Spanien:Häuptling Ramos streckt die Zunge raus

Spanish La Liga soccer match Barcelona vs Real Madrid at Camp Nou Stadium, Barcelona, October 24, 2020 Sergio Ramos cel

Ätsch-bätsch: Reals Kapitän Sergio Ramos feiert in Barcelona.

(Foto: Miguel/imago)

Real schürt mit dem 3:1 im Clásico die schlechte Stimmung beim FC Barcelona, der weiter mit sich selbst kämpft.

Von Lisa Sonnabend, Barcelona/München

Sergio Ramos lief los, zögerte - und verwandelte abgeklärt zum 2:1. Wieder einmal entschied der Abwehrchef von Real Madrid ein wichtiges Spiel, wie so oft per Elfmeter. Am Ende gewann sein Team 3:1 (1:1) beim FC Barcelona, im spanischen Clásico, der diesmal ein Krisentreffen war. Ramos hatte den wegweisenden Elfmeter zuvor selbst herausgeholt - mit einer für ihn typischen Aktion: Als in der 60. Minute ein Freistoß von Toni Kroos in den Strafraum segelte, zupfte Barça-Verteidiger Clément Lenglet an Ramos' Trikot. Da der Recke mit dem langen Bart erkannte, dass er den Ball nicht optimal erreichen würde, nahm er das Angebot an und ließ sich fallen. Der Schiedsrichter sah sich die Szene noch mal im Video an und gab den Strafstoß, Barcelona-Trainer Ronald Koeman beschwerte sich später bitter. Doch es war eine vertretbare Entscheidung - und die Schlüsselszene des Tages.

Zwei Heimspiele hatte Real in den Tagen zuvor verloren, es waren Blamagen gegen Außenseiter: in der Liga gegen Aufsteiger Cádiz (0:1), in der Champions League gegen ein durch Corona-Fälle dezimiertes Schachtjor Donezk (2:3). Häuptling Ramos, 34, fehlte beide Male wegen einer Knieverletzung, zum Clásico war der Kapitän aber zurück. Ramos ist ein Fußballer, dem es wie kaum einem anderen gelingt, Mitspieler mitzureißen, und er entpuppt sich als immer torgefährlicher je älter er wird. In der vergangenen Saison traf der Verteidiger in der Liga elfmal - bei Real schoss nur Stürmer Karim Benzema mehr Tore. Die Rolle von Ramos im Team der Königlichen ist wichtiger als je zuvor.

Der prestigeträchtige Sieg im Camp Nou kommt Real und dem zuvor hart kritisierten Trainer Zinedine Zidane gerade recht: "Ich freue mich für die Spieler", sagte der Franzose nach der Partie, "wir können heute zufrieden sein." Ramos beschwor den Teamgeist: "Wir sind gemeinsam gerannt, wir haben zusammen auf dem Platz gelitten. Wenn die Dinge schwierig sind, müssen wir vereint auftreten."

Während Barcelona nach der zweiten Liganiederlage nacheinander (zuvor 0:1 in Getafe) noch tiefer in die Krise stürzte, grüßt Real in der Tabelle wieder von ganz oben. Der Clásico war zwar spielerisch munter, aber nicht hochklassig. Und es war einer der betrüblichsten: Die Coronavirus-Pandemie trifft Spanien hart, mehr als eine Million Menschen haben sich bereits infiziert, am Sonntag ist erneut der nationale Notstand ausgerufen worden. Zuschauer waren im Stadion Camp Nou nicht zugelassen, und die Emotionen auf dem Platz fielen verhaltener aus als sonst.

Real ging früh in Führung: Nach überlegtem Zuspiel von Benzema traf Federico Valverde in der fünften Minute sehenswert aus spitzem Winkel. Doch nur drei Minuten später flankte der erfahrene Jordi Alba auf Barcelonas Sturmjuwel Ansu Fati, 17, der den Ball mit der Fußspitze zum 1:1 (8.) ins Tor stupste, das Vereinsemblem auf seinem Trikot küsste und nebenbei zum jüngsten Clásico-Torschützen der Geschichte avancierte. Beide Mannschaften ließen sich gegenseitig viel Raum, immer wieder kam es zu Chancen.

Barça war das offensivere Team, Lionel Messi zeigte sich zunächst spielfreudig, aber Philippe Coutinho, der nach Ablauf seiner Leihe zum FC Bayern plötzlich wieder eine tragende Rolle in Barcelona spielt, köpfelte nach 54 Minuten fahrlässig neben das Tor. Wenig später fiel Ramos im Strafraum - und das cleverere Team gewann. Barcelonas Torhüter Neto, der den verletzten Marc-André ter Stegen vertritt, ahnte zwar die Ecke, parierte aber nicht. Ramos streckte nach dem Elfmeter die Zunge raus und ließ sich von Mitspielern umarmen.

Barcelonas Coach Koeman wechselte erst spät ein neues Offensivtrio ein, darunter den oft geschmähten Antoine Griezmann. Zwingende Chancen aber blieben aus, stattdessen machte Luka Modric in der 90. Minute per Außenrist-Schlenzer zum 3:1 alles klar. Und Messi? Bewegte sich auf dem Rasen fast gar nicht mehr, ließ den Kopf hängen und blies frustriert die Backen auf. "Wir haben gut gespielt, haben viele Chancen herausgespielt", fand Trainer Koeman, "wir hätten es verdient zu gewinnen." Das waren Wunschgedanken.

Spätestens seit dem 2:8-Kollaps in der Champions League gegen den FC Bayern Ende August kämpft der Verein FC Barcelona vor allem mit sich selbst. Der Streit zwischen den Spielern und Präsident Josep Maria Bartomeu eskalierte und gärt weiterhin. Messi gibt sich nach seiner misslungenen Flucht zwar Mühe auf dem Platz, doch verziehen hat er den Verantwortlichen bislang nicht - auch weil sie seinen Mitspieler und Freund Luis Suárez zum Konkurrenten Atlético Madrid verschacherten.

Am Freitag legte Abwehrchef Gerard Piqué in der Zeitung La Vanguardia noch einmal nach. Während er Messi schmeichelte, kritisierte er die Vereinsführung heftig, unter anderem für die Entlassung von Meistertrainer Valverde zu Jahresbeginn. Der FC Barcelona kommt also nicht zur Ruhe. Am Montag tagt das Präsidium, vieles ist denkbar - sogar ein sofortiger Rücktritt von Boss Bartomeu.

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