Snowboarden:Das 'No Girls'-Schild ist ab

Beim Air+Style-Festival in Innsbruck dürfen erstmals auch Frauen auf die 42-Meter-Rampe. Die Gleichberechtigung hat auch mit Olympia zu tun.

Von Anke Eberhardt

Geht es um die Frage nach der Gleichberechtigung, beginnt die Kanadierin Spencer O'Brien immer gleich: mit einem Seufzer. Zu oft hat sie die Diskussion schon geführt, zu oft hat sie gefordert, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: dass sie nicht nur deshalb von Wettbewerben ausgeschlossen wird, weil sie eine Frau ist. Spencer O'Brien ist Profi-Snowboarderin. Und an den sogenannten Big Airs, also den Wettbewerben mit nur einem riesigen Kicker (den Snowboarder niemals "Schanze" nennen würden), kristallisiert sich immer wieder aufs Neue auch die Geschlechterfrage.

Die Liebe zum Snowboarden, ohne zu viel Konkurrenzdenken; die Wertschätzung des Individualismus; eine gemeinsame Mentalität, deren Sinnstiftung sich immer noch stark von Massensportarten unterscheidet - eigentlich geht es im Brettsport um all das. Und all das gilt prinzipiell geschlechterübergreifend. Bis Geld ins Spiel kommt. Bis Sponsoren darüber entscheiden, ob das Budget wirklich für mehr reicht als die obligatorische Alibi-Frau in jedem Team. Bis Eventveranstalter festlegen, dass die Frauen am eisigen Morgen ihre Wettbewerbe fahren müssen, während das Schönwetterfenster und die TV-Übertragung am Nachmittag für die Männer reserviert werden. Oder, wie bei besagten Big-Air-Veranstaltungen: ob Frauen überhaupt an den Start gehen dürfen.

Beim Air+Style Snowboard-Festival an diesem Wochenende in Innsbruck jedenfalls dürfen das erste Mal auch Frauen auf den riesigen Kicker. Im Jahr 2017. Da stellt sich die Frage: Ist das nun ein Zeichen für die Progression des Sports - oder doch eher für die bisherige Rückständigkeit der Veranstalter?

Die Argumente, die in diesem Zusammenhang immer verwendet werden, sind bei den Snowboardern keine anderen als in anderen Sportmilieus: Frauen seien halt schlichtweg nicht auf dem Niveau der Männer, folglich sei das Zuschauerinteresse geringer - und sowohl Sponsoren als auch Veranstalter aufgrund der Wirtschaftlichkeit dazu gezwungen, mit zweierlei Maß zu messen. Gerade in Bezug auf die Big-Air-Events handelt es sich dabei allerdings um ein Henne-Ei-Phänomen: Wie sollen die Mädels denn auch ihr Niveau für die ganz großen Kicker steigern, wenn sie gar nicht zum Trainieren hinauf dürfen?

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Hier noch ohne Schneeauflage, am Wochenende dann die größte denkbare Bühne: In Innsbruck haben sie für die besten Snowboarder - und Snowboarderinnen! - ein gewaltiges Eisengestänge vor das Alpenpanorama gebaut.

(Foto: Eibner/imago)

Und spätestens da ist es wieder, das Seufzen der Kanadierin Spencer O'Brien, die schon seit mehr als einem Jahrzehnt zu den Top-Fahrerinnen zählt. "Nahezu jeder neue Trick, den Männer in einem Slopestyle-Event zeigen", sagt sie - also bei Wettbewerben mit mehreren kleineren Kickern - "haben sie bei einem Big Air gelernt." Warum das so ist? "Weil man dort nur einen Sprung und nicht viele hintereinander landen muss, wird Progression in besonderem Maße ermöglicht. Daher ist es so wichtig für Frauen", findet O'Brien, "bei solchen Veranstaltungen zu starten, um Neues zu lernen und den Sport weiter voranzutreiben."

