Eklat im spanischen Fußball:Codes aus der Neonazi-Szene

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Opfer von Schmähgesängen: Der Ukrainer Roman Sosulja (hier im Nationaltrikot) spielt inzwischen für den spanischen Zweitligisten Albacete Balompié - und wurde von Anhängern des Gegners Rayo Vallecano beschimpft. (Foto: Ariel Schalit/AP)
  • Nazi-Sprechchöre gegen den ukrainischen Fußballer Sosulja führen zum Abbruch eines Zweitligaspiels in Spanien.
  • Man wolle jeden Ausdruck von "Gewalt, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit auslöschen", schreibt der Ligaverband LFP, dessen Chef Javier Tebas offen mit der ultrarechten Vox-Partei sympathisiert.
  • Über die politische Gesinnung des Spielers gibt es schon länger Diskussionen.

Von Javier Cáceres, Berlin/Madrid

Die Fans von Rayo Vallecano sind nicht nur für eine Gesinnung bekannt, die sie in eine ideologische Linie mit deutschen Klubs wie dem FC St. Pauli oder dem SV Babelsberg 03 stellt. Sie haben auch Humor. Am Sonntagabend war soeben das spanische Zweitligaspiel zwischen Vallecano und Albacete Balompié abgebrochen worden, da stimmten Rayo-Anhänger die Melodie des kubanischen Gassenhauers "Guantanamera" an und dichteten einen neuen Kehrreim dazu: "... ist Kommunist! Sosulja ist Kommuni-ist! Ist Kommuni-ist! Sosulja ist Kommuni-ist!"

Humorvoll war das deshalb, weil der ukrainische Fußballer Roman Sosulja alles ist, nur kein Kommunist - und das Spiel im Madrider Arbeiterviertel Vallecas zur Halbzeit abgebrochen worden war, weil der bei Albacete beschäftigte Stürmer von den politisch linken Rayo-Fans als das geziehen wurde, was er in Augen von vielen Menschen ist: ein Nazi.

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Genau genommen beschimpften sie Sosulja als "puto nazi", also sinngemäß: als "Scheiß-Nazi"; es gab auch Transparente, die gegen den Ukrainer gerichtet waren. Relevant war der Spielabbruch so oder so: Es begab sich zum ersten Mal, dass eine Partie in Spanien wegen Schmähungen von den Rängen abgebrochen wurde. Angeblich hatten die Spieler von Albacete schon in der ersten Halbzeit erklärt, nicht weiterspielen zu wollen, die Partie war vom Referee zwei Mal unterbrochen worden. Später ließ Albacete verlauten, dass der Spieler in der Kabine weinend zusammengebrochen sei.

"Griezmann verrecke!", riefen zuletzt die Atlético-Fans

Kurios allerdings: Beim Gang in die Kabine hielt er sich noch aufreizend die Hand ans Ohr, als höre er schlecht oder nichts. Danach jedenfalls entschied der Schiedsrichter, die Partie auf unbestimmte Zeit auszusetzen. Für sein Vorgehen bekam er ein ausdrückliches Lob des Ligaverbandes LFP. Damit war spätestens der Punkt erreicht, an dem man in Spanien nicht mehr genau wusste, wohin man den Blick zuerst lenken sollte.

Die einen erinnerten sich daran, dass die Rayo-Legende Wilfred - ein Stadiontor ist nach ihm benannt - von Anhängern anderer Klubs, auch von Albacete, zum Baumwollpflücken geschickt wurde: Er war Nigerianer. Andere riefen ins Gedächtnis, dass frühere Real-Madrid-Profis wie Míchel, Guti oder Cristiano Ronaldo, aber auch Katalanen und Basken generell, schon mal als Schwule verunglimpft wurden. Atlético-Madrid-Fans priesen immer wieder mal den neonazistisch motivierten Mord an einem Anhänger von Real Sociedad San Sebastián vor 20 Jahren. Vor ein paar Tagen riefen sie auch "Griezmann verrecke", weil der französische Weltmeister im Sommer zum FC Barcelona gewechselt ist. In all diesen Fällen passierte nichts.

