Snowboard- und Skicross:Crash als Prinzip

Snowboard - Winter Olympics Day 9

Bei den Positionskämpfen sind Unfälle programmiert. Ein Bild aus dem Finale der Frauen im Snowboardcross.

(Foto: Getty Images)

Ein gebrochener Rücken, zahlreiche Stürze: Bei den Extrem-Disziplinen Snowboard- und Skicross werden die Gefahren des Wintersports für das Publikum offensichtlich. Die Kritik daran umweht auch ein Hauch von Doppelmoral.

Von Thomas Hahn

Die Sportler kommen nicht mehr an diesem Nebeltag von Krasnaja Poljana. Paul Berg und Konstantin Schad, die deutschen Snowboardcrosser, haben lange in der so genannten Riders' Lounge ausgeharrt, dem Athletenzelt im Extreme Park von Rosa Chutor, ehe sie zum Hang hinaufgerufen wurden und dort erfuhren, dass ihr Olympia-Wettkampf wegen der schlechten Sicht auf einen anderen, noch zu bestimmenden Tag verschoben ist. Die Trainer haben sie zurück ins Athletendorf geschickt, wo keine blöden Fragen ihre Konzentration stören. Die Trainer selbst berichten jetzt also über die Erfahrung des Wartens, der Bundestrainer-Assistent Hans Riesch zum Beispiel, der bereitwillig schildert, dass es im Grunde nicht viel zu schildern gibt. Gedöst hätten die Fahrer in der Riders' Lounge, geredet.

Über was geredet?

"Über was junge Leute halt so reden, über die Strecke, über die Situation. Man macht den einen oder anderen Witz."

Nicht über die Gefahr in ihrem rasanten Rennsport? Über Risiko und Sturzserien?

Die Gefahren sind "im Fahrerlager kein Thema"

"Nicht wirklich", sagt Hans Riesch. Er spricht in einem Ton, der so ruhig ist, dass er schon wieder schneidend klingt. "Es passiert viel, das ist klar, das bringt der Sport mit sich." Aber: "Jeder, der da steht, macht den Sport schon ein paar Jahre lang und weiß, damit umzugehen. Das ist im Fahrerlager kein Thema."

Aber für die Betrachter des olympischen Treibens ist es ein Thema, dass bei den Wettfahrten Mann gegen Mann und Frau gegen Frau in den beiden Sportarten Snowboarden und Skifahren der Unfall fast schon zum Prinzip gehört. Snowboard- und Skicross treten in diesen Tagen aus ihren Nischen heraus ins olympische Rampenlicht. Das bringt ihnen mehr Fernsehzeit und mehr Publikum ein, aber eben auch die Skeptiker-Blicke einer kritischen Öffentlichkeit, die sich sonst eher selten mit den Phänomenen und Problemen des modernen Wintersports befasst.

Ein Hauch von Doppelmoral umweht dabei die Klage vom rücksichtslosen Gladiatoren-Kampf, denn wenn die Cross-Profis sich nicht gerade unter den Ringen über den Haufen fahren, interessiert sich praktisch keiner dafür. "Bei jedem Weltcup passieren Verletzungen", sagt Hans Riesch, "da ist die Öffentlichkeit natürlich nicht so dran wie bei Olympischen Spielen."

Andererseits ist das wohl immer noch besser, als würde man ganz ausblenden, dass junge Menschen im Leistungs- Wintersport Kopf und Kragen riskieren, um die Fernsehsofa-Fraktion zu erfreuen. Wintersport ist grundsätzlich gefährlich, wenn der Mensch sich dem Element Eis und Schnee aussetzt, erreicht er Geschwindigkeiten, für die er eigentlich nicht gemacht ist. Beim Snowboard- und Skicross allerdings fällt das Risiko direkt ins Auge: Wenn sechs Leute auf einer Piste in Schikanen und Sprungkombinationen um die beste Position kämpfen, sind Stürze so gut wie programmiert.

Wurzeln im Showsport

Oder sogar erwünscht? Die Wurzeln des Formats liegen jedenfalls im Showsport: Die ersten Snowboard-Rennen dieser Art waren 1991 eine Inszenierung für die TV-Show "Greg Stump's World of Extremes". Noch in den Neunzigern warnte mancher Profi davor, die Spektakel- Jagden ins Olympia-Programm aufzunehmen, weil der Medaillen-Kampf einen gefährlichen Ernst ins Spiel bringen könnte.

Snowboardcross ist seit 2006 olympisch, Skicross seit 2010 - Bedenken haben die beiden Sportarten immer begleitet, und das geht eigentlich auch gar nicht anders. Kaum ein Cross-Profi hat sich nicht schon schwer verletzt bei seinem Sport, auch Todesfälle hat es schon gegeben, den jüngsten erst im März 2012: Der kanadische Skicrosser Nick Zoricic starb nach einem Sturz beim Weltcup in Grindelwald. Und bei den Sotschi-Spielen? Die Skicrosserin Maria Komissarowa liegt mit gebrochenem Rücken im Krankenhaus, und am Sonntag beim Snowboardcross der Frauen gab es zahlreiche Stürze.

Die Vorfälle zeigen, wie gegenwärtig das Risiko beim Wintersport ist, allerdings passen sie auch nicht direkt ins Bild des zerstörerischen Gladiatorenkampfes. Maria Komissarowa zog sich ihre schreckliche Verletzung nicht im atemlosen Positionskampf zu, sondern im Training, angeblich an einer relativ einfachen Stelle des Kurses, und allein. Ganz grundsätzlich gilt: Nicht alle Unfälle, die schlimm aussehen, haben schlimme Folgen. Und dass die Sportler ohne Verstand in die Gefahr stürzen, kann man so pauschal auch nicht sagen. Die US-Snowboardcrosser gaben eine Pressekonferenz zu ihrem Rennen. Dabei sprachen sie nicht nur über das bevorstehende Spektakel, sondern auch darüber, wie sie nach Gehirnerschütterungen strenger ärztlicher Kontrolle unterstehen.

Und der Olympia-Teilnehmer Nick Baumgartner berichtete, dass er nach bestandenen Tests seinen Arzt um noch mehr Tests bat: "Einen gebrochenen Knochen kann man reparieren, wenn du dir den Schädel brichst, wirst du nicht mehr zu reparieren sein."

Meint er es ernst? Oder ist das Teil seiner Vermarktung als Showsportler? Die Athleten zeigen jedenfalls ganz gerne, wie sehr sie das Risiko fasziniert, und man weiß manchmal nicht so genau, ob es gut ist, was sie sagen. Manchen Snowboarderinnen hat der Cross-Kurs von Rosa Chutor mit seinen mächtigen Sprüngen Angst gemacht, aber die Olympia-Vierte Faye Gulini sagt: "Der Kurs ist sicher." Der Italiener Omar Visintin erklärt: "Die Sprünge gehen hoch und relativ weit, so soll es sein bei Olympia."

Und die Gefahr? "Ich suche dieses Tempo, dieses Adrenalin", ruft Nick Baumgartner: "Steckt mehr Leute ins Rennen! Macht es noch angsteinflößender!" Es hat schon seine Richtigkeit, wenn wenigstens das Publikum ein bisschen Angst hat vor dem Rausch der Geschwindigkeit.

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