Snooker-WM: Judd Trump:Mutig und spektakulär

Mit mutigen Stößen und forschen Sprüchen hat sich Judd Trum bei der Snooker-WM in Sheffield in die Herzen der Fans gespielt - und leitet ganz nebenbei einen Paradigmenwechsel in der Sportart Snooker ein.

Jürgen Schmieder

Judd Trump konnte nicht widerstehen, er musste diesen Stoß einfach wagen. Vier rote Kugeln lagen direkt aneinandergepresst auf dem Tisch, Trump ließ den weißen Spielball mit hoher Geschwindigkeit hineinlaufen - und versenkte tatsächlich eine der roten Kugeln. Einen derart grotesken Versuch wagen Snookerspieler meist dann, wenn ein Spielabschnitt längst entschieden ist und sie den Zuschauern noch etwas bieten wollen. Trump versuchte diesen Stoß in einer wichtigen Phase. Bei der Weltmeisterschaft. Gegen den amtierenden Weltmeister.

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Mutig und spektakulär: Judd Trump bei seinem Auftritt im Crucible Theatre.

(Foto: Getty Images)

"Ich wollte den Stoß nicht versauen, weil dann jeder gesagt hätte: 'Warum nur versucht er so was?' Aber wenn sich die Gelegenheit bietet, werde ich so einen Stoß jederzeit wieder versuchen", sagte Trump nach der Partie gegen Neil Robertson, die er ebenso gewann wie seine Matches gegen Martin Gould und Graeme Dott und nun im Halbfinale der Weltmeisterschaft in Sheffield steht. "Natürlich kann ich den Titel gewinnen", sagt Trump, der erst zum zweiten Mal bei der WM mitspielen darf und der bei seiner ersten Teilnahme in der erste Runde ausgeschieden ist.

Natürlich könnte man die mutigen Stöße und die lockeren Statements abtun als das unbekümmerte Verhalten eines 21-Jährigen, der gerade den Lauf seines Lebens hat und etablierten Akteuren mit teils wahnwitzigen Stößen spielerisch den Hintern versohlt - doch steht die Spielweise Trumps für einen Paradigmenwechsel in der Sportart Snooker, der bei dieser Weltmeisterschaft deutlich zu beobachten ist. "Das offensive Spiel wird belohnt - und das kommt mir natürlich entgegen", sagt Trump.

In den vergangenen Jahren war es zumeist so, dass sich die Spieler zunächst ein Sicherheitsduell lieferten - und wenn einem der beiden Akteure ein kleiner Fehler bei der Ablage unterlief, dann wagte der andere den Versuch, eine rote Kugel zu versenken und danach ein Break zu entwickeln. Es war die Zeit der Safety-Experten wie Graeme Dott und Mark Selby, es war auch die Zeit der Allrounder wie John Higgins und Neil Robertson.

Bei der WM in diesem Jahr ist das anders: Selbst wenn die Ablage des Kontrahenten scheinbar perfekt ist, gibt es mutige Lochversuche - die dann häufig gelingen.

Stellvertretend dafür, dass in diesem Jahr vor allem mutige Offensivspieler Erfolg haben, ist Mark Williams, der den Spitznamen The Welsh Potting Machine trägt. Williams versenkt Bälle aus scheinbar unmöglichen Positionen. Damit gleicht er seine Ungenauigkeiten im Stellungsspiel und Schwächen im Sicherheitsspiel aus.

Zwei Mal wurde Williams bereits Weltmeister (2000 und 2003), in den vergangenen drei Spielzeiten konnte er jedoch kein einziges Turnier gewinnen, meist war er jenen Akteuren unterlegen, die ihn mit Sicherheitsstößen in die Bredouille brachten. In dieser Saison gewann Williams bereits zwei Turniere und steht nun im Halbfinale gegen John Higgins.

Wandel zu extrem offensiven Spiel

Dieser Wandel hin zum extrem offensiven Spiel ist ein Grund dafür, dass auch O'Sullivan wieder Gefallen gefunden hat an seiner Sportart. Der Exzentriker gilt als Hau-drauf-und-Schluss unter den Snookerspielern, langwierige Safetyduelle nerven ihn derart, dass er seinem Gegner schon einmal mitteilt, dass er nun die Zuschauer im Raum gezählt habe und auch alle Farbklekse auf seinem Queue - und dass sein Gegner doch nun bitte stoßen möge.

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Hat wieder Spaß an seiner Sportart: Ronnie O'Sullivan.

(Foto: Getty Images)

Bei den ersten drei Partien durfte O'Sullivan wie der Tasmanische Teufel um den Tisch jagen - und schon war er wieder erfolgreich. Er unterlag in einem hochklassigem Viertelfinale letztendlich John Higgings, sagte danach jedoch: "So macht mir Snooker Spaß, es waren schöne Tage hier in Sheffield." Es sind spektakuläre Tage im Crucible Theatre - so spektakulär, dass selbst der rücktrittswillige Altmeister Stephen Hendry verkündete, im kommenden Jahr noch einmal dabei sein zu wollen.

Der Paradigmenwechsel hat auch Mark Selby erreicht, der bislang eher dafür bekannt war, seine Gegner durch geschickte Sicherheitsstöße an den Rand des Wahnsinns zu treiben. In diesem Jahr stellte Selby seinen Stil um, er gibt sich mutig und offensiv, bei seiner Achtelfinalpartie gegen Stephen Hendry gelangen ihm sechs Century Breaks - was noch nie zuvor ein Spieler im Crucible Theater geschafft hat.

Im Viertelfinale traf er dann auf den Chinesen Ding Junhui, bislang bekannt als Zögerer und Zauderer, dem in den entscheidenden Momenten die Nerven versagen. Am Mittwochabend gab es so einen entscheidenden Moment, es war der 25. Abschnitt. Ding lag 51:54 zurück, er musste sowohl die pinke als auch die schwarze Kugel versenken, um die Partie zu gewinnen - allerdings lag die pinke Kugel arg weit vom Spielball und noch weiter von einer Tasche entfernt. Ding versuchte es trotzdem - und traf.

Nun also spielen Ding und Trump im Halbfinale gegeneinander, in den ersten beiden Abschnitten schaffte bereits jeder Spieler ein Century Break. Als Favorit gilt tatsächlich der junge Trump. Es wäre bei dieser ohnehin spektakulären Weltmeisterschaft nun keine Überraschung mehr, wenn sie der bislang spektakulärste Spieler gewinnen würde.

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