Snowboard:Hiobsbotschaft mit Perspektive

FIS Snowboard Alpine World Championships - Women's Parallel Slalom Qualification

"Der Funke ist nach dem Comeback diesen Winter nicht mehr zurückgekommen." - Cheyenne Loch, hier Anfang März bei der Parallelslalom-Qualifikation im slowenischen Rogla.

(Foto: Jurij Kodrun/Getty Images)

Das Sprunggelenk will nicht mehr: Cheyenne Loch wird am Wochenende beim Weltcup-Finale am Götschen ihre Karriere mit 26 Jahren beenden - unter Schmerzen. Womöglich wird aus dem Abschied ein Seitenwechsel: Sie könnte eine Funktion bei Snowboard Germany übernehmen.

Von Thomas Becker

Wenn die Snowboarder am Wochenende mit einem Parallel-Slalom und einem Team-Event ihre Weltcup-Saison erstmals seit vielen Jahren wieder am Götschen bei Berchtesgaden beenden, ist das für Snowboard Germany ein Grund zur Freude, hat der Verband hier doch seit Jahren einen Stützpunkt. Dennoch steht schon vorab fest: Es werden Tränen fließen, und das wohl nicht zu knapp.

Vor Freude heulen wird womöglich Ramona Hofmeister. Die 24-Jährige aus dem nahen Bischofswiesen könnte als erste deutsche Boarderin zum zweiten Mal hintereinander die große Kristallkugel für den Gesamtweltcup holen. "Den Moment habe ich mir schon ausgemalt", sagt sie, "daheim die große Kugel gewinnen: Mehr geht fast nicht. Das Bild entfacht absoluten Siegeswillen." Derzeit hat sie 50 Punkte Vorsprung auf Sofia Nadyrshina. Landet sie am Samstag vor der jungen Russin, ist alles klar. Sollte ihre Konkurrentin gewinnen, muss Hofmeister mindestens Dritte werden.

Zweite Tränen-Kandidatin ist Selina Jörg. An dem Hang, wo sie schon als Kind Rennen fuhr, wird die 33-jährige Allgäuerin ihren letzten Wettkampf bestreiten. Nach der WM in Slowenien, wo sie Gold und Bronze gewann, gab sie ihren Rücktritt bekannt. Das Thema habe sie so sehr beschäftigt, dass sie sich gar nicht mehr aufs Training konzentrieren konnte. "Ich wusste, dass es nur noch ein Jahr bis Olympia sein würde, aber die Spiele waren kein Thema mehr für mich", sagte Jörg, die 2018 Silber gewonnen hatte. Sorgen um ihren Verband mache sie sich nicht: "Wir haben so viele gute Athleten, dass da nach mir kein Loch entsteht."

Damit zur dritten Anwärterin auf ein tränenreiches Finale: Auch Cheyenne Loch wird am Götschen ihre Karriere beenden, unter Schmerzen. Der Körper will nicht mehr, genauer gesagt das Sprunggelenk. Im Dezember 2019 war sie operiert worden, doch die Probleme blieben. Ohne Schmerzmittel geht es derzeit nicht. Beim Trainingslehrgang vergangene Woche gab sie zu: "Ich bin schon froh, wenn die Saison vorbei ist." Der Entschluss aufzuhören, stand da schon fest: "Die Verhältnismäßigkeiten stimmen nicht mehr. Ich habe unter Belastung ständig Schmerzen. Unter diesen Bedingungen will und kann ich meine Karriere nicht fortsetzen. Vor der letzten OP habe ich beschlossen, dass das meine letzte Chance ist. Mir war klar, dass ich es nicht noch mal schaffe, ganz von vorn anzufangen." Dabei fährt die 26-Jährige ihre erfolgreichste Saison mit drei zweiten Plätzen und Rang vier im Gesamtweltcup. Aber: "Der Funke ist nach dem Comeback diesen Winter nicht mehr zurückgekommen."

"Seit 2016 gab's kein Jahr, in dem ich nicht verletzt war oder operiert wurde."

Schmerzen gehörten zu ihrer Karriere wie der Schnee und das Brett. "Seit 2016 gab's kein Jahr, in dem ich nicht verletzt war oder operiert wurde", erzählt die Schlierseerin, "man wird müde, es ist auch psychisch belastend. Aber irgendwie will man doch noch sein Potenzial ausschöpfen und macht immer weiter. Ich mach' das ja schon mein Leben lang, da ist es nicht so leicht loszulassen. Aber es strapaziert einen, gerade wenn es so viel ist, Jahr für Jahr." Nach zwei Kreuzbandrissen und dem ewigen Problem mit dem Sprunggelenk war sie mehr als einmal kurz davor, das Brett in die Ecke zu stellen. Bundestrainer Paul Marks, ein Kanadier, meinte: "Das ist pain management. An einem Tag ist es gut, am nächsten wieder schlecht. Die Frage bei Cheyenne ist: Wie viele Trainingsläufe kann sie machen, wie viele Schmerzen aushalten?"

Da muss die Leidenschaft schon groß sein. Die ist ihr in die Wiege gelegt: Mama Martina fuhr früher Snowboard-Rennen. "Ich bin schon im Bauch mitgefahren", sagt die Tochter, "das war programmiert." Geboren ist sie in Riva del Garda, wo die Eltern im Sommer eine Surf- und Segelschule betrieben, neben der Ski- und Snowboardschule am Spitzingsee im Winter. "Als ich in die Schule kam, musste eine Entscheidung her" erzählt sie, "ich wollte immer nach Deutschland, weil ich es da im Kindergarten cooler fand. Und ich fand den Winter cool." Also gab die Familie den Standort am Gardasee auf. Mit 16 debütierte sie im Weltcup, sie gewann bei Jugendweltmeisterschaften zwei Mal Silber und vier Mal Bronze: Rekord im deutschen Snowboardverband.

Bei den Erwachsenen lief es nicht ganz so gut: Beste WM-Platzierung war Rang vier. "Da habe ich noch eine Rechnung offen", hatte sich Loch vor der WM noch kämpferisch gezeigt: "Ich bin hungrig auf mehr." Es wurde weniger: Die Plätze fünf und sechs, die nächste, die letzte Enttäuschung. Geträumt hatte sie von einem rein deutschen Podium: "Es wäre so cool, wenn wir es schaffen könnten, zu dritt oben zu stehen." Im Parallel-Slalom standen dann Jörg und Hofmeister auf dem Podest, nur Loch fehlte.

Nun wird sie dauerhaft fehlen. Chefcoach Marks klagt: "Sie ist immer bereit für ein Lachen. Alle sind froh, wenn Cheyenne dabei ist. Wenn sie nicht da ist, fehlt etwas in der Mannschaft." Auch Sportdirektor Andreas Scheid zeigt sich betroffen: "Erst Selina, jetzt Cheyenne: Sportlich gesehen sind die Rücktritte Hiobsbotschaften. Ich bin aber auch stolz, dass wir so starke Charaktere im Team haben, die für sich entschieden haben, wann der richtige Zeitpunkt ist." Doch womöglich wird aus dem Abschied ein Seitenwechsel. Scheids Angebot: "Die Tür zu Snowboard Germany - in welcher Funktion auch immer - steht immer für sie offen." Und Cheyenne Loch meinte: "Mein Rücktritt als Leistungssportlerin ist kein Abschied vom Snowboarden." Da sollte sich doch eine Schnittmenge bilden lassen.

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