Coronavirus und Olympia:Die Zweifel an den Spielen in Tokio wachsen

Vor den Olympischen Spielen in Tokio - Coronavirus

Tokio, Straßenszenen im März: Die Olympiamaskottchen tragen noch keinen Mundschutz.

(Foto: Jae C. Hong/dpa)
  • Fast überall in Japan ruht der Schulbetrieb wegen des Coronavirus, Sportwettkämpfe werden abgesagt.
  • Während die Zweifel an den Spielen in Tokio wachsen, tut das IOC so, als gäbe es kein Problem.

Von Thomas Hahn, Tokio

Seiko Hashimoto ist eine der wenigen Ressortleitenden im japanischen Regierungskabinett, die ihr Amt mit fundiertem Fachwissen anreichern können. Die Olympiaministerin ist nicht irgendeine beliebige Karrierepolitikerin, sie kennt die Spiele aus ihrem persönlichen Erleben. Als Eisschnellläuferin und Bahnradfahrerin stand sie insgesamt sieben Mal im japanischen Olympiateam und gewann 1992 in Albertville sogar Bronze. Seiko Hashimoto weiß also, wie unangenehm es für Athleten ist, wenn sie sich ihres Saisonhöhepunktes nicht sicher sein können. Und deshalb hat sie am Dienstag im Parlament wohl eher ungern darüber gesprochen, dass eine Verlegung der Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio diesen Sommer wegen des Coronavirus möglich und rechtens wäre. "Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat nur dann das Recht, die Spiele abzusagen, wenn sie nicht 2020 abgehalten werden", sagte sie.

Die Zweifel an den Sommerspielen lassen sich gerade nicht abschütteln. Japans Regierung würde ihr eigenes Vorgehen im Kampf gegen die Verbreitung des Coronavirus infrage stellen, wenn sie eine Verlegung der olympischen und paralympischen Feste nicht zumindest leise in Erwägung ziehen würde. Denn wegen steigender Infektionszahlen setzt die Regierung gerade mit bestmöglicher Konsequenz darauf, Menschenansammlungen zu verhindern. Seit Montag ruht der Schulbetrieb fast überall, weil der rechtskonservative Premierminister Shinzo Abe dieses angeregt hat. Am Mittwoch sprach Abe mit den Oppositionsführern, um diese für ein Notstandsgesetz zu gewinnen: Mit dem könnte der Staat bei großer Virus-Gefahr einen weitgehenden Stillstand des öffentlichen Lebens erwirken. Und Japans Sportveranstalter folgen brav den Ideen von oben.

Die J-League hat den Saisonstart verschoben, der Tokio-Marathon fand ohne Amateurrennen statt. Das Organisationskomitee der Tokio-Spiele sagte eine Testveranstaltung für Rollstuhlrugby ab. Und das traditionelle Frühlingsbasho der Sumo-Ringer in Osaka, das am Wochenende beginnt, findet zum ersten Mal vor leeren Rängen statt. Das Turnier war ausverkauft, erwartet wurden täglich 7000 Zuschauer. Sie müssen zu Hause bleiben. "Wir haben die Entscheidung getroffen, um dazu beizutragen, die Verbreitung der Infektion zu stoppen", erklärte der Sumo-Verband.

Das Selbstbewusstsein des IOC ist beneidenswert

Insofern wirken die Bekenntnisse des IOC in Lausanne gerade etwas dünn. Präsident Thomas Bach höchstpersönlich hat alle Athleten dazu aufgerufen, einfach weiterzumachen mit ihren Vorbereitungen. Ein IOC-Statement erklärte das "volle Bekenntnis zum Erfolg der Olympischen Spiele in Tokio 2020, die vom 24. Juli bis zum 9. August stattfinden". Man folge den Ratschlägen der Weltgesundheitsorganisation. Der IOC-Vorstand habe einen Report über alle Anti-Coronavirus-Maßnahmen gehört und anschließend eine "umfassende Diskussion" abgehalten.

Das Selbstbewusstsein des IOC ist beneidenswert. Denn die Gesamtsituation ist von Verunsicherung geprägt bei offiziell 92 000 Infizierten in mindestens 70 Ländern und 3130 Toten. Gerade in Japan weiß man nicht so genau, woran man ist. Kritiker sagen, Abes dramatisches Eingreifen habe mehr mit Machtpolitik zu tun als mit wissenschaftlich fundierter Krankheitsbekämpfung. Die gute Nachricht für Olympia-Freunde ist dabei: Viele Mediziner halten flächendeckende Absagen und Schulschließungen für wenig effektiv. Die schlechte Nachricht: Sie halten Japans offizielle Infizierten-Zahlen für stark untertrieben.

Im Mai muss eine Entscheidung für die Spiele fallen

Auf über 1000 ist die nationale Zahl der Infizierten bisher gestiegen inklusive über 700 Krankheitsfällen auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess, welches Japans Gesundheitsministerium zwei Wochen in Yokohama unter Quarantäne hielt. Andere Länder haben mehr. Aber: "Das ist nur die Spitze des Eisbergs", hat Masahiro Kami, der Chef des gemeinnützigen Forschungsinstituts für Medizinkontrolle, mittlerweile schon in mehreren Medien gesagt.

Japans Regierung sieht Coronavirustests im Grunde nur für Verdachtsfälle mit schweren Symptomen vor. Viele Covid-19-Infizierte haben leichte Symptome, wurden aber nicht getestet, liefen wahrscheinlich mit dem Virus im Körper durch die Gegend, steckten weitere Menschen an und trugen unwissentlich dazu bei, dass das Virus in Japan kaum noch einzudämmen ist. Dazu passt die Erkenntnis, die Hiroshi Nishiura, Medizinprofessor an der Hokkaido-Universität und Spezialist für statistische Modelle von Infektionskrankheiten, auf einer Pressekonferenz am Montag vortrug. Auf der Basis von Reisebewegungen und Infektionen berechnete er, dass es im Februar auf der Nordinsel Hokkaido 940 Infizierte gegeben haben müsste. Zehn Mal so viele wie die offiziellen Zahlen verheißen. "Wahrscheinlich gibt es viele Leute, die nur geringe oder keine Symptome entwickelt haben", sagte Nishiura.

Aber was passiert, wenn Japans Regierung bei ihrer Testroutine bleibt? Laufen dann weiter Infizierte unbemerkt durch die Straßen? Besteht so Aussicht auf ein Ende der Krise bis Mai - das ist jener Monat, in dem laut IOC-Mitglied Dick Pound eine Entscheidung über die Spiele fallen muss? IOC-Sprecher Mark Adams hat gesagt, im IOC-Vorstand habe man nicht darüber gesprochen, was geschieht, wenn sich die Virus-Lage verschlimmert.

Und die Olympiaministerin? Seiko Hashimoto wehte die Frage an, ob sie glaube, dass die Spiele stattfinden, wenn die Virus-Lage sich verschlimmere. Sie wollte etwas Beruhigendes sagen. Sie weiß ja, wie wenig Athleten es gebrauchen können, wenn Sorgen sie vom Training ablenken. Sie formulierte es so: "Wir tun unser Möglichstes, um so eine Situation zu vermeiden."

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