Prozess um Niersbach und Zwanziger:Wer zahlt die Zeche?

Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach

Sollen sie nun zahlen? Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Die Schweizer Bundesanwaltschaft rührt ihr größtes Desaster auf: den Sommermärchen-Prozess um die verschobenen Millionen rund um die WM 2006. Es geht um Gerichtskosten in beträchtlicher Höhe.

Von Thomas Kistner

Nachtreten zählt zu den übelsten Regelverstößen im Fußball, der Angriff auf den verteidigungsunfähigen Gegner zieht die rote Karte nach sich. Diese würden unabhängige Fachleute nun gerne der Schweizer Bundesanwaltschaft zeigen. Denn die BA rührt soeben ihr bisher größtes Desaster auf: den Sommermärchen-Prozess um verschobene Millionen rund um die WM 2006, geführt gegen die deutschen Altfunktionäre Theo Zwanziger, Horst Schmidt, Wolfgang Niersbach und den Schweizer Ex-Fifa-General Urs Linsi. Das Verfahren war am 27. April geplatzt.

Erst im Juli 2019 hatte die BA ihre Anklage ans Bundesgericht in Bellinzona geschickt und den Hauptbeschuldigten aus Gesundheitsgründen zuvor flott herausgenommen: Franz Beckenbauer, der wohl als einziger den Zweck des Millionendeals kennt. Ende Januar schickte das Gericht die Anklage gar retour nach Bern, zur Nachbesserung.

Jetzt fordert die BA auf 48 Seiten, den Beklagten die Kosten der Luftnummer aufzubrummen, womöglich Hunderttausende Franken. Zu recht? "Die Unschuldsvermutung", sagt ein unabhängiger Experte der SZ, "gilt auch, wenn ein Verfahren eingestellt ist." Trotzdem versuche die BA nun, per "Kostenentscheid einen Schuldspruch des Gerichts herbeizuführen und den Beschuldigten alle Verteidigungsmöglichkeiten abzuschneiden". Starker Tobak. Doch das deckt sich mit dem Vortrag der BA.

Die Strafbehörde unter dem Bundesanwalt Michael Lauber hat wegen dessen Geheimtreffen mit dem Boss des Fußball-Weltverbandes Fifa, Gianni Infantino, eine beispiellose Justizkrise in der Schweiz ausgelöst: Erstmals läuft ein Amtsenthebungsverfahren gegen den nationalen Chefankläger. Lauber ist von einigen Fifa-Prozessen suspendiert, auch vom WM-2006-Verfahren. Die Aufsicht lastet ihm Amtsverletzungen und Lügen an. Der Schaden ist enorm, politische Drähte halten Lauber. Noch. Die Kantonsjustiz in Bern fordert aufgrund neuer Anzeigen gegen Lauber und Infantino, einen Sonderermittler einzusetzen; der soll ein Verfahren gegen beide prüfen und im Bedarfsfall ermitteln.

Am Donnerstag stimmten die Ratspräsidien im Parlament zu. Die Zeichen stehen auf Untergang. In dieser Hitze erfolgt die BA-Attacke gegen die WM-2006-Protagonisten. Nicht, dass die Causa substanzlos wäre. Offenbar aber will Bern nachholen, was nicht vor Gericht gelang. Die Beklagten hätten den Prozess gezielt in die Verjährung verschleppt, so die BA, dem Steuerzahler dürften dafür nicht die Kosten zugemutet werden. Es sei "zum Schutz der schweizerischen Staatsfinanzen" rechtmäßig, dem Quartett die Zeche aufzuhalsen; auch ohne Schuldspruch.

Stur wiederholen die Ankläger ihre Vorwürfe: Das Quartett habe gewusst, dass die 6,7 Millionen Euro, die sie aus dem WM- 2006-Budget zur Fifa geschickt hatten, falsch deklariert und als Rückzahlung an den Sportunternehmer Robert Louis-Dreyfus gedacht waren, der dem OK-Chef Beckenbauer dieses Geld vorgestreckt hatte. Die BA rügt sogar, dass Beklagte nicht zum Prozessauftakt nach Bellinzona kamen.

Das alles wirkt schon eingedenk der filmreifen Schieflage der Behörde bizarr. "Ein Rechtsstaat muss aushalten, wenn Beschuldigte ihre prozessualen Rechte ausreizen, auch exzessiv," sagt ein unabhängiger Fachmann. Und just die Befangenheitsanträge gegen Lauber seien ja keine billige Verschleppungsstrategie. Tatsächlich ist bis heute unklar, was Lauber so diskret mit Infantino besprach. Eines ihrer Geheimtreffen wollen die beiden gar komplett vergessen haben. Diese Gedächtnis-Groteske wird nun von vielen Seiten aufgebohrt.

Fachleute kontern den neuen BA-Vorstoß mit dem Schweizer Strafrecht, das zur Kostenfrage unter Paragraf 426 festhält: "Die beschuldigte Person trägt die Verfahrenskosten nicht, die der Bund (...) durch unnötige oder fehlerhafte Verfahrenshandlungen verursacht hat." Was wohl leicht zu beweisen wäre.

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