Am Ende war die Snowboarderin Leilani Ettel so berauscht von ihrer Fahrt, dass sie noch einmal kurz aus dem Gewohnten ausbrach. Sie malte einen Backside 900 in die kalte Luft von Zhangjiakou - oder fast zumindest, denn bei der Landung stürzte die 20-Jährige. Den Trick mit zweieinhalb Drehungen hatte sie seit dem vergangenen Sommer nicht mehr gewagt; nach einer Bänderverletzung im Herbst wollte sie erst die Qualifikation für ihre ersten Winterspiele sicherstellen. Aber das war nun ja geschafft, und nach zwei sauberen Läufen im Halfpipe-Finale am Donnerstag hätte so ein knackiger Trick im dritten Versuch "mich noch mal in der Wertung hochkatapultiert", wusste Ettel.
Mit Rang elf war sie dann aber auch zufrieden, besser war in einer olympischen Halfpipe bislang auch erst eine Deutsche gewesen: Nicola Thost, bei ihrem Sieg 1998 in Nagano. Ettels Abschneiden taugte jedenfalls auch so als nächstes Zeichen, dass in den Freestyle-Disziplinen einiges vorangeht im deutschen Snowboardverband, nach längerer Dürre. Annika Morgan war im Slopestyle in Peking schon Achte geworden, André Höflich stand in der Nacht zum Freitag im Finale der Halfpipe-Artisten. 2026 soll es sie dann noch etwas weiter nach vorne tragen. Fürs Erste, sagte Ettel, sei sie sehr glücklich, "mit meinen ganzen Helden im Finale gewesen zu sein".

Eine davon ist vermutlich Chloe Kim, 21, Olympiasiegerin vor vier Jahren in Südkorea, Olympiasiegerin nun auch in Peking. Vor vier Jahren hatte die Amerikanerin den Sieg in der alten Heimat ihres Vaters noch als Last empfunden: "Ich wollte perfekt sein. Ich hatte mir diesen Druck auferlegt und die Menschen verletzt, die ich am meisten liebe", sagte sie später. Der Druck gipfelte darin, dass Kim ihr erstes Gold in den Mülleimer pfefferte. Mittlerweile, nach einer Therapie und einer Auszeit, hat sie keine Probleme damit, über ihre Verletzlichkeit zu reden: "Das Leben ist nicht immer leicht, und das ist völlig okay", sagte Kim nun. Ihr zweites Olympiagold - die 21-Jährige ist die erste Frau, die das in der Halfpipe schaffte - wird wohl eher nicht im Abfall landen.
Kim wusste also, wovon sie sprach, als sie einer anderen Freestyle-Athletin am Donnerstag noch Unterstützung zusicherte: Eileen Gu, 18, in Kalifornien geboren und aufgewachsen, die zuletzt für China Gold im Big-Air gewann. In den sozialen Medien hatten Nutzer danach den üblichen Hass ausgekippt; Gu sei eine Verräterin, sie mache sich zum Gesicht kommunistischer Unterdrückung, hieß es. "Es ist nicht fair, wie mit ihr umgegangen wird", sagte Kim, man habe es zu respektieren, wenn sie sich für das Geburtsland der Mutter entscheide. Außerdem sei sie eine "herzerwärmende, talentierte und schlaue Frau". Was das Freestyle-Skifahren betrifft, stimmt das in jedem Fall.