Nun aber wurde ein Spiel abgebrochen, weil ein Ukrainer als Nazi beschimpft wurde, was aus Gründen, von denen noch die Rede sein wird, nicht ganz so überraschend kam. Man wolle jeden Ausdruck von "Gewalt, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit auslöschen", schrieb der Ligaverband LFP - dessen Chef Javier Tebas, der einst Funktionär der faschistischen "Fuerza Nueva" war, heutzutage offen mit der ultrarechten Vox-Partei sympathisiert und sich mit der Einschätzung vernehmen ließ, dass sie "bei Rayo heute keine Nazis wollen. Und morgen vielleicht keine Homosexuellen". Das war nicht nur wegen der recht gewagten Analogie schräg. Sondern auch, weil Rayo als einer der ersten Fußballklubs Europas die Regenbogenfahne hisste. Es führte aber zur Frage zurück, ob Sosulja nun Nazi ist. Oder nicht.

Diese Frage beschäftigt die Fußballfreunde in Vallecas schon länger. Im Januar 2017 sollte er von Betis Sevilla zu Rayo wechseln, zu einer Zeit, da der russisch-ukrainische Krieg noch präsenter war als jetzt. Es kursierten einige Fotos, auf denen Sosulja mit Symbolen und Vertretern ultranationalistischer Gruppen der Ukraine zu sehen war, die eine Nähe zu Rechtsextremisten aufwiesen. Sosulja posierte auch vor einem Bild von Stepan Bandera, einem notorischen Nazikollaborateur, der von vielen Ukrainern als Volksheld verehrt wird und dem 1959 ein KGB-Agent in München Blausäure ins Gesicht sprühte. Sosuljas zur Schau gestellte Sympathien stießen nicht nur der teilweise linksextremen Ultragruppierung "Bukaneros" auf, sondern diversen Fanklubs. Die Folge: Sosuljas Wechsel von Betis zu Rayo platzte, obwohl Sosulja beteuerte, kein Nazi, sondern nur ein Patriot zu sein.

In dieses Horn stießen nun auch der ukrainische Verband und die Politik. Mit der Kampagne gegen Sosulja würden "Klischees der russischen Propaganda" bedient, teilte eine Sprecherin des ukrainischen Außenamtes mit, "sein Land zu lieben und sich um dessen Schicksal zu sorgen, ist ein natürliches Merkmal eines bewussten Staatsbürgers in der zivilisierten Welt", betonte sie.

Ein Foto belastet Sosulja

Es folgten Solidaritätsadressen unter anderem des ukrainischen Staatschefs, der spanischen Fußballergewerkschaft und diverser spanischer Medien. Dabei wurde kaum thematisiert, dass im Netz auch ein Foto zirkuliert, auf dem Sosulja ein blaues Basketballtrikot mit der Nummer "18" trägt - eine in einschlägigen Kreisen benützte Chiffre für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets, sprich für: A wie Adolf, und H wie Hitler. Auf dem Foto deutet Sosulja auch lächelnd mit dem Zeigefinger auf die elektronischen Anzeigetafel der Halle: "14:88", ist dort zu lesen.

Auch dies führt zu Codes aus der Neonazi-Szene - zu den "Fourteen Words" des US-Rechtsextremisten David Eden Lane ("Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für die weißen Kinder sichern"), und wieder zum achten Buchstaben des Alphabets, also "H" wie "Heil" und "H" wie Hitler. Das Foto, sagte Sosuljas Manager Volodymyr Kusmenko bei Onda Madrid, sei bei einem Benefizspiel für ukrainische Soldaten entstanden. Viele Spieler hätten ein Foto gemacht. Es sei ja auch ein "echt verrücktes Ergebnis" gewesen.

© SZ vom 18.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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