Re-Start in Spaniens Fußball:"Deutschland war eine Lokomotive"

Re-Start in Spaniens Fußball: Gute Laune bei Barcelonas Torjägerduo: Der wieder genesene Luis Suárez (links) und Lionel Messi.

Gute Laune bei Barcelonas Torjägerduo: Der wieder genesene Luis Suárez (links) und Lionel Messi.

(Foto: Miguel Ruiz/AFP)

Nach dem Vorbild der Bundesliga startet jetzt auch La Liga - und freut sich auf ein spannendes Titelduell zwischen Barcelona und Real Madrid.

Von Javier Cáceres

Sevilla hält sich für die Stadt mit der speziellsten Hitze der Welt und ist vielleicht gerade deshalb prädestiniert dafür, an Fronleichnam die Neugeburt der spanischen Fußball-Liga zu beherbergen. Wo sonst sollte man die Kühle der Geisterspielatmosphäre besser regulieren als in der Hauptstadt Andalusiens, wo die Temperatur im Sommer auf über 40 Grad steigt? Und wo das Blut sogar bei den Osterprozessionen kocht, weil sich die katholischen Bruderschaften über Fragen der Schönheit streiten, wenn ihre Heiligenstatuen durch die Stadt getragen werden. ("Unsere Jungfrau ist hübscher als eure!")

Zum Neustart der Fußball-Liga hält die Stadt nun für Spanien ihr anderes parareligiöses Derby bereit: Der FC Sevilla empfängt den Ortsrivalen Betis (Donnerstag, 22 Uhr, DAZN live), ohne Fans im Stadion, wegen der Pandemie-Auflagen. Das Estadio Ramón Sánchez Pizjuán droht daher eine Kühltruhe zu werden. Aber besser so als gar kein Fußball, sagen sie auch in Spanien: "Unsere Gesellschaft braucht nach dieser katastrophalen Zeit einen Hauch von frischer Luft, eine Annäherung an die neue, atypische Normalität", sagte Fernando Sanz der Süddeutschen Zeitung, der früher Profi bei Real Madrid war und heute eine Art Außenminister des spanischen Ligaverbandes LFP ist.

Sanz hat die humanitäre Katastrophe selbst schmerzhaft verspürt: Sein Vater Lorenzo, Präsident von Real beim Champions-League-Sieg 1998 mit Trainer Jupp Heynckes, war Ende März eines der ersten prominenten Opfer der Pandemie, die in Spanien mehr als 27 000 Menschen das Leben kostete. Und Fernando Sanz weiß, dass schon die nächste Katastrophe droht. Die spanische Zentralbank befürchtet für 2020 einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um 15,1 Prozent und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf mehr als 23 Prozent. Schon jetzt sind Schlangen vor den Armenküchen bedrückend lang. Und wann sich der Tourismus in Spanien erholt, der zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen gehört, steht in den Sternen.

Bis 19. Juli sollen elf ausstehende Spieltage durchgepeitscht werden

Auch deshalb ist es nicht unerheblich, dass der Ball wieder rollt: "Wenn wir von der 'Marke Spanien' reden, gibt es kaum etwas Repräsentativeres als den Fußball", sagt Sanz. Durch den Neustart werde auf der ganzen Welt "sichtbar, dass die Menschen wieder ein spektakuläres und sicheres Land genießen können". Wie groß die Sehnsucht nach Fußball ist, zeigt auch die kurzfristige Bewerbung von Madrid als Austragungsort für ein mögliches Finalturnier der Champions League im August. Am Dienstag warf die Hauptstadt bei der Uefa ihren Hut in den Ring, als Favorit bei der Vergabe gilt allerdings Lissabon.

Kein Zufall ist auch, dass es den klassischen Urlaubsregionen Spaniens nicht schnell genug gehen kann mit der Zulassung von Fußballzuschauern, vorneweg den Kanaren, die wenige Covid-Fälle zu beklagen hatten. Das Stadion des RCD Mallorca, der am Samstag den FC Barcelona empfängt, wurde in "Estadio Visit Mallorca" umbenannt, und der Sender Cope meldete, die linke Zentralregierung wolle Ende Juni die Stadien wieder für Publikum öffnen. Denn mittlerweile ist die Zahl der Ansteckungsfälle gesunken, für die vergangenen sieben Tage meldeten die spanischen Behörden Todeszahlen im insgesamt nur noch zweistelligen Bereich - es gab Tage, da waren es mehr als 700.

