Snowboarderin Anke Karstens:"Ich hab's nicht verloren, ich hab Silber gewonnen"

Snowboarderin Anke Karstens: Zweiter und dritter Platz: Anke Karstens (links) und Amelie Kober freuen sich über das Ergebnis

Zweiter und dritter Platz: Anke Karstens (links) und Amelie Kober freuen sich über das Ergebnis

(Foto: AP)

Verletzungen im Sprunggelenk, verzögertes Training, Wettkampf-Enttäuschungen: Anke Karstens holt im Parallel-Riesenslalom überraschend Silber. Bronze geht obendrein an ihre gute Freundin Amelie Kober. Ein großer Tag für den kleinen Verband Snowboard Germany.

Von Thomas Hahn, Krasnaja Poljana

Da war ein Tränchen. Anke Karstens wischte es aus dem Augenwinkel, als sie auf das Siegerpodest im Extreme-Park von Rosa Chutor bei den Olympischen Spielen stieg, und schaute in ihre Freude hinein. Die Reise war lang gewesen bis zu diesem Gipfelpunkt ihrer Snowboard-Karriere, sie hatte erst im Sommer ein paar raue Zeiten gehabt, Verletzungen im Sprunggelenk, verzögertes Training, Wettkampf-Enttäuschungen, späte Olympia-Qualifikation. Aber jetzt stand sie hier oben im Lichte ihres Silbergewinnes, den sie gerade im Parallelslalom-Turnier hinter der Österreicherin Julia Dujmovits errungen hatte, und konnte sich entschädigt fühlen.

Zumal mit auf dem Podest ihre gute Freundin und Zimmernachbarin stand: Amelie Kober hatte es auch wieder hinein in den engen Zirkel der Medaillengewinner geschafft. Bronze trotz schmerzhafter Verletzung. Die Frauen strahlten.

Dieser letzte Samstag der Spiele von Sotschi ist ein großer Tag gewesen für den kleinen Verband Snowboard Germany. Er hat es nicht ganz leicht im Kampf um Sponsoren und Aufmerksamkeit, olympischer Erfolg ist für ihn immer auch Zukunftssicherung, und auf der olympischen Alpin-Snowboard-Piste sah es ja zunächst gar nicht gut: Der Einsatz im Parallelriesenslalom ging daneben. Nur Selina Jörg aus Prien erreichte das Achtelfinale. Weltmeisterin Isabella Laböck scheiterte in der Qualifikation, Anke Karstens auch, und Amelie Kober zog sich bei einem Sturz zu allem Überfluss einen "knöchernen Kapselausriss im Ellbogen", wie Sportdirektor Stefan Knirsch aus dem ärztlichen Bulletin zitierte.

Bei den Männern erreichte Patrick Bussler Platz vier. Aber das Ergebnis der hochgewetteten Frauen war niederschmetternd, Bundestrainer Andreas Scheid sagte sogar, die Belegschaft sei "geschockt" gewesen.

Glück hat, wer zurückschlagen kann, und das können die Alpin-Frauen von Snowboard Germany: Bei der Olympia-Premiere der zweiten Snowboard-Alpin-Disziplin Parallelslalom war es jedenfalls wieder hellwach: Diesmal erreichte das komplette Quartett das Turnier der besten 16, wobei Selina Jörg und Isabella Laböck den Schauplatz nach dem Achtelfinale schon wieder mit Tränen in den Augen verließen.

Isabella Laböck stürzte im ersten Lauf ihres Achtelfinals gegen Ina Meschik aus Österreich, was ihr den Höchstrückstand von 1,25 Sekunden einbrachte. Ihre Aufholjagd im zweiten Lauf brachte sie noch um 0,24 Sekunden heran, aber nicht mehr ins Viertelfinale. "Ich hätte es fast noch gepackt", sagte sie mit zitternder Stimme, "es kotzt mich an. Der Traum ist einfach ausgeträumt." Und Selina Jörg unterlag im teaminternen Duell gegen Anke Karstens um die Winzigkeit von zwei Hundertstelsekunden.

Mit spitzen Jubelschreien feierte Karstens ihr Weiterkommen, Selina Jörg, 2010 Olympia-Vierte, war bedient. Nein, sie könne sich jetzt erst mal nicht für die weitergekommenen Kolleginnen freuen, sagte sie. "Gerade überwiegt der Frust." Auch ihre Stimme zitterte.

Eine kleine Sport-Sensation

Aber Amelie Kober, 27, aus Fischbachau und Anke Karstens, 28, aus Berchtesgaden hatten den Faden dieses Wettkampfes aufgenommen. Wobei vor allem von Amelie Kober eine beträchtliche Energieleistung verlangt war. Der kaputte Ellbogen tat weh, vor allem beim Abdrücken aus dem Starttor. Sie gab zu: "Hin und wieder dachte ich schon: Was machst du da?" Aber sie biss sich durch.

Ihr Achtelfinalsieg über die Schweizer Parallel-Riesenslalom-Olympiasiegerin Patrizia Kummer war sogar so etwas wie eine kleine Sport-Sensation. Danach rächte sie Isabella Laböck, indem sie Ina Meschick um eine Hundertstelsekunde aus dem Viertelfinale beförderte. Ehe sie im Halbfinale auf Anke Karstens traf, die sich zuvor relativ komfortabel gegen die Tschechin Ester Ledecka durchgesetzt hatte.

Deutschland gegen Deutschland - diese Vorschlussrunde spiegelte die Stärke des deutschen Teams an diesem Tag. "Ich habe nicht rübergeschaut", sagte Anke Karstens. Amelie Kober machte das auch nicht. Aber sie leistete sich einen Fehler zuviel. Karstens war im Finale.

Zufrieden stand Amelie Kober später im Zielraum. Im Stil einer sicheren Siegfahrerin hatte sie im kleinen Finale die Italienerin Corinna Boccacini bezwungen. Sie erinnerte sich zurück. 2006 in Turin hatte sie mit 19 Olympia-Silber gewonnen, 2010 in Vancouver hatte sie nach ihrem vorzeitigen Ausscheiden bekannt gemacht, dass sie schwanger gefahren war. Nun hatte sie ihrem Alltag als Mama-Leistungsportlerin eine schöne Bronzemedaille abgetrotzt und sich dabei auch noch über ein paar Schmerzen hinweggesetzt. Amelie Kober lächelte. "Ich glaub'", sagte sie, "die ist für meinen Sohn." Und Anke Karstens?

Nach dem ersten Lauf des Finales gegen Julia Dujmovits hatte sie 0,72 Sekunden Vorsprung, das hätte auch zu einem Sieg reichen können. Aber Anke Karstens, 28, nahm sich nichts übel. "Ich hab's nicht verloren, ich hab Silber gewonnen", sagte sie. Bei den großen Ereignissen war sie in den vergangenen Jahren nie die Gefeierte. Zwei Mal hat sie schon im Weltcup gewonnen, 2013 und 2008, aber diese Saison war zunächst nicht nach Plan gelaufen. Anke Karstens hatte kämpfen müssen. Jetzt stand sie da oben mit ihrer Medaille, und sie sagte: "Ich hab mir den Traum erfüllen können, das können nur ganz wenige."

Sotschi 2014
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