s.Oliver Würzburg:Endlich widerborstig

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Dass Würzburg auf dem Sprung ins Europe-Cup-Finale und in die Bundesliga-Playoffs steht, hat viel mit dem missratenen Saisonstart zu tun.

Von Sebastian Leisgang

Dass der Basketball bei aller Show den Menschen vielleicht doch nahe ist, zumindest nicht ganz so aufgesetzt, illusorisch und dem Volke fern wie der Fußball, das zeigte sich vor einer Woche in der Schweiz, in der Nähe des San-Bernardino-Passes. Es war tief in der Nacht, etwa zwei Uhr morgens, drei Busse fuhren die Autobahn entlang.

Denis Wucherer erzählt die Geschichte. Wie einer der beiden Fanbusse auf einmal mit einem Motorschaden auf der Strecke liegen blieb. Und wie die Fans dann in den Mannschaftsbus der Würzburger Basketballer stiegen, um mit ihnen gemeinsam den Weg nach Hause zu bestreiten, ein 89:66 (46:33) aus dem Spiel in Varese im Gepäckraum. "Wir wollten uns gerade zur Nachtruhe fertigmachen", sagt Wucherer, "und plötzlich war der Bus gerammelt voll. Die Spieler hatten dann nicht mehr zwei Sitze für sich, sondern nur noch einen." Da saßen sie dann also Seite an Seite, Basketballer und Fans, eins im Versuch, in den Schlaf zu finden, sechs Stunden lang. Wucherer erzählt all das ohne Verve, eher beiläufig. Dann sagt er: "Es war eine Selbstverständlichkeit, alle mitzunehmen." Die Geschichte hinter der Geschichte ist ihm gar nicht so wichtig. Dabei ist sie es doch, die eine Menge aussagt. Über Wucherer und seine uneitle Art, auch über die Mannschaft und ihre Bereitschaft, sich anzupassen.

Wucherer, 45, ist ein selbstbewusster Mann. Er hat Prinzipien und klare Vorstellungen, er redet gerne über Zimmerlautstärke, und manchmal tritt er doch sehr breitbeinig auf. Dann sagt er Sätze wie: "Ich bin froh, dass das eingetreten ist, was ich von mir kenne: dass ich und das Trainerteam Spieler entwickeln und Mannschaften besser machen können." Solche Äußerungen, triefend vor Vertrauen in sich selbst, das ist die eine Seite an Wucherer. Da ist aber noch eine andere, eine sensible und empathische Seite.

Als es zu Beginn dieser Saison nicht gerade gut lief, als Würzburg aus dem Pokal ausschied und fünf der ersten sieben Spiele in der Bundesliga verlor, da trat diese Seite schon mal zutage. Wucherer offenbarte, er schlafe schlecht. Es war nicht bloß eine Phrase, die Niederlagen machten ihm wirklich zu schaffen, und er, dieser selbstbewusste Mann mit Prinzipien und klaren Vorstellungen, fing an, sich zu hinterfragen. Er tadelte zu dieser Zeit zwar auch seine Spieler, sie seien unter dem Korb nicht widerborstig genug, sie seien zu brav - er räumte in aller Öffentlichkeit aber ebenso kritisch ein, dass auch er selbst seine Arbeit besser machen müsse.

Dass Würzburg nun vor dem Einzug ins Endspiel um den Europe Cup und in die Bundesliga-Playoffs steht, hat viel mit der damaligen Zeit zu tun. Die Niederlagen bewegten Wucherer nicht nur, sich selbst und seine Arbeit zu durchleuchten, sondern auch, Schlüsse zu ziehen. Seitdem spielt die Mannschaft körperlicher, mit dem nachträglich verpflichteten Center Mike Morrison gewann sie zusätzlich an Robustheit und Stabilität, und der ebenso nachträglich verpflichtete Forward Devin Oliver traf bislang regelmäßig zweistellig.

An diesem Mittwoch bekommt es Würzburg noch mal mit Varese zu tun. Es ist das Rückspiel im Halbfinale. Nach dem klaren Sieg in Italien dürfte sich Wucherers Team eine Niederlage mit 22 Punkten Unterschied erlauben und würde dennoch ins Europe-Cup-Endspiel vorrücken. Würzburg im Finale": Wie klingt das - auch wenn es bloß der niederklassigste der vier europäischen Wettbewerbe ist? Wucherer stockt kurz, dann entgegnet er: "Noch stehen wir nicht im Finale." Noch sieht er ja die immense Fallhöhe, die aus dem Hinspiel erwachsen ist. Noch verweist er auf den Fall Hapoel Unet Holon. Die Israelis verschusselten im Viertelfinale beinahe noch das Rückspiel gegen Alba Fehervar nach einem Sieg mit 33 Punkten Vorsprung. Das macht Wucherer vorsichtig. Dann lässt er sich doch auf die Überschrift "Würzburg im Finale" ein - zumindest ein bisschen: "Die Schlagzeile würde mir gefallen. Ich glaube, wir hätten es verdient."

© SZ vom 17.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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