Süddeutsche Zeitung

Snooker-WM:Aufstand der Laborratten

Nach Spieler-Protesten verhindert erst ein Regierungsbeschluss, dass die Snooker-WM in Sheffield vor Zuschauern ausgetragen wird - allerdings nur bis zum Finaltag.

Von Carsten Scheele

Das Wagnis währte nur wenige Stunden. Am Freitag wurde in Sheffield die Snooker-Weltmeisterschaft eröffnet, zwar unter strengen Hygienevorschriften, aber: vor Zuschauern. Die WM der besten Bällelocher sollte auf der Insel das erste sportliche Großereignis sein, bei dem ein Teil des Publikums zugelassen wird; ein Plan, der vor allem die Spieler mächtig erzürnte. Das Experiment ist aber schon wieder beendet: Weil die Coronazahlen im vom Virus ohnehin geplagten Großbritannien wieder hochgeschnellt sind, erließ die britische Regierung eine neue Maßgabe: Sportveranstaltungen vor Zuschauern sind ab sofort wieder verboten, bis mindestens zum 15. August.

Die Snookerspieler suchen also doch hinter verschlossenen Türen ihren Weltmeister. Zum Auftakt traf Titelverteidiger Judd Trump auf Tom Ford, er siegte etwas wackelig 10:8. Im Crucible, der altehrwürdigen wie engen Halle in Sheffield, nicht wie üblich vor rund 1000 Zuschauern, aber immerhin vor 200. In den Tagen zuvor hatte bereits es heftige Diskussionen um Sinn und Zweck des Zuschauer-Experiments gegeben.

Im Zentrum der Debatte stand Anthony Hamilton, der sich zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder für die WM qualifiziert hatte - und Asthma-Patient ist. Er gehört damit zur Risikogruppe, nun sollte er bei der Weltmeisterschaft an den Tisch treten, zwischen einer beträchtlichen Anzahl an Zuschauern, die auf dem Weg zu ihrem Plätzen zwar einen Mund-und-Nasenschutz tragen müssen, ihn dann aber abnehmen dürfen. Die in seine Richtung atmen, vermutlich manchmal auch husten und schniefen.

Dies sei "lächerlich", erklärte Hamilton: "Wenn nur ein Mensch im Crucible krank wird und dann stirbt - dann ist es ein Mensch, der ohne jeglichen Grund gestorben ist, nur für die Unterhaltung." Seine Teilnahme sagte er kurz vor dem Start ab.

Der Mann aus Nottingham bekam für seinen Schritt viel Unterstützung, und wie immer, wenn es um Kritik am Snooker-Weltverband um den mächtigen Promoter Barry Hearn geht, ist Ronnie O'Sullivan dabei. Er bezeichnet sich und seine Kollegen sarkastisch als "Laborratten", weil sie die ersten Sportler sein sollten, die ihren Sport wieder vor Zuschauern austragen. Als Ereignis ist die WM dabei geschickt gewählt: Sie ist das wichtigste Turnier des Jahres, hier nicht anzutreten, fällt den Spielern noch schwerer als bei anderen Terminen. "Offenbar muss man irgendwo damit anfangen, die Zuschauer zurückzubringen", ätzte O'Sullivan, "dann fängt man eben mit den Snooker-Spielern an."

Jetzt ist Hearn entsprechend geknickt

Der fünffache Weltmeister hatte sich schon in den Tagen zuvor gegen die Zuschauer-Pläne ausgesprochen, doch seine Bitten wurden von Hearn ignoriert. Europa hat das Coronavirus noch längst nicht besiegt, da genüge es doch, den Sport im Fernsehen zu zeigen, erklärte O'Sullivan in der BBC: "Ich glaube nicht, dass es das Risiko wert ist." Er vermutet finanzielle Gründe hinter den ursprünglichen Plänen. Die WM ist das Turnier mit den höchsten Preisgeldern, da wollten die Veranstalter zumindest einen Teil durch die Zuschauereinnahmen refinanziert sehen. "Vielleicht hätte ich bei 5000 Fans einsehen können, dass sonst zu viele Einnahmen verloren gehen", sagte O'Sullivan, "aber bei 200 Fans, lohnt sich das echt?"

Die World Snooker Tour (WTS) feierte ihren WM-Start vor Zuschauern dagegen als "fantastischen Triumph" - jetzt ist Hearn entsprechend geknickt. "The show must go on, wir gehen über zu Plan B", sagte Hearn am Freitag und war mit Gedanken bei seinem Team, das sich so sehr ins Zeug gelegt habe, um die WM vor Zuschauern zu ermöglichen: "Sie müssen sich nun schrecklich leer fühlen".

Auf seine Spieler hört Hearn dagegen eher nicht. Bis 15. August gilt die neue Maßgabe der Regierung, das Finale ist für den 16. August angesetzt. Hearn würde, daran lässt er keine Zweifel, für das Endspiel wieder Zuschauer hereinlassen, selbst wenn seine beiden Finalisten dagegen wären. "Ich bin immer ein Optimist", sagte Hearn. Warum er als knallharter Geschäftsmann gilt, hat Hearn damit bewiesen.

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