spieler auf, die besser zu unserer Art Fußball passten." Und Mittelfeldspieler Andrés Iniesta erklärte: "Jeder darf seine Meinung haben, aber wir sind stolz auf unseren Stil."

Dieser Stil beinhaltete, dass am Ende eines Angriffs eben dieser Iniesta nach 14 Minuten einen Pass spielte, der brutal wie eine Motorsäge durch die italienische Abwehr fuhr. Cesc Fàbregas legte den Ball zurück und traf genau den Kopf von David Silva, der den Ball ins leere Tor köpfelte (14.). In der 41. Minute zog Linksverteidiger Jordi Alba von der eigenen Hälfte aus einen Sprint an, Xavi gab den zweiten Motorsägenpass des Abends, Alba stand alleine vor dem italienischen Torwart Gianluigi Buffon und verwandelte zum 2:0.

Die Italiener wehrten sich zwar durchaus willig und manchmal auch gekonnt, hatten nach der Pause zwei gute Möglichkeiten zum Anschluss durch Antonio Di Natale. Doch dann wechselte Trainer Cesare Prandelli zum dritten Mal aus, Thiago Motta lief nach 57 Minuten auf den Platz - und verließ ihn vier Minuten später wieder mit einer Muskelverletzung. Nun war Italien nur noch zu zehnt. Das Finale war spätestens in diesem Moment entschieden. Die späten Tore von Fernando Torres und Juan Mata zum 4:0 vollendeten das spanische Treffen mit der Fußballgeschichte.

Merklich gezeichnet sagte Prandelli: "Es ist bedauerlich, dass wir nach dem Halbfinale nicht mehr Zeit hatten, uns zu erholen." Seit dem 2:0 gegen Deutschland waren nur drei Tage vergangen. "Wir waren müde, sehr müde. Gegen Spanien musst du aber hundertprozentig fit sein und in die Zweikämpfe kommen." So erklärte er sich auch die Muskelverletzungen von Motta und von Giorgio Chiellini schon in der ersten Halbzeit. Riccardo Montolivo hatte er herausgenommen, "weil er total erschöpft war", einige andere seien ebenfalls lädiert gewesen, hätten aber dennoch durchgehalten.

Sowohl Prandelli wie auch die Spieler Italiens erkannten aber an, dass es auch im fittesten Zustand diesmal schwierig gewesen wäre gegen diese Spanier. "Vielleicht waren wie ein bisschen müde, aber wenn die Spanier voll spielen, hat man wenige Chancen. Dann gewinnt keiner gegen sie", sagte Montolivo.

Das ist die Angst, die nun umgeht im internationalen Fußball. Werden die Spanier weiterhin alles gewinnen? Bleiben sie unschlagbar? "Wollen Sie nun auch bei Olympia Gold holen?", fragte ein leicht besorgter Reporter aus England. Trainer del Bosque antwortete auf diese etwas lächerliche Frage in seiner gewohnt trockenen, regungslosen Art: "Wir müssen nun die Qualifikation für die WM 2014 angehen und wir vertreten dann auch Europa im Confed-Cup. Das sind schwierige Aufgaben."

Auch Sergio Ramos wurde nach seinen Zielen gefragt, jetzt, wo er so viele große Titel in Serie gewonnen hat wie nie ein Fußballer zuvor: "Wir wollen gewinnen, wir wollen weiterhin Spiele gewinnen." Der Rest der Fußballwelt vernahm seine Worte in dieser Kiewer Nacht mit Schrecken.

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