Snowboard:Ohne Tricks geht nix

Snowboard: Der US-Amerikaner Sammy Luebke bei der Freeride World Tour.

Der US-Amerikaner Sammy Luebke bei der Freeride World Tour.

(Foto: Jeremy Bernard / freerideworldtour / oh)
  • Früher wurde bei den Snowboarden klar unterschieden zwischen Freestylern und Freeridern - letztere wurden kritisch beäugt.
  • Inzwischen aber gehen bei der Freeride World Tour renommierte Freestyle-Snowboarder an den Start.
  • Immer mehr jüngere Fahrer interessieren sich für den Freeride-Sport.

Von Anke Eberhardt

Bis vor ein paar Jahren waren die Fronten bei den Snowboardern geklärt. Die Coolen, das waren die Freestyler mit den Tricks, die nicht so Coolen waren die Freerider mit den Turns. Als dann die ersten Freeride-Contests aufkamen, wurden jene Fahrer, die "nur" beeindruckende Hänge herunterfuhren, sogar noch kritischer beäugt. Wettkämpfe im Tiefschnee? Wo es doch beim Freeriden um das Naturerlebnis geht und normalerweise nur der Neuschnee das Timing vorgibt - da sollten plötzlich Startnummern und Zeitpläne Einzug halten? Wenn es schon keine wilde Akrobatik in einem präparierten Kurs zu sehen gab, musste man dann nicht zumindest den Werten treu bleiben, die abseits der Piste gelten? So oder so ähnlich lautete die Kritik.

Als die inzwischen renommierte Freeride World Tour vor nunmehr zehn Jahren ihre ersten Veranstaltungen organisierte, war das Fahrerfeld dementsprechend wenig glamourös. Zwar alles überragende Sportler, keine Frage, und die alpinen Hänge herausfordernd. Aber die großen Namen fehlten, oder waren schon so in die Jahre gekommen, dass Powderfahren mit Punktebewertung schon hämisch als Vorstufe zur Pensionierung angesehen wurde. Die Grenze zwischen der Freestyle-und der Freeride-Welt war klar gezogen.

Freestyle-Tricks in die großen Berge bringen

Im Januar dieses Jahres stellte Travis Rice im japanischen Hakuba zum zweiten Mal einen Lauf hin, der all die vermeintlichen Regeln ad absurdum führte. Allein die Teilnahme des US-Amerikaners bei einem Event der Freeride World Tour wäre vor einiger Zeit noch undenkbar gewesen. Schließlich hat der 36-Jährige so ziemlich alle wichtigen Freestyle-Wettbewerbe gewonnen: Air&Style, X-Games, US Open, egal ob im Slopestyle oder beim Big Air. Auch bei seinen Filmproduktionen wurde nicht mit Superlativen gegeizt. Rice hat erreicht, was man im Snowboarden erreichen kann. Warum fährt so einer plötzlich bei einem Freeride-Contest mit?

"Ich liebe bestimmte Elemente des Freestyle-Snowboardens noch immer", sagte Rice nach seinem Sieg, "aber für mich geht es inzwischen eher darum, die Freestyle-Tricks in die großen Berge zu bringen. Das ist mein heiliger Gral des Snowboardens." 2012 und 2013 initiierte er deswegen eigene Veranstaltungen, die beide Elemente verbinden sollten: den Supernatural und Ultra Natural Event. Im kanadischen Hinterland wurden aus Baumstämmen Plattformen gebaut, die dann, meterhoch eingeschneit, für Tricks genutzt werden konnten. Das illustre Fahrerfeld, das auf persönliche Einladung von Rice an den Start ging, bestand aus dem Who's Who der Freestyle-Szene und überbot sich erwartungsgemäß mit Rotationen - nun auch erstmals für einen Contest im Tiefschnee.

Immer mehr jüngere Fahrer interessieren sich für Freeride

Seitdem haben zwei weitere Olympische Spiele stattgefunden, auch Big Air, ausgelegt auf einen einzigen, möglichst spektakulären Trick, ist seit Pyeongchang olympisch. Und Travis Rice? Geht bei den Freeridern an den Start. "Freestyle-Wettbewerbe werden immer technischer", erklärte er. "Wir befinden uns in einem Noch-eins-Stadium: Noch eine Rotation mehr, noch ein Grab mehr." Seit drei Jahrzehnten habe sich der Sport so weiterentwickelt, das sei beeindruckend. Aber um erfolgreich zu sein, brauche man inzwischen einen Gymnastikhintergrund und müsse trainieren wie ein Olympionike - was kein essentieller Teil der Snowboardkultur ist: "Die Freeride World Tour hingegen repräsentiert für mich die Zukunft des Wettkampf-Snowboardens." Dass Rice nicht der Einzige ist, der so denkt, bestätigt auch die Teilnahme von Gigi Rüf. Der Österreicher hat ebenfalls Legendenstatus und startete bei der Freeride World Tour in Hakuba.

Wenig überraschend holten sich Rice und Rüf die Plätze eins und zwei - was keineswegs daran lag, dass die Herausforderungen bei der Tour zu niedrig sind. Im Gegenteil: Da der Hang vor dem Wettbewerb nicht gefahren werden darf, müssen sich die Starter durch Fotos und eine Begehung der Nebenhänge ein Bild des Geländes machen. Wie eng eine Rinne, wie steil eine Landung ist, können sie nur erahnen. Die Wahl der Abfahrt und die Fähigkeit, sich von oben an die geplante Route zu erinnern ist eine enorme Leistung. Sowohl Rice als auch Rüf haben immense Erfahrung im Gelände. Trotzdem - und hier wird es etwas absurd - sind es ihre Tricks, die sie von den anderen Startern abheben. "Der Run von Travis Rice war einer der härtesten, die es je bei einem Freeride World Tour Event gab", sagt Lolo Besse, erster Wettkampfrichter der Tour. "So enorme 720s wie seinen sehen wir nicht oft." Sein Kollege Dion Newport bestätigt: "So wie sich die Freeride-Events in den letzten Jahren entwickelt haben, sind Tricks wichtiger denn je."

Beeindruckende Jugendarbeit

Rice, der sich von der Freestyle-Welt abwendet, befeuert also die Progression im Freeride-Sport. Und trägt dazu bei, dass sich immer mehr jüngere Fahrer dafür interessieren. Wenn Rice vom Freeriden als Zukunft des Snowboardens spricht, ist das auch wörtlich gemeint: Die Jugendarbeit der Freerider ist beeindruckend. 90 Junior- und 80 Qualifizierungswettkämpfe gehören zur World Tour, vergangene Saison haben sich weltweit circa 5200 Fahrer registriert. Eine drastische Wende für eine Disziplin, die vor zehn Jahren unter einem Imageproblem litt, weil der Nachwuchs eher Halfpipe oder Slopestyle fuhr.

Wenn nun ab dem 22. Februar im österreichischen Fieberbrunn der nächste Stopp ansteht, wird Travis Rice nicht vor Ort sein. Die gesamte Tour fährt er nicht mit. Zu groß wäre der zeitliche Aufwand, zu wichtig sind die Filmproduktionen im Verhältnis zu einem Gesamtsieg der Tour. Ganz so weit ist das Freeriden eben doch noch nicht.

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