Snowboard:Die ersten Blumen nach dem Winter

Brezovica war Hotspot der jugoslawischen Schickeria, ehe der Kosovo im Krieg versank. Der Oberstaufener Snowboarder Elias Elhardt hat die Freigeister begleitet, die den Leerraum füllen.

Von Johannes Knuth

An einem sonnigen Wintertag in Brezovica, dem größten Skigebiet im kleinen Kosovo, schnaufen rostige Kabinenbahnen den Hang hinauf, Männer in Pullovern und mit sonnenbraunem Teint hocken im sulzigen Schnee. Vor ihnen liegen quietschbunte Plastikschlitten, Chips und Getränke, die sie feilbieten. Auf dem Hang dahinter versucht ein Jugendlicher in langer hellblauer Unterhose und grünem Pelzmantel sich tapfer auf einem Snowboard zu halten, Skifahrer mit kurzen Haaren und langen Bärten rauschen an ihm vorbei und drehen Salti. Und mittendrin Elias Elhardt, der mit seinem Snowboard durch eine kleine Menge am Fuß des Hanges fährt, auf das Dach eines Skiverleihs hüpft und im Tiefschnee des weiten Hinterlandes landet, das sich gleich hinter dem kleinen Resort erstreckt. Es ist ein buntes Treiben, das so wirkt, als habe es schon immer zusammengehört.

Die Szenen stammen aus dem 18-minütigen Kurzfilm des bayerischen Snowboarders Elias Elhardt, er hat das kosovarische Skigebiet im vergangenen Jahr für sich entdeckt. Brezovica war einst der Hotspot der jugoslawischen Schickeria, die es sich dort in Fünf-Sterne-Tempeln gut gehen ließ, ehe erst der Sozialismus versank und bald darauf die Region im Krieg. Heute hat eine bunte Szene das einst vergessene Resort revitalisiert, hier kommen Menschen zusammen, die oft bis heute nichts vereint, Kosovo-Albaner, Serben, Mazedonier. Er habe vor allem der Frage nachgehen wollen, "wie man eine Zukunft bauen kann, wenn die Vergangenheit so schwer wiegt", sagt Elhardt in seinem Film. Es ist eine spannende Frage, eine, die gerade auch weit über ein Skigebiet im Kosovo hinausreicht.

Das stillgelegte Hotel "Narcis" sitzt noch immer in seiner ganzen Protzigkeit in der Landschaft

Elhadt stammt Oberstaufen im Allgäu, er kann seit mehr als zehn Jahren von seinem Sport leben. Früher machte er oft bei Trendsportklassikern wie den X-Games mit und spielte in Snowboardfilmen mit, in denen Profis ihre Tricks (und Sponsoren) vorführen. Ein Traumjob, sagt Elhardt, als er am vergangenen Wochenende in München über seinen Film erzählt, aber irgendwann habe es ihn dann mehr gereizt, den Sport mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu verknüpfen, die ihn schon immer interessiert hatten. Im Januar erschien sein erster eigener Film: "Contraddiction", ein Wortspiel, das die Sportsucht mit den Widersprüchen zusammenbinden soll, die diese provoziert - wenn man zum Beispiel als Werbeträger für Snowboardfirmen dem Schnee hinterherfliegt, in Zeiten des Klimawandels. Nun also die Reise in den Kosovo, über den Elhardt zuvor nur gelesen hatte. Und der ihn sofort packte.

Das Skiresort Brezovica ist heute eine Art Freilichtmuseum, das Elhardt beeindruckend einfängt, obwohl ihm sein fünfstelliges Budget nur einen kurzen Blick gestattet. Das Hotel "Narcis", früher eines der feinsten Adressen in Jugoslawien, das längst leer steht, sitzt noch immer in seiner ganzen Protzigkeit in der Landschaft, als hätte ein Kind wahllos graue Spielzeugklötze zusammengeworfen. Drinnen hängt ein zweistöckiger Kronleuchter von der Decke, an dem noch eine elektrische Lampe brennt; die Tische im turnhallengroßen Speisesaal sind in weiße Decken gehüllt, als würden sie auf Gäste einer längst verwelkten Vergangenheit warten. Hamdi Hisari führt im Film durch die Räume, er lernte in Brezovica als Kind das Skifahren und erlebte später, wie hier die Menschen während des Kosovo-Konflikts Zuflucht suchten. "Wir haben nach dem Krieg bei weniger als Null angefangen", erinnert er sich, aber mittlerweile wächst wieder etwas heran. Die Narzisse, sagt Hisari, die nicht nur dem einstigen Prunkbau, sondern auch Elhardts Film ihren Namen spendet, "ist die erste Blume, die nach dem Winter blüht".

Elhardt ist nicht der einzige, der dem Snowboardfilm gerade einen politischen Anstrich verpasst

Wem das Skigebiet mittlerweile gehört, wissen sie dort gar nicht so genau. Die serbischen Besitzer von einst wollen nicht mehr investieren, der Kosovo findet auch zehn Jahre nach seiner Gründung keine privaten Investoren. So ist eine Szene aus Freigeistern in den Leerraum gestoßen, die das Gebiet mit Restaurants, Hotels und Skiverleihen unterhält. Ab und zu läuft einer der fünf Lifte. Familien wie Freerider aus dem Balkanraum haben das Gebiet wiederentdeckt. Und was auffällt: Nirgendwo wehe eine Flagge, sagt Hamdi Hisari, anders als im Ort am Fuß des Resorts, der bis heute eine serbische Enklave ist. "Hier oben fühle ich mich über den Dingen", findet Hisari. "beim Sport sind wir alle gleich." Es ist ein vorsichtiger Versuch, die Fesseln einer finsteren Historie zu lösen, getrieben vom Wunsch auf eine gemeinsame Zukunft. Viele Orte wie Brezovica gebe es nicht in der Region, sagt Elhardt, aber 20 Jahre, nachdem sich die Menschen dort schlimmste Dinge antaten, ist das nur verständlich.

Es passt auch, dass dieser Raum für Begegnungen vor allem durch das freigeistige Snowboarden geschaffen wurde, das die gesellschaftlichen Normen schon immer freizügiger auslegte. Wobei Elhardt beobachtet hat, dass die Snowboarder sich allmählich auch für Probleme eben jener Gesellschaft interessieren. "Die ganze Szene wird ja älter", sagt er, und so ist der 31-Jährige nicht der einzige, der dem Snowboardfilm gerade einen politischen Anstrich verpasst - und dafür ein Publikum findet. Seine Kolleginnen Anne-Flore Marxer und Aline Bock drehten vor einem Jahr einen Film über Geschlechterdiskriminierung in der Freeride-Szene, Elhards Film lief bislang bei Festivals in St. Anton, Russland und Kanada, zuletzt auch in Innsbruck und München. Ab übernächster Woche wird er voraussichtlich auch Online abrufbar sein.

"Wir sehen gerade, wie der Nationalismus in Europa erstarkt", sagt Elhardt gegen Ende des Films, als er auf einem der Pulverschneehänge in Brezovica sitzt: "Genau diese Dynamik hat hier zur Katastrophe geführt." Heute sind sie dort auf eine ganz andere Dynamik stolz: dass das, was völlig unterschiedlich aussieht, auch ganz gut zusammenpassen kann.

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