Süddeutsche Zeitung

Snooker-WM in Sheffield:Genie gegen Zerstörer

Im Viertelfinale der Snooker-Weltmeisterschaft treffen Ronnie O'Sullivan und Mark Selby aufeinander. Unterschiedlicher könnten Spielphilosophien kaum sein.

Jürgen Schmieder

Es gibt nur wenige Dinge, die Ronnie O'Sullivan mehr nerven, als einem anderen Akteur beim Snookerspielen zusehen zu müssen. Gelangweilt sitzt er dann auf seinem Stuhl, er starrt auf sein Queue, er starrt an die Decke, er starrt auf den Tisch. Was O'Sullivan noch mehr nervt, ist ein Akteur, der sich provozierend viel Zeit lässt mit seinem Spiel - dann wird der begabteste Snookerspieler der Welt kreativ. Er fragt die Zuschauer nach der Uhrzeit - oder zählt wie gegen Mark Selby vor einigen Jahren die Punkte auf einem Löffel. "Sein Spiel ist negativ und langweilig", sagte er damals. "Deshalb habe ich die Tupfen gezählt - exakt 108 auf beiden Seiten."

Gegen diesen Mark Selby muss O'Sullivan nun im Viertelfinale der Weltmeisterschaft in Sheffield antreten, nach dem Scheitern von Favoriten wie Vorjahressieger John Higgins, Ding Junhui und Mark Williams gilt die Partie als vorgezogenes Endspiel. Dabei treffen nicht nur zwei der besten Snookerspieler der Welt aufeinander, es kollidieren auch zwei Philosophien, wie dieser Sport gespielt werden muss.

O'Sullivan trägt den Beinamen "The Rocket", gewöhnlich jagt er wie ein Tasmanischer Teufel um den Tisch und versenkt schnellstmöglich alle Kugeln. Er steht im Guinessbuch der Rekorde, weil er 1997 ein Maximum Break - 147 Punkte in einem Spielabschnitt, ohne dass der Gegner an den Tisch darf - in nur 5:20 Minuten schaffte.

Ist er erfolgreich, hat kaum ein Spieler eine Chance gegen ihn. Das Achtelfinale gegen Mark Williams etwa war lange Zeit ausgeglichen, dann jedoch brachte er die Kugeln derart sicher in den Taschen unter, dass Williams schon Bauklötze davor hätte aufbauen müssen, um den Sieg zu verhindern. O'Sullivan brauchte in diesem Spielabschnitt durchschnittlich gerade einmal 16 Sekunden für einen Stoß. "Das war nicht perfekt, ich habe viel zu spät begonnen, gut zu spielen. Deshalb bin ich sauer", sagte O'Sullivan danach selbstkritisch

Sein unfassliches Talent ist sein größtes Hindernis. Er hält zwei bedeutende Snooker-Rekorde: den für die meisten Maximum Breaks und den für die meisten Niederlagen nach Führungen, die man als Profi nicht mehr verschenken darf. Das Wissen um seine Fähigkeiten lässt ihn selbstbewusst werden und verleitet ihn zu gewagten Aussagen: "Selbst wenn ich scheiße spiele, kann ich immer noch Turniere gewinnen."

Das Selbstbewusstsein O'Sullivans schlägt jedoch nicht selten um in Depression. Weil er weiß, mit größerer Begabung gesegnet zu sein als jeder andere Spieler, hält er alles andere als ein perfektes Break für Versagen. Dann zeigt er einer Kugel, die partout nicht in die Tasche fallen will, schon mal den Mittelfinger - oder bricht eine Partie einfach ab, weil er keine Lust mehr hat. Aus diesem Grund gewann er bislang nur drei Weltmeisterschaften - nicht wenige glauben, es hätten doppelt so viele sein müssen.

Selby dagegen ist weniger talentiert als O'Sullivan, über verschiedene Pool-Billard-Formen kam er schließlich zur schwierigsten Billard-Variante Snooker und spielte sich vor drei Jahren gar ins Finale. Er ist kein Spieler, der schwierige Bälle locht - weil er sie meist erst gar nicht versucht. "Der geht einen Ball doch nur dann an, wenn er sich sicher sein kann, dass er auch sicher fällt", ätzte O'Sullivan einmal.

Selbys Erfolg gründet auf einer Spielweise, die Schnellspieler wie O'Sullivan in den Wahnsinn treibt. Seine Taktik besteht darin, den Rhythmus des Gegners zu stören und ihn mit zeitlich perfekt abgestimmten Sicherheitsstößen in missliche Situationen zu manövrieren. Vor seinen Stößen lässt er sich aufreizend viel Zeit, ruhig betrachtet er das Bild auf dem Tisch. "Ich weiß wirklich nicht, ob Mark Talent hat", schimpft O'Sullivan.

Bei dieser Weltmeisterschaft hat Selby sein Talent wiederholt unter Beweis gestellt. In der ersten Runde bezwang er Ken Doherty locker mit 10:4, im Achtelfinale gewann er gegen den siebenmaligen Weltmeister Stephen Hendry mit 13:5. Dabei glänzte Selby nicht nur mit sicheren Ablagen, sondern auch mit feinem Lochspiel.

Auf Angriffe der Kontrahenten reagiert Selby gelassen. Als sich Shaun Murphy über die Lautstärke von Selbys Fans beschwerte, sagte der: "Ich sehe nicht, wo das Problem liegt. Seien wir doch froh, dass die Leute mitfiebern." Und auf die Anfeindungen von O'Sullivan sagte er: "Taktik gehört zu diesem Sport. Wer nur auf Plan A vertraut, der wird verlieren. Deshalb habe ich gegen einen besser spielenden Gegner immer einen zweiten Plan in der Tasche."

Nun treffen O'Sullivan und Selby von Dienstag an im renovierten Crucible Theatre in Sheffield aufeinander, nicht wenige vermuten, dass die Partie über die maximale Distanz von 25 Abschnitten gehen könnte. Wie lange sie tatsächlich dauert, hängt davon ab, wer länger am Tisch steht - Schnellspieler Ronnie O'Sullivan oder Taktiker Mark Selby.

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