Bevor André Höflich beschloss, ein besserer, ja, vielleicht sogar einmal einer der besten Snowboarder der Welt zu werden, stellte er sich eine Frage. Sie war recht simpel auf den ersten Blick, Höflich wollte von sich wissen: Widme ich diesem Sport gerade meine volle Aufmerksamkeit? Er hatte sich irgendwann dazu entschieden, sein Leben nach dem Grundsatz ganz oder gar nicht zu gestalten. Und wie er so über die Frage zu seiner Herangehensweise an das Fahren auf einem Brett durch den Schnee sinnierte, stellte er fest, dass er seinem Motto nicht gerecht wurde. "Und da habe ich mich für ganz entschieden", sagt Höflich. So einfach. So einfach?
Zwischen seinem damaligen und seinem heutigen Ich liegt nicht einmal ein Jahr. Der Sprung aber, den der 22 Jahre alte Allgäuer seit dem Frühjahr 2019 im Freestyle-Snowboarden geschafft hat, ist gewaltig. Und das hat auch mit den ersten Schritten in seinem Kopf zu tun.
Im Dezember wurde Höflich in Copper Mountain/USA Sechster, bei seinem ersten Weltcupfinale. Eine Woche später kam er im chinesischen Secret Garden auf den vierten Rang. Das war das beste deutsche Ergebnis in der Disziplin Halfpipe seit einem zweiten Platz von Christophe Schmidt im März 2010. Kurz darauf wurde Höflich zu den X-Games eingeladen, so etwas wie die inoffiziellen Olympischen Spiele der Freestyle-Szene. Die Nominierung ist auch ein Zeichen, dass er jetzt nicht mehr nur die größte deutsche Hoffnung ist, sondern auf dem internationalen Radar hell und deutlich aufleuchtet. "Seit der Einladung zu den X-Games weiß ich auch offiziell: Ich gehöre zu den Besten der Welt", sagt Höflich: "Das ist ein tolles Gefühl, ziemlich überwältigend."
Beim Weltcup im schweizerischen Laax hat er es diese Woche in das für diesen Samstag angesetzte Finale geschafft. "Das ist echt groß. Ich wollte hier unbedingt ins Finale. Das war eines der Ziele, auf das ich die letzten Jahre hintrainiert habe", sagt Höflich. Sein Selbstvertrauen und Selbstverständnis sind anders diesen Winter. Und das wiederum hängt auch mit Nicola Thost, 42, zusammen, der bislang einzigen deutschen Snowboard-Olympiasiegerin.
Vom Fahrerischen her hatte sich Höflich kontinuierlich verbessert, seit er das Snowboarden mit neun Jahren begonnen hatte. Er wechselte 2012 auf ein Sportinternat, um sich mit 14 Jahren auf Slopestyle zu konzentrieren, einer Fahrt durch einen Hindernisparcours, bevor er nach einem Kreuzbandriss samt Reha über Wochen jeden Tag nur in der Halfpipe fuhr - und seine Leidenschaft für die aus Schnee geformte Halbröhre entdeckte. In dieser neuen Welt einen eigenen Stil aus Technik und Tricks zu schaffen, fiel ihm leicht. Im Wettkampf aber schlug sich diese Entwicklung weit weniger nieder, als es ihm auf dem Weg zum erfolgreichen Profi-Snowboarder recht sein konnte. Bis zu dieser Saison.
Der vergangene Winter war sein bis dahin bester, mal wurde er Vierzehnter, mal Dreizehnter, mal Zwölfter. "Manches habe ich noch nicht hinbekommen und dann deutlich gespürt: Ich will alles daran setzen, dass ich wirklich zeigen kann, was ich drauf habe", sagt Höflich. Also feilte er weiter an seiner Balance, trainierte noch mehr auf dem Trampolin, im Kraftraum - und ab August so intensiv wie nie dort, wo er die Entscheidung zu seiner Wandlung getroffen hatte: in seinem Kopf, mit Thost.
"Das war wichtiger und viel effektiver als die körperliche Arbeit. Ich habe extrem gemerkt, wie mir das hilft", sagt Höflich. Er habe mit seiner Mentorin viele Gespräche geführt, er habe seine Tricks vor dem inneren Auge auch immer wieder visualisiert - durch all das "kann ich nun rausholen, was ich schon in mir hatte, aber davor nicht einsetzen konnte", sagt Höflich. Es gehe um Zahnräder im Kopf, die ideal ineinander greifen, Gedanken, die aufgeräumt werden müssten. Er habe so, sagt er, ein ganz neues Level erreicht - und könne noch immer viel von Thost lernen. "André kann andere inspirieren", sagt wiederum Thost über Höflich: "Er ist für mich schon immer ein besonderer Snowboarder gewesen. Ich weiß, da ist kein Limit nach oben."
Mit der Einladung zu den X-Games Ende Januar hat Höflich eines seiner Ziele bereits erreicht, das nächste sind die Olympischen Spiele. 2018 konnte er verletzt nur zuschauen, 2022 will er sie mitgestalten. Nach all dem, was sich in den jüngsten Monaten getan hat, hält er das für ein realistisches Unterfangen. "Mit den Weltcuperfolgen hat sich plötzlich alles, was ich reingesteckt habe, ausgezahlt", sagt Höflich, der mittlerweile einen Platz in der Sportfördergruppe der Bundeswehr hat.
"Mir ist inzwischen klar geworden, dass ich die Besten der Welt schlagen kann - ich hab's drauf!" Wenn Höflich diese Sätze mit klarer, fester Stimme in den Telefonhörer spricht, klingt das weniger arrogant. Sondern mehr nach Freude über die gewonnene Selbsterkenntnis und Erleichterung darüber, einen Weg gefunden zu haben, das eigene Potenzial besser entfalten zu können. Und zwar zur Gänze.