Snowboard:Tipps im Schichtdienst

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Silber und Bronze für Selina Jörg und Ramona Hofmeister sind das Resultat eines fruchtbaren Handelsgeschäfts der Generationen.

Von Johannes Knuth

Einer ihrer größten Schätze? Die Schuhe, sagte die Snowboarderin Selina Jörg, als sie am Samstag im Zielraum des Snowparks von Bokwang stand. Sie zeigte auf die schwarze Hartplastikschale, auf die roten und gelben Schnallen an ihren Snowboard-Schuhen, die immer wieder abgebrochen waren, aber Jörg hatte sie immer wieder repariert. Und der blaue Schaft erst, sagte sie. Der sei so uralt, der werde gar nicht mehr produziert. "Das sind vielleicht die hässlichsten Schuhe im Weltcup", beschloss Jörg. Aber sie hatten sich nun mal bewährt, also hielt Jörg an ihnen fest, und am Ende hatten die Schuhe sie ja auch durch diesen olympischen Parallel-Riesenslalom getragen, in dem Jörg gerade eine Silbermedaille gewonnen hatte.

"Irgendwie musste ich erst so alt werden", sagte die 30-Jährige, "um in die Form meines Lebens zu kommen."

Die Strahlen der Öffentlichkeit fallen meist nur alle paar Jahre auf einen kleinen Verband wie Snowboard Germany, aber auf die Frauen in ihrer Alpinsparte haben sie sich immer verlassen können. Amelie Kober gewann 2006 in Turin Olympia- Silber und später drei WM-Medaillen, Isabella Laböck wurde 2013 Weltmeisterin, Anke Wöhrer und Kober beschafften in Sotschi Silber und Bronze. Nur Selina Jörg hatte bei Großanlässen noch keine Medaille erstanden, als einzige aus dieser verdienten Riege. Und jetzt: Silber in Pyeongchang, im dritten olympischen Versuch. Jörg verlor das Finale gegen die Tschechin Ester Ledecka, die nach ihrer Goldmedaille bei den Skirennfahrerinnen auch ihre Paradedisziplin gewann. Aber Silber verschaffte Jörg nicht weniger "Genugtuung", und ihre Freude schmeckte noch süßer, weil ihre 21-jährige Teamkollegin Ramona Hofmeister Bronze gewonnen hatte. So passte das Podium am Samstag ganz gut zu dem Schichtdienst, den die deutschen Alpin-Boarderinnen seit Jahren an der Spitze fahren: Eine kam an, die andere brach auf.

Ihre erste olympische Medaille wird auch ihre letzte sein: Selina Jörg (hinten) verwandelte in ihrer Karriere stets den Frust in neue Schubkraft – am Samstag belohnte sie sich mit einem olympischen Finallauf gegen Ester Ledecka. (Foto: David Ramos/Getty Images)

Jörg war in 13 Dienstjahren in ihrem Sport oft nahe dran an den Hauptpreisen gewesen, 2010 in Vancouver stürzte sie im Duell um Platz drei, bei der WM 2015 verpasste sie Bronze um drei Hundertstelsekunden. Aber sie schaffte es stets, ihren Frust in neue Schubkraft zu verwandeln. Vor der aktuellen Saison stellte sie ihr Konditions- und Krafttraining etwas um, mehr nicht; die beste Änderung ist ja oft, nicht zu viel zu verändern. Sie schaffte es im Weltcup vier Mal aufs Podest, lud sich vor Pyeongchang "einen großen Druck auf, weil ich es unbedingt schaffen wollte", mit dieser verflixten Medaille. Doch als Jörg am Samstag aufstand, "da war ich immer im Vertrauen, dass es heute klappt". Und so fuhr sie auch, souverän von K.o.-Runde zu K.o.-Runde, bis ins Finale. Die Freude kam dann von allein. Ihre erste olympische Medaille, sagte Jörg am Samstag, werde auch ihre letzte sein.

Hofmeister stellte sich derweil als Vertreterin der neuen Generation vor. Sie wollte vor einer Weile mal zum Snowboardcross wechseln, wo sich die Fahrer gemeinsam einen Parcours hinunterstürzen. Aber Sportdirektor Stefan Knirsch überzeugte sie, bei den Alpinen weiterzumachen. Ihm fiel schon damals Hofmeisters Wille auf, "ich will irgendwann da ganz oben stehen", sagte sie, dieses Ziel verfolgte sie mit großer Konsequenz. Sie wurde vor einem Jahr Vierte bei der WM, im vergangenen Januar gewann sie ihren ersten Weltcup. Im Halbfinale in Pyeongchang lag Hofmeister sogar kurz vor Ledecka; sie stürzte, aber sie hatte alles riskiert, das zählte. Vor dem Duell um Platz drei gegen die Russin Zawarzina war Hofmeister sich "eigentlich sicher, dass ich die Bronzemedaille hole". Auch das sei eine große Stärke, sagte Knirsch, von beiden Medaillengewinnerinnen: Sie sehen die Chancen, nicht die Risiken.

Beide wurden für ihre Beharrlichkeit belohnt, aber Jörg vergaß nicht, an die Kollegen zu denken, sie kannte deren Gemütslage ja gut: Carolin Langenhorst, 22, war im Achtelfinale hängen geblieben, Stefan Baumeister, 24, im Viertelfinale. "Die Jungen haben uns in letzter Zeit ganz schön Feuer gemacht"; vor Pyeongchang hatten sich allein sieben Fahrerinnen für vier Startplätze beworben. "Aber wir alten Hasen haben schon versucht, dagegenzuhalten." Daraus sei ein fruchtbares Handelsgeschäft gewachsen. Wenn ein jüngerer Athlet dank ihrer Tipps schneller sei, sagte Jörg, treibe sie das zu schnellen Fahrten an. Dieses Miteinander sei von Athleten und Trainern gewünscht, sagte Knirsch: "Die sind so viele Tage und Nächte zusammen unterwegs. Wenn du gerne mit anderen zusammen und mit Freude dabei bist, tust du dir viel leichter, die Trainingsumfänge zu fahren."

Ester Ledecka siegte als Erste auf Ski und auf dem Snowboard

Nicht alle deutschen Snowboard-Wünsche gingen in Erfüllung. Die Snowboardcrosser rangen mit dem schweren Kurs, die Freestyler sind weiter abgekoppelt von der Weltspitze, auch weil ihnen in Deutschland das Geld für einen Trainingspark fehlt. Da erwarte er von der Politik endlich mehr Hilfe, sagte Hanns-Michael Hölz, der Präsident von Snowboard Germany. Und auch die Alpinen wünschten sich mehr Wohlwollen, allerdings eher vom Internationalen Olympischen Komitee: Das hatte den Parallelslalom, die zweite Race-Disziplin, vor Pyeongchang aus dem Programm geworfen.

Nur einer Widersacherin gaben sie sich am Samstag geschlagen: Ester Ledecka gewann in zwei wesensfremden Disziplinen Gold, als fünfte Wintersportlerin der Geschichte. "Sie ist ein Ausnahmetalent, das wird es so schnell nicht wieder geben", sagte Jörg. Wobei abzuwarten bleibt, was Ledecka bis zu den Sommerspielen 2020 noch einfällt: Sie sei auch eine passable Windsurferin, gestand sie, und spielt gerne Beachvolleyball.

© SZ vom 26.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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