Spanien nach der EM-Vorrunde:So zerstört man Tiki-Taka

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Der Welt- und Europameister wankt gegen Kroatien, fällt aber nicht. Die Aura der Unbesiegbarkeit hat Spanien nach der EM-Vorrunde trotzdem verloren. Zu vorhersehbar war das Spiel, zu gut haben sich die Gegner darauf eingestellt. Die Kroaten hätten es verdient, weiterzukommen - und stempeln nun einen Deutschen zum Sündenbock.

Sebastian Gierke

Vielleicht ist Usedom doch nicht zu weit weg, um Fußballspiele zu bewerten. Oliver Kahn jedenfalls, dreimaliger Welttorhüter und Inselexperte, hat das am gestrigen Montag ganz gut gesehen. Auch eine Weltklassemannschaft erlebe immer wieder kritische Momente, sagte er zum Spiel des Weltmeisters und Titelverteidigers Spanien gegen Kroatien. "Solche Situationen können dann auch mal mit einer Glanzparade des Torhüters oder mit dem Quäntchen Glück überstanden werden." Und Torhüter wie Iker Casillas hätten aufgrund ihrer Erfahrung "so eine Qualität". Die würden nicht nervös, glaubt Kahn.

Tatsächlich sah es ganz und gar nicht nervös aus, als Casillas in der 58. Minute abhob und einen Kopfball von Ivan Rakitic aus nächster Nähe klärte. Rakitic hatte es in diesem Moment auf dem Kopf, den Favoriten Spanien aus dem Turnier zu befördern. Vielleicht war er deshalb nervös. Den Ball hätte man nämlich so platzieren können, dass selbst alle Erfahrung der Welt nichts mehr genutzt hätte.

Was allerdings mit schwingt, wenn so viel über Casillas' psychische Stärke gesprochen werden muss: das Nervenflattern, das den Rest der spanischen Mannschaft während des Spiels gebeutelt hat. Wie Sergio Ramos mit fahrig-verzweifelten Gesten versuchte, seine Abwehr dazu zu bewegen, dem Gegner nicht so viel Platz zu lassen, wie im Mittelfeld La Batuta, der Taktstock Xavi, müde wirkte und ungewohnte Schwächen beim Spielaufbau zeigte, wie der eingewechselte Cesc Fàbregas vor dem Tor tolle Chancen verstolperte. Die Nervosität durchzog die gesamte Mannschaft. Und draußen, auf der Trainerbank, rutschte Trainer Vicente del Bosque schweißgebadet auf seinem Stuhl hin und her - bis nach dem glücklichen 1:0 der Gruppensieg vor Italien feststand.

Am Tag danach titelte die spanische Sportzeitung Marca: "Spanien zittert wie nie und gewinnt wie immer." AS schrieb: "Erster mit Leiden". Der Welt- und Europameister hat seine Aura der Unverwundbarkeit bei diesem Turnier verloren. Spätestens mit dem Spiel gegen die Kroaten.

Denen hätte in der 27. Minute Wolfgang Stark einen Elfmeter zusprechen müssen, als Ramos Mario Mandzukic im Strafraum von den Beinen holte. Die erste grobe Fehlentscheidung des deutschen Schiedsrichters im Turnier. Prompt wurde er von den kroatischen Spielern zum Sündenbock erklärt. "Der ist blind! Der kommt aus Deutschland, oder? Das war richtig schlecht", sagte Danijel Pranjic von Bayern München. Und Wolfsburgs Stürmer Mandzukic erklärte sichtlich angefressen: "Ich sage lieber nichts. Jeder hat die Wahrheit am Fernseher gesehen."

Die Wahrheit war: Ein Weiterkommen der Kroaten wäre nicht unverdient gewesen. Sogar der spanische Trainer widersprach dem nur schwach: "Es war ein schwer erkämpfter Sieg", sagte del Bosque nach dem Spiel. "Wir haben gelitten, aber wir hatten mehr Ballbesitz und Vorteile. Kroatien hat gefährlich gekontert und hatte exzellente Chancen. Aber dafür haben wir Casillas im Tor."

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Das Spiel wird del Bosque auch in der Nachbereitung den Schweiß auf die Stirn treiben. Zu wenig ist seinen Spielern eingefallen gegen taktisch hervorragend eingestellte Kroaten. Denen gelang es mit relativ einfachen Mitteln, das spanische "Tiki-Taka" zu unterbinden. Zwei Viererketten vor dem eigenen Strafraum und gutes Verschieben Richtung Ball, das reichte, um das spanische Kurzpassspiel nicht zur Wirkung kommen zu lassen.

Gut im Griff bis kurz vor Schluss: Spanien besiegt Kroatien glücklich. (Foto: AFP)

"Wir können jedem Spanien-Gegner ein Vorbild sein", sagte Pranjic nach dem Spiel. Er hat damit recht. Und tatsächlich sind auch andere Mannschaften bei diesem Turnier dazu in der Lage. Die Engländer zum Beispiel, auf die Spanien im Viertelfinale treffen könnte.

Die Engländer, vielleicht auch die Ukrainer, werden sich hinten reinstellen, die Räume dicht machen und auf Konter spielen. Denn sie wissen: Die Spanier können - wie der FC Barcelona - nichts anderes, als das Spiel beherrschen. Bislang hat das gereicht, aber souverän war es nicht. Und mit Real Madrid ist in der Primera Division eine Mannschaft Meister geworden, die das schnelle Umschalten von Abwehr auf Angriff perfektioniert - und damit möglicherweise auch die Kroaten inspiriert hat.

Die beiden Turnierfavoriten Spanien und Deutschland können, so viel ist jetzt klar, erst im Endspiel aufeinandertreffen. Joachim Löw und Assistent Hansi Flick auf der Tribüne machten sich dennoch bereits eifrig Notizen. Im Finale hätten dann wohl auch beide Mannschaften endlich Platz zum Zaubern. Doch bis dahin ist es noch ein beschwerlicher Weg. Und es ist nach dieser Vorrunde nicht ausgemacht, dass beide ihn durchstehen.

Aber fragen wir zur Sicherheit noch mal auf Usedom nach: "Ich habe bei dieser EM bisher noch keine bessere Mannschaft gesehen als die deutsche", sagt Oliver Kahn. "Nur Spanien bewegt sich auf dem gleichen Niveau, ist vielleicht hier und da noch einen Tick besser." Na dann muss sich del Bosque ja keine Sorgen machen.

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