Snooker-WM:Übertreibt es O'Sullivan diesmal?

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"Ich bin zu alt, um mich herumschubsen zu lassen": Snookerprofi Ronnie O'Sullivan, 41, schiebt im Zwist mit dem Weltverband keine ruhige Kugel.

(Foto: Dan Mullan)

Er singt Oasis-Songs statt Fragen zu beantworten: Ronnie O'Sullivan legt sich bei der Snooker-WM mit dem Weltverband an. Wer gewinnt, ist offen.

Von Carsten Scheele

Seine letzte Eskapade war vergleichsweise harmlos. Als Ronnie O'Sullivan bei den Welsh Open 2016 ein Maximumbreak ausließ, weil ihm das Preisgeld für diese 147 Punkte in Serie zu gering erschien, und er einfach eine Kugel spielte, die weniger Punkte brachte, geriet die Snooker-Szene in Wallung. Weltverbandschef Barry Hearn kritisierte das Verhalten des Spielers als "respektlos"; O'Sullivan erklärte, er wolle für seine Leistungen - in diesem Fall für ein wirklich seltenes Maximumbreak - angemessen gewürdigt werden. Bei den Fans stand O'Sullivan als moralischer Sieger da. Für solche Aktionen lieben sie ihren Ronnie.

Diesmal scheint es der schillerndste Snookerprofi der Welt jedoch übertrieben zu haben. Bei der Weltmeisterschaft im "Crucible Theatre" in Sheffield, die seit dem Wochenende läuft, trägt O'Sullivan, 41, seine Fehde mit Hearn und dem Weltverband WPBSA offen aus. Dem fünfmaligen Weltmeister ist die Politik der WPBSA zuwider, die das Tourleben der Profis straff organisiert, Verhaltensregeln kontrolliert und Spieler unter anderem dazu verpflichtet, Medientermine vor großen Turnieren wahrzunehmen.

Der Brite, zweifellos der Star der Szene, nimmt sich hingegen gerne Freiheiten heraus. Als er bei seinem Sieg beim Masters im Januar zwar fantastisch spielte und den Titel holte, aber auch einen Schiedsrichter kritisierte und einen Kameramann anpöbelte, erhielt er vom Weltverband eine schriftliche Verwarnung, die beim nächsten Vergehen Sanktionen nach sich zieht.

"Ich lasse mich nicht tyrannisieren"

Seitdem hat O'Sullivan auf Konfrontation geschaltet. In Pressekonferenzen und Interviews antwortet er einsilbig oder monoton mit roboterartiger Stimme, "denn wenn ich meine Gedanken äußere, riskiere ich eine Strafe", so O'Sullivan trotzig. Einmal sang er ein paar Zeilen des Songs "Wonderwall" der ebenfalls häufig schlecht gelaunten britischen Band Oasis, anstatt weitere Fragen zu beantworten.

Nach seinem Erstrundensieg bei der WM gegen Gary Wilson (10:7) erklärte O'Sullivan in der BBC: "Ich habe Barry Hearn angerufen und ihm gesagt, dass ich mit ihm und seinem Verein durch bin. Ich glaube nicht, dass ich viel falsch gemacht habe. Ich lasse mich nicht tyrannisieren. Ich bin zu alt, um mich herumschubsen zu lassen."

O'Sullivan ging sogar noch weiter, sprach von "Mobbing" gegen seine Person. Schließlich seien er und die anderen Spieler diejenigen, die dem Verband die Kassen füllten. Da wolle er sich für seinen Teil zumindest das Recht auf freie Meinungsäußerung wahren. Hearn machte nicht den Eindruck, als wolle er den Streit auf der großen Bühne der WM entschärfen. Der Zwist zwischen O'Sullivan und dem Weltverbandschef, der den jungen Ronnie einst entdeckte und als sein Manager fungierte, schwelt schon seit einigen Jahren. Wer sich durchsetzt, scheint offen.

Hearn: "unbegründete Anschuldigungen"

Von "unbegründeten Anschuldigungen" sprach Hearn diesmal, er sorge sich nicht nur um das Ansehen der Sportart, sondern auch um das seiner eigenen Person. Zu den Boykott-Aktionen sagte er: "Was zunächst lustig war, ist aus meiner Sicht mittlerweile ziemlich peinlich für alle geworden, auch für Ronnie. Es ist jetzt Zeit für Ronnie, erwachsen zu werden."

Findet auch Shaun Murphy, sein nächster Gegner bei der WM. Der sagte, O'Sullivan könne nicht als Einziger nach seinen eigenen Regeln leben. "Komplett falsch" seien die Vorwürfe, die der Profi gegen Hearn erhoben habe, so Murphy, als wolle er die Stimmung vor dem Achtelfinale der beiden Altmeister (Donnerstag ab 20 Uhr) eigens anheizen. Doch gibt es auch andere Stimmen unter den bekanntesten Snookerspielern. Obwohl O'Sullivans Karriere von Affären und Skandalen gespickt ist - mal verstörte er einen weiblichen Referee mit obszönen Gesten, auch wurde ihm ein Turniersieg wegen Haschisch-Konsums aberkannt -, wissen die meisten zu gut, dass der Snookersport trotz allem sehr von O'Sullivan profitiert. Er gilt als größtes Genie, das die Sportart je hervorgebracht hat; an seinem Status als Frontmann drohte er bereits mehr als einmal zu zerbrechen.

"Er hat einiges auf seinen Schultern zu tragen", sagt John Higgins, auch schon viermaliger Weltmeister; andere äußerten sich ähnlich. So hoffen alle, dass sich O'Sullivan und Hearn auch diesmal wieder zusammenraufen. Einen Snooker-Zirkus ohne O'Sullivan mag sich jedenfalls niemand vorstellen. "Das Spiel wäre so viel ärmer ohne ihn", sagt John Higgins.

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