O'Sullivan bei der Snooker-WM„Ich hatte Angst, den Ball zu stoßen“

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Ronnie O’Sullivan schaut leicht skeptisch, sein WM-Auftakt gegen Ali Carter gelingt ihm trotzdem.
Ronnie O’Sullivan schaut leicht skeptisch, sein WM-Auftakt gegen Ali Carter gelingt ihm trotzdem. (Foto: Lee Smith/Action Images via Reuters)

In einer schweren Krise zerstörte Ronnie O’Sullivan sein bestes Queue – jetzt tritt er mit dem Ersatzgerät bei der Snooker-WM an. Seine erste Partie gewinnt der Brite locker, und er verfolgt einen radikalen Plan.

Von Carsten Scheele

Ob gefragt oder ungefragt, einen Tipp für einen jüngeren Kollegen hat Ronnie O’Sullivan, 49, immer parat. Diesmal traf es Kyren Wilson, den Weltmeister von 2024, der bei der Snooker-WM in Sheffield überraschend in der ersten Runde am Debütanten Lei Peifan aus China gescheitert war.

Kein Wunder, urteilte O’Sullivan salopp, die Terminplanung von Wilson, 33, sei nicht wirklich ideal gewesen. Der Engländer habe während der Saison überdreht, „zu viele Turniere gespielt“, sagte O’Sullivan bei Eurosport: „Wenn man die WM wirklich gewinnen will, sollte man lieber etwas untertrainiert als überfordert anreisen.“ Eine Pause zum ein oder anderen Zeitpunkt könne „Wunder wirken“.

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Wie man gekonnt Pausen einlegt, hat O’Sullivan höchstselbst vorgemacht. Wobei die Frage ist, ob es der siebenfache Weltmeister mit dem Ausruhen nicht übertrieben hat. Seit Januar ist O’Sullivan nicht mehr zu einem offiziellen Match angetreten. Alle Turnierteilnahmen sagte er ab, er habe sich stattdessen um sein Wohlbefinden gekümmert, verriet der Brite. Aber vor der WM, dem wichtigsten Turnier des Jahres, gleich drei Monate zu pausieren, das ist mindestens ein gewagter Schritt.

Im Januar zerstörte O’Sullivan sein Queue, jetzt spielt er mit einem Ersatzmodell

Nicht für O’Sullivan, der in Sheffield ausführlich über die Gründe seiner Pause gesprochen hat. Er habe sich in einer großen Notlage befunden, er habe sein eigenes Spiel nicht mehr greifen können. „Keine Stoßkraft, keinen Touch, kein Gefühl für die Kugel“ habe er verspürt, sagte O’Sullivan bei TNT Sports: „Ich hatte Angst, den Ball zu stoßen.“ Eine solche Blockade ist für einen Snookerprofi eine ausgesprochen missliche Diagnose.

Nun ist O’Sullivan bekanntermaßen ein Typ, der sich mehr als andere Spieler um seine mentale Gesundheit kümmert. Jahrelang litt der Brite unter Angstzuständen und Panikattacken, bei Turnieren hat er stets seinen eigenen Psychologen dabei; seit einiger Zeit versucht er, den Snookersport nicht zu ernst zu nehmen, weil er so seine besten Ergebnisse erzielt. Diesen Ansatz will er nun offenbar radikalisieren. Er wolle weniger nachdenken, mehr nach Instinkt und Gefühl agieren. „Mein Kopf muss leerer sein“, sagte O’Sullivan: „Ich darf nicht so analytisch sein und muss aufhören, die Dinge zu überdenken, worin ich leider gut bin.“ Er werde künftig ausschließlich mit dem Sportpsychologen Steve Peters zusammenarbeiten. Auf ein Trainerteam, wie es im Profibereich üblich ist, will er verzichten.

Lange ließ O’Sullivan offen, ob er angesichts dieser Vorgeschichte wirklich bei dieser WM antritt. Doch jetzt steht er im Crucible Theatre am Tisch mit dem feinen grünen Tuch, und offenbar in besserer Verfassung, als er es selbst erwartet hat. Sein Erstrundengegner Ali Carter gestaltete die erste Session am Dienstag noch eng, 5:4 führte O’Sullivan da. Anschließend berichtete er von einigen schwachen Momenten, nach Gesprächen mit Peters habe er den Turniertag doch beenden können.

Bei der Wiederaufnahme am Mittwoch erschien O’Sullivan dann wie ausgewechselt. Stark und selbstbewusst, keinen einzigen Frame gönnte er Carter noch, er siegte souverän 10:4. „Es sieht aus, als wäre er in einer guten Verfassung“, sagte der unterlegene Carter. In dieser Form sei O’Sullivan „der Mann, den es zu schlagen gilt“.

Vor ein paar Jahren kam O'Sullivan ebenfalls ohne Matchpraxis nach Sheffield, er wurde Weltmeister

Eine Nachwehe aus dem Januar könnte sich allerdings noch rächen, denn an seinem Tiefpunkt griff O’Sullivan zu radikalen Mitteln und zerstörte sein Queue. Irreparabel, nur noch als Brennholz zu gebrauchen. Snookerprofis greifen sich in der Regel nicht das nächstbeste Modell und sind sofort erfolgreich damit. Es gibt Profis, die tüfteln jahrelang, bis sie das für sie perfekte Stück Holz zwischen den Fingern halten. Das Queue ist für die Snookerspieler die Verlängerung ihrer Arme, es kommt aufs Gefühl und aufs Vertrauen an.

Zwar hatte O’Sullivan ein paar Monate Zeit, sich mit dem neuen Stab einzuspielen. Aber ist das wirklich möglich, eine WM zu gewinnen, mit einem Ersatzqueue? Bei seiner starken Session am Mittwochnachmittag sah das schon ziemlich gut aus: O’Sullivan lochte wie in besten Zeiten, schnell und präzise. Gleich drei Century Breaks (100 oder mehr Punkte am Stück) spielte er, das höchste war eine starke 131. Das neue Spielgerät sei nicht die Ursache für die fehlerhaften Phasen am Vortag gewesen. „Nein, es war nur ich“, stellte O’Sullivan klar. Als sei es egal, mit welchem Holz er antritt, wenn er mit sich selbst und der Welt im Reinen ist.

Vor ein paar Jahren kam O’Sullivan schon einmal ohne Matchpraxis nach Sheffield, das war 2013. Er hatte lange pausiert und verteidigte aus dem Stand heraus seinen Titel. So auch in diesem Jahr? Die Kollegen haben ihn jedenfalls auf dem Zettel. „Es ist Ronnie, über den wir hier sprechen“, sagte Shaun Murphy kürzlich der Sun: „Wenn er an einem Snookertisch steht, kann er alles erreichen.“

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