Apropos Henne und Ei: Dass die besten Fahrerinnen Gelegenheiten durchaus zu nutzen wissen, wenn sie sich ihnen denn bieten, wird immer wieder bei Veranstaltungen wie den "Nine Queens" deutlich. Das sind ausschließlich für Snowboarderinnen organisierte Film- und Fotoshootings, die ohne Juroren stattfinden. Dafür mit eigens konzipierten Absprüngen und Landungen, die neue Tricks ermöglichen, ohne für missglückte Versuche umgehend Kreuzbänder einzufordern.

Waren im weiblichen Starterfeld 900er (also zweieinhalb Umdrehungen) lange die Schallgrenze, standen Jamie Anderson oder Kjersti Buaas dort 2015 auch 1080s (drei Umdrehungen). Und die Slowakin Klaudia Medlova landete als erste Frau einen Double Backside Rodeo, der aufgrund der Art der Rotation die Aufholjagd zu den härtesten Tricks der Männer eröffnete.

Diese Fortschritte wurden prompt vom Fotoshooting in die Wettbewerbe transportiert: Medlova landete vor Kurzem den ersten Frontside Double Cork 1080 bei einem Slopestyle-Weltcup in den USA, die Amerikanerin Hailey Langland zeigte beim neu aufgelegten Big-Air der X-Games in Aspen vergangene Woche einen Cab Double Cork 1080 - den sie zuvor nicht ein einziges Mal probiert hatte. Die Formel aus gebotenen Möglichkeiten und Event-Adrenalin scheint sich zu bewahrheiten. "Ich habe die Frauen noch nie so stark fahren gesehen wie bei den X-Games vergangene Woche", bestätigt auch die Österreicherin Anna Gasser, die dort Silber holte und zu den Favoriten in Innsbruck zählt. "Der Big Air ist die Plattform des Forschritts, und wir konnten sie endlich nutzen, weil man uns eine Chance gegeben hat."

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Die Österreicherin Anna Gasser gewann bei den X-Games die Silbermedaille und zählt zu den Favoriten in Innsbruck.

(Foto: imago)

Dass neben den X-Games nun auch der Air+Style Frauen an den Start gehen lässt, hat zum einen mit solchen publikumswirksamen Leistungen zu tun, wie Andrew Hourmont, der Gründer des Air+Style, bestätigt: "Frauensnowboarden hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark weiterentwickelt, dem wollen wir Tribut zollen." Die Rampe in Innsbruck hat mit 42 Metern Höhe extreme Dimensionen - "und wir sehen nun die Zeit gekommen, Frauen dort vorzustellen", sagt Hourmont.

Dass in dieser Saison auffällig viele Veranstaltungen nachziehen, hat aber auch einen weiteren Grund: Der Big Air ist inzwischen olympisch. Snowboarden wird 2018 in Südkorea erstmals um diese Disziplin ergänzt - selbstverständlich für beide Geschlechter. "Es ist schon etwas absurd, dass die Olympischen Spiele und somit der Skiverband Fis die Frauen in Sachen Big Air früher unterstützen als die szeneeigenen Veranstaltungen", fasst es Spencer O'Brien zusammen.

Dass die Amerikanerinnen, darunter Jamie Anderson, die in den letzten Jahren die Wettkampfszene dominierte, aufgrund einer gleichzeitig stattfindenden US-Olympiaqualifikation nicht in Innsbruck sein werden, und dass sich starke Fahrerinnen wie Medlova und auch O'Brien kurz vor dem Event verletzten, ist deshalb nicht nur für sie selbst bedauerlich. Sondern auch deswegen, weil die Premiere darüber entscheidet, ob bei den weiteren Tourstopps des Air+Style in Peking und Los Angeles ebenfalls Frauen starten dürfen.

Die acht in Innsbruck anwesenden Fahrerinnen werden ihre Chance nutzen, da ist Anna Gasser sicher. Mehr als 20 Jahre nachdem beim ersten Air+Style 1994 noch ein Schild mit der Aufschrift "No Girls" an der Rampe hing - und sich die Amerikanerinnen Shannon Dunn und Tina Basich trotzdem hinauf schlichen und über den Kicker sprangen. Aus Protest in pinken Anzügen. In Innsbruck gibt es für die Frauen sogar das gleiche Preisgeld. Kein Grund mehr für Seufzer.

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