Für die Liga gilt erst mal ein Hygiene- und Sicherheitskonzept, das an die Bestimmungen der Deutschen Fußball Liga (DFL) erinnert und bisher weitgehend respektiert wird. Nur der Ex-Frankfurter Luca Jovic (Real Madrid) sorgte wegen einer Grillparty mit Freunden für Aufregung. "Vieles von dem, was wir in Deutschland sehen, ist für uns eine wichtige Referenz", sagt Sanz. Deutschland sei "eine Lokomotive für alle" gewesen, auch für die spanische Liga, die just von der Krise getroffen wurde, als sie sich finanziell gerade auf dem Weg in einem Boom wähnte.

Die Ouvertüre aber gehört den Klubs aus Sevilla

Seit die Regierung 2015 die Zentralvermarktung der TV-Rechte dekretierte, stiegen die Gewinne und sanken die Schulden der Klubs. Die Gesamtumsätze der 20 Erstligisten rauschten um sagenhafte 77,2 Prozent auf 3,9 Milliarden Euro in der Saison 2018/19 hinauf. Die Corona-Krise aber legte bloß, wie wacklig manches Gerüst ist - besonders beim FC Barcelona, wo die Gehälter fast 500 Millionen Euro pro Jahr ausmachen. 391 Millionen verschlingen allein die Profis um Kapitän Lionel Messi und DFB-Nationaltorwart Marc-André ter Stegen. Das ist bei ausbleibenden Einnahmen nicht mal ansatzweise finanzierbar. In Spanien gab es auch mehr Spieler als in Deutschland, die Bedenken gegen das Weiterspielen äußerten, und es gab unter den Fußballern der Liga mehr Corona-Infektionen als in der Bundesliga. Ein Hotspot war Valencia, insbesondere nach dem ominösen Champions-League-Spiel in Mailand. Mitte Mai sendete Radio Cope die offiziell unbestätigte Meldung, bei 16 Prozent der Profis aus erster und zweiter Liga seien Covid-Antikörper festgestellt worden; bei jüngsten Tests waren fünf Profis und ein Referee positiv. Doch der Druck, wieder zu spielen, war enorm.

"Wenn wir die Liga abgebrochen hätten, wie es die Franzosen in meinen Augen überstürzt getan haben, dann wäre fast eine Milliarde Euro perdu gewesen", sagt Sanz. Jetzt gehe man "immer noch von 300 Millionen Verlust aus", vorausgesetzt, die Liga wird wie geplant beendet. Das hieße, dass es an fast jedem Wochentag Spiele geben wird. Bis 19. Juli sollen elf ausstehende Spieltage durchgepeitscht werden; auch montags soll gespielt werden, dagegen hatte sich der Verband RFEF lange gesträubt, er liegt mit der Liga überkreuz. Eine Übersättigungsgefahr sieht Sanz nicht: "Die Leute wollen Normalität. Einen Teil der Normalität gibt ihnen der Fußball."

Für sportliche Spannung immerhin ist in Spanien gesorgt. Im Gegensatz zu England (Liverpool) und Deutschland (FC Bayern) ist der Meisterschaftskampf noch nicht entschieden. Barcelona führt in der Tabelle nur zwei Punkte vor Real Madrid - und kann wieder auf Torjäger Luis Suárez zählen, der die Pause zur Genesung von einer schweren Knieverletzung nutzte. Auch Messi ist fit. Das lässt Barças Hoffnungen auf die Titelverteidigung größer werden - auch wenn bei Real der 100-Millionen-Kauf des vergangenen Sommers, der Belgier Eden Hazard, ebenfalls wieder gesund ist. Bei Real bleibt zudem abzuwarten, wie man es verdaut, die Geisterspiele im Stadion der zweiten Mannschaft bestreiten zu müssen - das Bernabéu wird nämlich gerade modernisiert.

Die Ouvertüre aber gehört den Klubs aus Sevilla, das garantiert Explosivität. Wie man so ein Derby spielt, erklärte Sevillas Ex-Präsident José María del Nido einst dem chilenischen Profi Gery Medel nicht mit Worten. Er biss auf eine Machete.

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